„Na, wird schon gutgehen“, brummte Herr Burger vor sich hin und schaltete. Es war doch recht einsam, wenn man so allein im Lastwagen saß. Na, vielleicht bekam er bald wieder eine Fracht für diese Gegend.
„Schaukeln wir jetzt wieder?“ fragte Hannesle, als der Wagen hinter dem Hügel verschwunden war. Regine lachte.
„Erst schlachten wir die Tafel Schokolade, die uns Onkel Burger geschenkt hat. Wollen wir? Nein, aber zuallererst trocknen wir dem Mützchen das Geschirr ab. Tust du mit? Natürlich kannst du das schon. Und dann schaukeln wir, und du zeigst mir alles, alles hier. Habt ihr auch Karnickel? Und Hühner? Was, einen Hund habt ihr auch? Darf der nicht ins Haus? Mützchen, warum darf der Waldi nicht ins Haus?“
Regine erwachte. Sie lag so unbequem, ganz zusammengerollt, obwohl der Diwan lang genug für sie war. Aber sie hatte gestern abend Hannesles Baukasten ans Fußende unter das Deckbett gestellt, damit sie sich nicht ausstrecken konnte. Ein paarmal war sie schon nachts aufgewacht, wenn sie sich daran stieß. Jetzt war es Morgen, man sah es am hellen Licht, das durch die Fenster drang.
Sie wollte ja zeitig aufstehen, deshalb hatte sie sich diesen merkwürdigen Wecker gestellt. Mützchen würde es nie erlauben, das wußte sie. Aber Mützchen konnte sich ruhig daran gewöhnen, daß sie jetzt eine große und tüchtige Tochter hatte. Alle Mütter sind müde und möchten manchmal länger schlafen, als sie dürfen. Nun würde Regine die Jungen frühmorgens versorgen.
Sie tappte schlaftrunken ins Bad und steckte ihr Gesicht in das Waschbecken. Brrrr! Aber munter machte das. Nun hieß es nur, leise sein. Wie ein Dieb in der Nacht schlich sie durch den Flur, horchte an der Schlafzimmertür – alles still – und öffnete sie ganz behutsam. Gleich bei der Tür auf der Kommode stand der Wecker. Ha, sie hatte ihn! Nun leise, leise wieder zugemacht.
Jetzt war alles gewonnen – oder doch die Hauptsache. Regine sprang schon viel unbefangener als vorhin die Treppe hinauf zum Bodenraum, wo in einer Mansardenstube die größeren Jungen schliefen. Hier mußte man herzhafter zu Werke gehen.
„Hallo! Aufgewacht! Es ist schon halb fünf!“ rief sie und pochte. Drinnen ertönte mißmutiges Gemurmel. „Seid ihr wach, oder muß ich noch einmal kommen?“
„Wir sind schon wach“, kam es verschlafen zurück. Regine huschte wieder treppab. Nun schnell das Wasser aufgestellt, das war das wichtigste. Jürgen und Dieter mußten eine warme Suppe haben, wenn sie solch einen langen Tag vor sich hatten.
Sie hatte alles mit den Jungen besprochen, schon Tage vorher, gestern aber ernsthaft. Mützchen sollte jetzt immer bis sieben Uhr schlafen dürfen. Wenn sie erst einmal sah, daß das ging – und es würde natürlich gehen, das war klar –, dann würde sie auch einwilligen. Nur durften die Jungen sie nicht im Stich lassen. Das taten sie auch nicht. Keine fünf Minuten waren vergangen, als sie auch schon erschienen. Dieter, noch im Schlafanzug, fuhr sich gähnend durchs Haar – er arbeitete abends meist noch lange in seinem Zimmer oben –, Jürgen munter und vergnügt in der Trainingshose. Sie waren vierzehn und fünfzehn Jahre alt. Jürgen nickte Regine einen kurzen Gruß zu und lief dann hinaus. Er konnte auf seinen Waldlauf sommers und winters nicht verzichten.
„Ach du lieber Himmel!“ rief sie plötzlich und stürzte zum Tisch hinüber und schlug dem Wecker auf den Kopf. Er hatte eben zu rasseln begonnen. Hoffentlich hatte es Mützchen nicht gehört! Ihn herauszuholen, das genügte selbstverständlich nicht, man mußte ihn auch hier zum Schweigen bringen. Morgen würde sie daran denken.
„Du bist ein Hauptkerl! Paß auf, jetzt ist sie doch aufgewacht. Sie hört durch drei eichene Bohlen, besonders das, was sie nicht hören soll“, behauptete Dieter und kramte nach seinem Handtuch, das hinter der Küchentür hing.
