»Ja.«
»Sie beobachten die Leute, die in das Appartementhaus kommen oder es verlassen, also nicht?«
»Dazu bin ich nicht angestellt.«
»Es hätte also nicht nur Herr Groß, sondern jeder, der es wollte, ohne Ihr Wissen in den achten Stock dringen können?«
»Ja…«
»Sie können also nicht mit Sicherheit sagen, daß außer von Frau Groß Fräulein Müller an jenem Abend von niemand anderem aufgesucht worden ist?«
»Nein …«
»Und Sie haben auch Frau Groß nicht gesehen?«
»Nein.«
»Wie erklären Sie dann, daß sie … ohne Ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen … den Lift benutzen konnte?«
»Wahrscheinlich ist gerade einer der Mieter nach Hause gekommen, und sie hat mit ihm zusammen den Lift betreten.«
Rechtsanwalt Dr. Suttermann wandte sich fragend an die Angeklagte. Carola Groß nickte.
»Noch eine Frage«, sagte der Verteidiger. »Sie können nicht mit Sicherheit behaupten, daß Fräulein Müller außer Herrn Groß keine anderen Freunde hatte?«
»Natürlich nicht.«
»Wissen Sie, ob Annabelle Müller außer Herrn Groß auch andere Besucher empfing?«
Jetzt zögerte Frau Kerner. »Sie kam manchmal mit Bekannten nach Hause. Sie fuhren dann zusammen nach oben.«
»Sie sind doch eine gute Beobachterin, Frau Kerner … können Sie uns einige dieser Bekannten beschreiben?«
»Nein.«
»Die Zeugin Kramer hat ausgesagt, Annabelle Müller in Begleitung eines hochgewachsenen, gutaussehenden blonden Herrn gesehen zu haben. Können Sie sich an diesen Herrn erinnern?«
»Nein«, sagte Frau Kerner entschieden, »ich weiß überhaupt nicht, was Sie mit diesen Fragen wollen. Ich bin ja nicht dazu angestellt, um hinter unseren Mietern herumzuspionieren. Ich habe einen Mann und zwei Kinder, und das Privatleben anderer Leute interessiert mich überhaupt nicht.«
»Da es sich aber nun um einen Mordfall handelt …«
»Wenn ich gewußt hätte, daß Fräulein Müller ermordet werden würde, hätte ich schon aufgepaßt!« sagte Frau Kerner erregt.
»Niemand macht Ihnen einen Vorwurf …«
»Das kommt mir aber so vor! Jeder weiß doch, daß Herr Groß mit Fräulein Müller befreundet war, und Frau Groß hat ja zugegeben, Fräulein Müller am neunzehnten September aufgesucht zu haben! Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen!«
Auch diese Zeugin wurde vereidigt, dann wurde Kriminalrat Amstetter aufgerufen. Er trat mit der Selbstsicherheit eines Mannes in den Verhandlungssaal, für den Schwurgerichtssitzungen nichts Außergewöhnliches sind, machte seine Angaben zur Person schnell und präzise.
Er war ein unauffälliger Mann mit einem ruhigen Gesicht. Nur die harten grauen Augen verrieten den Kriminalisten, und Ellen Krone schauderte bei der Vorstellung, von diesem Mann verhört zu werden. Unwillkürlich warf sie einen Blick auf die Angeklagte. Carola Groß war blasser als am Tag zuvor, der Ausdruck ihres Gesichtes hatte etwas Maskenhaftes, ihre Haltung wirkte verkrampft. Ellen Krone fiel auf, daß sie während der ganzen bisherigen Verhandlung die Hände im Schoß gehalten hatte.
Kriminalrat Amstetter hatte schon mit seiner Aussage begonnen. Er berichtete, daß er auf Grund des Anrufs einer Funkwagenbesatzung, die als erste am Tatort erschienen war, mit einem Assistenten in das Appartementhaus fuhr. Die Leiche Annabelle Müllers hatte in verrenkter Haltung, die Knie hochgezogen, auf dem Diwan gelegen. Ihr Gesicht war blau verfärbt gewesen, die Augen hatten weit offengestanden. Er gab dem Vorsitzenden einen Stoß Fotografien, die Landgerichtsrat Mergentheimer aufmerksam betrachtete, bevor er sie einzeln an seine Mitrichter und die Geschworenen weitergab. Ellen Krone konnte sich nicht überwinden, die entsetzlichen Bilder genau anzusehen.
Kriminalrat Amstetter berichtete weiter, daß er, da die Verstorbene keinen Abschiedsbrief hinterlassen hatte und ein Giftbehälter unauffindbar gewesen war, auf Mord geschlossen habe. Die fast geleerte Cognacflasche auf dem Tisch sei auf Fingerabdrücke untersucht worden, doch hätten sich keine Abdrücke außer denen der Verstorbenen feststellen lassen.
