1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 „Warten Sie, ich helfe Ihnen auf!“ Regine war sehr hilfsbereit und stützte die Verunglückte. Diese ächzte und humpelte mühsam in die Küche hinein.
„Mein Fuß! Ich muß ihn mir vertreten haben!“
Ja, nun war guter Rat teuer. Die Wirtsfrau hockte auf einem Küchenstuhl und rieb stöhnend an ihrem Knöchel herum, und drinnen mußte bedient werden.
„Gebrochen ist er nicht“, murmelte sie auf Regines mitfühlende Frage hin. „Aber er tut so weh. Ruf die Maria, sie muß oben sein. Sie soll schnell herunterkommen!“
Regine lief die Treppe hinauf und meldete das Unglück oben. Bevor aber Maria herunterkam, war Regine schon wieder bei der Wirtsfrau.
„Warten Sie, bleiben Sie sitzen! Ich bring’ erst einmal den Kaffee hinein zu den Herren“, sagte sie geschäftig. „Wie viele Tassen? Drei?“
„Ja, für dich und deinen Fahrer. Aber zuerst bekommt der Herr an dem Tisch am Fenster“, sagte die Frau.
„Ach, der Brummbär? Ja, der muß zuerst bekommen, er war ja auch früher hier als wir“, sagte Regine und stellte Tasse und Zuckerschälchen auf einem kleinen, blanken Tablett zurecht. „So, und noch Milch? Ja, danke. Wollte er auch etwas zu essen?“
„Frag ihn, erst hat er nur einen Kaffee bestellt. Wir haben Kuchen da und auch Brötchen.“
Regine ordnete das Geschirr auf dem Tablett und nahm es dann vorsichtig auf. Ihr machte so etwas Spaß. Sie hatte sich immer gewünscht, einmal Bedienung zu spielen und den Leuten Essen und Trinken bringen zu dürfen.
„Bitte schön, der Herr!“ sagte sie mit einem kleinen Knicks und wartete, bis der Brummbär seine Zeitung weggelegt hatte. Dann stellte sie zierlich und nett das Tablett vor ihn hin.
„Wünschen der Herr auch etwas zu essen? Kuchen hätten wir da, aber auch frische Brötchen und Butter.“
„Ja, gehörst du denn hierher?“ fragte der Gast und sah sie an.
„Im Augenblick ja“, sagte Regine keck, „im Augenblick ist die Frau Wirtin verhindert. Also, was darf ich bringen?“
„Bring einen Kuchen. – Warst du nicht vorhin in dem Laster, der mich durchaus nicht überholen lassen wollte?“
„Doch. Aber man darf doch nur überholen, wenn kein Fahrzeug entgegenkommt“, antwortete Regine ein wenig fragend, „oder...“
„Doch, doch. Sag mal – na, erst bringst du mir einmal den Kuchen, ja?“
Regine lief. Jetzt sollte aber erst Herr Burger sein Frühstück haben, fand sie. Sie brachte es ihm und erzählte ganz schnell, was geschehen war.
„Wir haben doch einen Augenblick Zeit. Ich meine nur, bis Maria wieder in der Küche ist. Sie richtet oben die Zimmer“, berichtete sie atemlos. Herr Burger lachte.
„Auf eine halbe Stunde kommt es mir nicht an.“
Nichts war Regine lieber als das. Sie fühlte sich nach dem Stillsitzen im Wagen so munter und rührte sich so gern ein bißchen. Wenn sie dieser freundlichen Frau ein wenig helfen konnte, war ihr das nur recht. So lief sie also wieder hinaus, fragte, wo der Kuchen stehe, und verhieß, sie werde nachher dafür sorgen, daß der verletzte Knöchel einen kalten Umschlag bekäme.
„Am besten vielleicht mit essigsaurer Tonerde. Haben Sie welche hier?“
„Wir haben immer allerlei im Haus. Die Maria wird sie dir geben. Ja, von dem Kuchen dort! Schneide aber das Stück nicht zu dünn.“
„Ach, für den alten Querkopf! Er guckte einen an, als ob er einen fressen wollte. Er hat sicher schlechte Laune.“
„Trotzdem muß man höflich sein!“
„Das werde ich schon“, versicherte Regine eifrig. „So – ist es so recht? Warten Sie nur, wenn wir den Umschlag gemacht haben, tut der Fuß nicht mehr so weh. Mir tut es halt so arg leid!“
Sie lief wieder in die Gaststube. Der Herr Querkopf hatte die Zeitung ganz weggelegt. Als sie ihm den Kuchen hinstellte, sah er sie aufmerksam an.
