„Jetzt schon!“ sagte er. „Ich hatte nicht damit gerechnet, daß ihr die Fähre erreicht.“
„Es hing auch am seidenen Faden, aber es hat geklappt. Und hier hast du den Stoff.“ Bengt gab ihm das Päckchen, das in Stinas Tasche gelegen hatte.
Der Arzt schaute ihn warnend an. „Pst! Benutz diesen Ausdruck doch nicht laut. Hattest du Probleme beim Zoll?“
„Nee, überhaupt nicht, man ist doch schließlich Profi“, grinste Bengt.
„Willst du nicht reinkommen?“
„Nein, ich muß zusehen, daß ich auf den Campingplatz komme, bevor unser Platz weg ist. Bis dann.“
„Ja, bis bald. Und jetzt jedenfalls erst mal vielen Dank.“ Bengt war bereits auf dem Weg zurück zum Wagen. „So leicht kommst du nicht davon, mein Lieber“, rief er. „Tschüs, dann.“
Anders fuhr gerade vorbei, als Bengt aus dem Arzthaus kam und sich in sein Wohnmobil setzte.
Die Mädchen plapperten ununterbrochen, so daß man nicht zu Wort kam, deshalb war er vorgefahren, um ein paar Waren abzuliefern. Er kratzte sich am Kopf und schaute Bengt verblüfft hinterher. Das war ja merkwürdig! Woher zum Teufel kannten die beiden sich? Der Arzt war jedenfalls letztes Jahr noch nicht hiergewesen, als Bengt hier war. Und was war nur so wichtig, daß Bengt ihm sofort, nachdem er auf der Insel angekommen war, einen Besuch abstatten mußte?
Anders holte tief Luft. Das ging ihn natürlich gar nichts an. Die Fremden waren und blieben die Fremden für die Leute von der Insel, und es war nicht immer so einfach herauszufinden, warum sie taten, was sie taten.
Aber seltsam war es dennoch.
„Ach du heiliger Holzapfel!“ Manette blieb abrupt stehen, als sie sich zusammen mit den anderen dreien dem Campingplatz näherte. „Was um alles in der Welt geht hier denn vor?“
Der Campingplatz sah chaotisch aus. Die Neuankömmlinge waren dabei, sich einzurichten. Alle waren schwer beschäftigt, abgesehen von Bengt, der es sich in einem Liegestuhl bequem gemacht hatte. Die einzigen, die anscheinend alles im Griff hatten, waren die Finnen. Sie stellten das Vorzelt, das Verandazelt und so weiter auf, als hätten sie nie etwas anderes getan.
Der Trabifahrer und seine Frau waren dabei, ein Zelt in der
Größe einer Hundehütte aufzubauen, und das schien ihnen kaum zu bewältigende Probleme zu bereiten. Nach den Mühen mit ihrem Auto müßte das doch fast eine Erholung für sie sein, meinte Anders.
Die norwegische Fahrradfamilie sah hingegen aus, als ob sie am liebsten alles einfach hingeschmissen hätte. Sie hatten den Anhänger ausgepackt, und Zeltbahnen, Stangen, Pflöcke und Leinen lagen in einem undurchschaubaren Wirrwarr durcheinander.
„Es sieht aus, als wollten die einen Zirkus aufbauen“, kicherte Stina.
„Jedenfalls sind die Clowns schon da“, kommentierte Louis trocken.
„Kommt, laßt uns lieber abhauen“, schlug Manette vor. „Entweder prügeln die sich gleich. Oder die kommen auf die Idee, daß wir ihnen helfen könnten.“
Die norwegische Dame sah aus, als wäre sie kurz vorm Heulen, der Sohn gab gute Ratschläge, und dem Vater war anzusehen, daß er den beiden wohl am liebsten eins auf die Nase gegeben hätte.
„Och, das ist doch saulustig, hier zuzugucken“, widersprach Louis. „Ich gehe jedenfalls nicht.“
Er hatte das norwegische Mädchen entdeckt, das sich schlauerweise ein Stück von seinen Eltern entfernt hatte. Sie schien in seinem Alter zu sein, und jetzt, wo sie endlich den Fahrradhelm und die Schwimmweste abgelegt hatte, fand Louis, daß sie doch eigentlich ganz niedlich aussah.
Per kam mit seiner Angelrute den Strandweg hinauf und blieb bei dem finnischen Campingwagen stehen.
„Ich freß meine Angel, wenn das nicht Claes ist. Hey, Claes, schön, dich zu sehen!“
„O Mann, Wahnsinn, das ist wirklich Claes!“ rief Manette überrascht. „Er hat einen neuen Caravan!“
„Und ’ne neue Frau“, fügte Anders trocken hinzu.