»Auffällig war«, sagte er, »daß Aschenbecher und Gläser geleert und sorgfältig gespült worden waren. Alles stand an seinem Platz, beziehungsweise die Gläser im Schrank. Es sah aus, als habe eine Hausfrau aufgeräumt.«
»Ich erhebe Einspruch!« rief der Verteidiger. »Diese Bemerkung ist irreführend und soll nur dazu dienen, die Angeklagte zu belasten!«
»Das lag keineswegs in meiner Absicht! Ich wollte nur meinen Eindruck schildern!«
»Sie können aber doch nicht ausschließen, daß Fräulein Müller selber ihre Wohnung aufgeräumt hat?«
»Doch, das kann ich. Die Analyse des Mageninhaltes hat ergeben, daß die Tote an einem sehr starken und sehr rasch wirkenden Gift gestorben ist. Sie hatte keineswegs die Möglichkeit, noch vor ihrem Tod, beziehungsweise bevor die ersten sehr schmerzhaften Krämpfe einsetzten, das Glas, aus dem sie getrunken hatte, zu spülen, abzutrocknen und fein säuberlich in den Schrank zu stellen.«
»Woher wollen Sie denn wissen, daß sie das Gift aus einem Glas zu sich genommen hat?«
»Weil eine andere Möglichkeit unvorstellbar ist.«
»Nicht für mich«, behauptete der Anwalt, »ich könnte mir denken, daß sie das Gift auch in Form einer Praline eingenommen haben kann!«
»Ihr Magen wies keine Spur von Schokolade auf. Es fanden sich auch in der Wohnung keinerlei Reste von Konfekt, lediglich dünne Käseplätzchen und Kümmelstangen, die zur Injizierung von Gift ganz ungeeignet waren.«
»Haben Sie sie analysieren lassen?«
»Nein, ich hielt das für überflüssig.«
Rechtsanwalt Dr. Suttermann setzte sich, als wenn er einen Sieg errungen hätte. Tatsächlich aber hatte dieses Geplänkel weder auf die Richter noch auf die Geschworenen Eindruck gemacht. Es war nur zu deutlich, daß die Verteidigung kein wirkliches Argument in der Hand hatte und es nur darauf anlegte, Verwirrung zu stiften und den Zeugen unglaubwürdig zu machen.
Landgerichtsrat Mergentheimer beugte sich vor. »Um nochmals auf die Bemerkung, als habe eine Hausfrau aufgeräumt, zurückzukommen! Mir persönlich will es so scheinen, als wenn keine besonderen Fähigkeiten dazu gehören, ein paar Gläser auszuwaschen, abzutrocknen und fortzustellen … oder sind Sie da anderer Meinung?«
»Durchaus nicht.«
»Die gleichen Handgriffe hätte doch auch ein zwölfjähriges Kind oder ein hauswirtschaftlich völlig unvorgebildeter Mann durchführen können?«
»Ja, das stimmt.«
»Dann sind wir uns wohl einig, daß diese Bemerkung irreführend war und aus dem Protokoll gestrichen werden sollte?«
»Ja«, mußte der Kriminalrat zugeben.
Landgerichtsrat Mergentheimer wandte sich an den Schriftführer.
»Bitte, nehmen Sie das auf!« Dann sah er wieder den Zeugen an.
»Wenn ich Sie recht verstanden habe, waren in der Wohnung der Ermordeten keine Spuren zu entdecken, die auf einen Kampf schließen ließen.«
»Richtig.«
»Aber auf diesem Foto … wenn Sie bitte näher treten wollen … ist doch die Couchdecke zerwühlt, der kleine Teppich vor der Couch verrutscht!«
Kriminalrat Amstetter warf nur einen flüchtigen Blick auf die Fotos.
»Das ist im Todeskampf geschehen.«
»Möglich. Aber es ist doch wohl nicht ganz ausgeschlossen, daß die Tote das Gift nicht unwissend zu sich nahm, sondern gewaltsam dazu gezwungen wurde?«
»Ihr Körper zeigte keinerlei Spuren irgendwelcher Gewalteinwirkungen.«
»Danke. Das genügt mir, Herr Oberstaatsanwalt …?«
Oberstaatsanwalt Kleiper erhob sich mit betonter Langsamkeit, die seinen Bewegungen etwas verhängnisvoll Drohendes gab. »Herr Kriminalrat«, sagte er, »hatten Sie den Eindruck, daß die Wohnung der Ermordeten nach der Tat durchsucht worden ist?«
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