„Setz dich doch ein wenig zu mir!“ sagte er dann, wesentlich freundlicher als vorhin. „Magst du nicht? Wo kommst du denn her?“
Regine nannte die Stadt, in der sie mit Axel gewohnt hatte.
„Aber jetzt gehöre ich nach Grüningen, jedenfalls für ein Jahr“, setzte sie hinzu. „Grüningen in Westfalen. Ich kenne es selbst noch nicht. Es liegt hinter Kassel.“
„Grüningen? So. Wie heißt du denn?“ fragte der Herr und rührte in seinem Kaffee. Regine hatte sich auf seine Aufforderung hin an seinen Tisch gesetzt, obwohl es sie drängte, hinauszulaufen.
„Regine Habernoll“, sagte sie artig und fuhr zusammen, als er mit einem Ruck den Kopf hob.
„Habernoll? Habernoll heißt du?“
Regine nickte.
„So heiße ich nämlich auch. Und wie heißen die Leute, zu denen du fährst?“
„Westphal. Lehrer Westphal in Grüningen“, antwortete Regine ein wenig verwirrt. „Ich kenne sie noch nicht, aber die Frau ist eine Schwester meiner Mutter. Sie haben vier Jungen.“
„Westphal – so? Wie hieß denn deine Tante vor der Hochzeit – aber du wirst ihren Mädchennamen wohl nicht wissen? Doch wie deine Mutter hieß, ehe sie heiratete, das weißt du sicher! Willst du mir das sagen?“ fragte jetzt der Herr, nachdem er eine kleine Weile nachgedacht hatte.
„Meine Mutter hieß Hertha, und ehe sie Vater heiratete hieß sie Wiesner mit dem Familiennamen“, antwortete Regine. Im gleichen Augenblick, als sie das sagte, ging ihr ein Licht auf. Sie sah den Herrn aufmerksam an.
„Sind Sie vielleicht – ich glaube, ich weiß, wer Sie sind“, sagte sie. „Mein Onkel Henry, ja? Wir sprachen nämlich von Ihnen.“ Gleich darauf wurde sie rot, sie merkte es selbst, aber sie konnte es nicht verhindern.
„Ihr habt von mir gesprochen? Was denn?“ fragte der Herr. Sie blickte einen Augenblick in sein Gesicht. Es war, als funkelte es in seinen Augen, und die Brauen darüber zuckten ein wenig. War es ein Donnerwetter, das sich da ankündigte, oder war es ein Lachen, das noch nicht ganz herauskam? Regine war sich nicht klar darüber, eins aber zuckte gedankenschnell durch sie hin: So schlimm wie vorhin sah der Herr gar nicht mehr aus. Überhaupt nicht schlimm, man konnte sich sogar vorstellen, daß er nett aussehen konnte, so zum Beispiel, wenn er lachte, wie jetzt gerade.
„Wir haben halt von unsern Verwandten gesprochen, Axel und ich“, sagte sie rasch. „Aber ich muß jetzt weiter, entschuldigen Sie bitte. Die Wirtin...“
„Ausgerissen wird trotzdem nicht! Der Laden hier wird wohl auch ein Weilchen ohne dich weiterbestehen“, sagte er, und er sagte es so, daß Regine wirklich zögerte, fortzugehen. Man merkte, daß er ein Herr war, gewohnt zu befehlen. Es kam ihm wohl überhaupt nicht in den Sinn, daß jemand nicht sofort gehorchen könnte.
„Darf ich nicht – wenigstens, bis die Maria wieder da ist?“
„Gut, dann lauf! Aber komm gleich wieder!“ erwiderte Herr Habernoll und steckte sich eine Zigarre an. Regine rannte. In der Küche traf sie auf die Tochter der Wirtin, die soeben dabei war, der Mutter einen Umschlag um das verletzte Bein zu machen. Maria war also da. Aber es gab doch noch viel zu tun.
„Gelt, Sie brauchen mich noch?“ fragte sie die Frau. „Bitte, ich möchte Ihnen gern noch ein Wenig helfen.“
„Du bist ein guter Kerl“, sagte die Wirtin freundlich. „Aber du mußt erst einmal selbst frühstücken, dein Fahrer will sicher bald weiter?“
„Aber nein, dem eilt es nicht. Nur der andere, der Herr mit dem roten Wagen...“
Regine zögerte.
„Will er noch was.?“
„Ich habe nicht gefragt.“
„So, aber?“
„Er ist, glaube ich, mein Onkel“, sagte Regine langsam. „Er sagte jedenfalls zu mir...“
„Kennst du ihn denn?“ fragte die Wirtin und sah Regine an. „Nein. Ich habe ihn noch nie gesehen. Aber er fragte mich, wie ich heiße, und als ich es sagte, meinte er, er hieße auch so. Und dann hat er mich ausgefragt.“
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