„Ich habe gewußt, daß er sich hat scheiden lassen“, erklärte Manette. „Deshalb dachte ich, er würde dieses Jahr gar nicht kommen.“
„Wieso, man kann doch Ferien machen, auch wenn man geschieden ist“, sagte Stina.
„Hoffentlich hat er seine Kinder dabei, damit Louis jemanden zum Spielen hat“, sagte Manette.
„Ja, und das hier ist Märta“, erklärte Claes stolz und schubste sie leicht auf Per zu. „Meine neue Frau ... oder Partnerin, wie man so sagt.“
„Ja, dann hallo und herzlich willkommen.“ Per gab Märta die Hand.
„Die sind nicht verheiratet“, flüsterte Stina.
„Und was ist mit den Kindern?“ fragte Per. „Sind sie mitgekommen?“
„Nee“, antwortete Claes. „Die sind mit Marianne bei ihrer Großmutter auf den Schären. Da haben sie eine Insel ganz für sich allein.“
Manette sah Stina an und verdrehte die Augen. „Wie gräßlich“, flüsterte sie. „Stell dir nur mal vor! Die ganzen Ferien allein mit den Greisen und Louis auf einer öden Insel. Ich würde ja sterben!“
„Und wer ist der Knirps da?“ fragte Per. „Ist das deiner?“ Er schaute Märta fragend an.
„Ja, das ist Märtas. Er heißt Henrik“, sagte Claes und fügte erklärend zu: „Märta versteht nicht so gut dänisch, aber sie wird’s noch lernen.“
„Und Bengt ist auch gekommen“, rief Per, als er Bengt im Liegestuhl entdeckte. Er winkte Claes und Märta zu und ging auf Bengt zu, der dösig zu ihm aufblickte.
„Wo nette Leute sind, kommen nette Leute hinzu“, sagte Per. „Tag auch, Bengt. Und natürlich willkommen.“
„Oh, hallo Per, long time no see. Wie geht’s dir? Wie läuft das Malergeschäft?“
„Ach, überhaupt nicht! Es kommt gar nicht in Schwung, aber daran will ich weder denken noch drüber reden – jetzt habe ich Urlaub. Und wie stellt’s mit dir?“
„Na, so lala, man kann’s aushalten.“
Per schüttelte den Kopf. „Daß man davon leben kann, herumzufahren und alte Klappergäule zu knipsen, das geht über meinen Verstand.“ Er nickte zu Claes und Märta hinüber. „Hast du Claes’ neuen Wohnwagen gesehen? Nicht schlecht, was? Das ist vielleicht ein Palast.“
„Der Palast hat wahrscheinlich eher Macht über den Mann als umgekehrt“, erwiderte Bengt trocken. Er schaute zu den Norwegern hinüber. „Und unsere norwegischen Brüder und Schwestern haben anscheinend über gar nichts Macht.“
Per drehte sich um und warf einen Blick aufs Schlachtfeld.
„Denen müssen wir wohl mal unter die Arme greifen“, meinte er.
Bengt schüttelte den Kopf und warf ihm einen trägen Blick zu. „Laß die arbeiten, die dazu geschaffen sind“, erwiderte er und gähnte. „Ich glaube, ich gehe lieber rein und hau’ mich für ’ne halbe Stunde aufs Ohr.“
„Das sieht dir ähnlich“, sagte Per mit leichtem Vorwurf in der Stimme.
„Stimmt“, grinste Bengt und verschwand in seinem Wohnmobil, während Per zu den Norwegern ging.
„Hallo“, sagte er. „Ich heiße Per. Braucht ihr Hilfe?“
Der Norweger sah erleichtert aus, obwohl es ihm auch ein wenig peinlich war. „Ja, hast du denn Ahnung von so was?“ fragte er.
„Ja, wir hatten selbst ein Zelt, ehe wir uns den Wohnwagen angeschafft haben“, erklärte Per, der bereits dabei war, Ordnung ins Chaos zu bringen.
„Wir machen es das erste Mal, aber wir haben zu Hause im Garten geübt“, sagte der Norweger. „Ich heiße übrigens Tore, und das ist Åse, meine Frau.“
Per nickte und drehte sich halb um. „Hey, Manette, kannst du nicht eben mal helfen?“ rief er über die Schulter.
Er erhielt keine Antwort und sah sich verblüfft um.
„Das ist ja komisch“, meinte er. „Sie waren doch gerade noch da.“
Aber Manette, Stina und Anders hatten es geschafft, sich unsichtbar zu machen. Sobald sie außer Hörweite waren, prusteten beide Mädchen los.
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