Regine öffnete die Tür spaltbreit und lauschte hinaus. Nein, gottlob nichts. Nun schnell die Suppe gekocht und die Brote zurechtgemacht.
So ganz ohne Panne ging es an diesem ersten Morgen doch nicht, aber Regine gab sich die größte Mühe, alles wieder auszugleichen. Sie war immer noch bange, daß die Jungen nicht einverstanden bleiben würden mit ihrem Plan, aber sie zeigten sich gutmütig und verständnisvoll. Regine stand am Gartentor und winkte ihnen nach, als sie davonradelten. Der Morgen war himmlisch schön, bei solchem Wetter war es wahrhaftig keine Strafe, so früh hinauszufahren.
Sonst aber – ach ja! Sonst schon! Das ganze liebe Jahr um halb sechs Uhr los, fünfzehn Kilometer, wie Herr Burger gesagt hatte, bergauf, bergab – ein passender Omnibus fuhr nicht, und zur Bahn war es auch so weit, daß man lieber die ganze Strecke mit dem Rad fuhr und das Fahrgeld sparte. Denn Geld war knapp im Westphalschen Haus wie in allen, wo es viele Kinder gibt.
Regine war, als die beiden hinter der Krümmung der Chaussee verschwunden waren, ins Haus zurückgeschlüpft. An der Schlafzimmertür blieb sie wieder horchend stehen. Drinnen rührte sich etwas. Sollte Mützchen aufgewacht sein?
Nein, das war Hannesle. Der süße kleine Kerl – aber wenn er jetzt loslegte mit der für seine vier Jahre viel zu tiefen Brummbärenstimme, dann machte er ihr einen Strich durch ihre ganze Rechnung. Regine hielt den Atem an und öffnete zum zweitenmal an diesem Morgen ganz, ganz leise die Tür. Drei Schritte barfuß, bis zum Bett des kleinsten Vetters, sie kannte den Weg ja so gut. Immer legte sie ihn schlafen und holte ihn wieder heraus – richtig, er rührte sich. Regine war genau in dem Augenblick bei ihm, als er sein tiefes „Mützchen“ herausdröhnen wollte, und hielt ihm den Mund zu. Dann lud sie ihn kurzerhand auf den Rücken. Er gehorchte, halb schlafend, und schmiegte sich an sie.
„So, mein Hannesle, warte, Regele trägt dich auf den Diwan! Dort kannst du schön weiterschlafen“, schmeichelte sie. Im Kinderzimmer schlief außer ihr noch Gottfried. Der ließ sich aber weder durch kaltes Wasser noch durch Kanonenschüsse wecken, ehe er richtig ausgeschlafen hatte. Regine brauchte gar nicht leise zu sein, als sie Hannesle auf den Diwan plumpsen ließ.
„So, jetzt kommt aber der olle Baukasten weg. Nein, mein Hannesle, den kannst du jetzt nicht kriegen. Jetzt wird noch einmal geschlafen, hörst du? Na warte, jetzt wacht Mützchen aber bestimmt nicht auf!“
Sie lachte und stopfte dem Kleinen die Bettdecke ringsum fest. Wenn er wirklich nicht wieder einschlief, war es auch nicht so schlimm, dann schnarchte er eben mittags etwas länger – nur hier festhalten durfte er sie nicht, und das versuchte er natürlich sofort.
„Regele, erzähl, bitte, bitte! Erzähl mir was!“
„Nachher“, flüsterte Regine, „nachher, Hannesle. Regele muß erst aufräumen, was von den Jungen noch alles herumliegt – und Frühstück machen. Was denkst du, was Mützchen sagt, wenn alles noch aussieht wie Kraut und Rüben!“
Sie mußte aber doch noch ein bißchen bleiben, und es hockte sich so gut hier, den Kleinen, der sich an sie herangekuschelt hatte, im Arm.
Nein, sie schlief schon nicht wieder ein! Ganz leise machte sie sich nach einer Weile los und schlüpfte hinaus. Jetzt schien die Sonne voll in die kleine, helle Küche hinein, und das Feuer brannte noch. Regine wusch sich nun richtig und ging dann mit einem fröhlich-eiligen und herzklopfenden Eifer daran, den Kaffeetisch zu decken und das Brot zu schneiden. Dabei behielt sie den Wecker im Auge, Mützchen und Onkel Hannes mußten natürlich zur rechten Zeit geweckt werden, sonst war es das letzte Mal, daß sie früh aufstehen durfte. Bald war Regine mit allen Vorbereitungen fertig, und sie hatte sogar noch eine Viertelstunde Zeit. Da begann sie ihren ersten Brief an Axel. Am Abend wollte sie ihn zu Ende schreiben, mit lustigen Zeichnungen zwischen den Zeilen.
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