Protokoll, verhandelt am Akademischen Gericht zu Bonn, den 26. November 1819. Präsentibus: Herr Professor Mittermaier, qua stellvertretender Syndikus: Oppenhoff, Universitätssekretär.
Der vorgerufene studiosus juris Harry Heine aus Düsseldorf, neunzehn Jahre alt, seit Michaelis d. J. in Bonn, gehörig die Wahrheit zu sagen ermahnt, nach vorgängiger Erklärung, daß er auf dem Kreuzberge am 18. Oktober gewesen sei, deponiert auf die Frage:
1 Wieviel Lebehoch wurden ausgebracht?ad. 1. „Ich erinnere mich an zwei; das erste dem verstorbenen Blücher und das zweite, wenn ich nicht irre, der deutschen Freiheit.“
2 Wurde der Burschenschaft kein Lebehoch gebracht?ad. 2. „Nein, ich erinnere mich nicht, ein solches gehört zu haben.“
3 Erinnern Sie sich noch an den Zusammenhang der gehaltenen Reden?ad. 3. „In der ersten Rede konnte ich keinen Zusammenhang finden, und den Zusammenhang der zweiten kann ich nicht angeben, weil ich mich nicht erinnere.“
4 Kamen in einer der Reden die Worte vor: „Auf uns ruht eine schwere Last?“ad. 4. „Diese Worte glaube ich gehört zu haben, den Zusammenhang kann ich mir aber nicht mehr ins Gedächtnis rufen.“
5 Geschah in einer der Reden am Schlusse die Frage, ob einer wäre, der sich dem Dienste für Vaterland usw. entziehen wolle?ad. 5. „Eine solche hervorstehende Frage erinnere ich mich nicht gehört zu haben.“
6 Kamen die Worte vor: „Auf uns hofft und wartet das Volk, um das gedrückte Vaterland vom Drucke zu befreien?“ad. 6. „Nein, solche Worte habe ich nicht gehört.“
7 Wissen Sie sonst nichts anzugeben?ad. 7. „Nein.“
8 Ist Ihnen nicht bekannt, daß über das Fest in der „Düsseldorfer Zeitung“ etwas stand?ad. 8. „Ich habe davon gehört.“
9 Von wem haben Sie das gehört?ad. 9. „In ‚vinea domini‘ [Wirtsgarten bei Bonn?] habe ich davon sprechen hören.“
10 Können Sie keine Spur angeben, durch wen nach Düsseldorf darüber geschrieben worden ist?ad. 10. „Ich habe den stud. Neunzig an einem Briefe nach Düsseldorf schreiben gesehen, und auf die Frage, was der lange Brief enthalte, gab Neunzig ganz unbefangen die Antwort, daß er die Burschenfeier einem Freunde beschreibe.“
11 Wissen Sie nicht den Namen des Freundes, an den er schrieb?ad. 11. „Nein.“
12 Wissen Sie nicht, was er geschrieben hat?ad. 12. „Nein, ich habe den Brief nicht gelesen.“
13 Haben Sie keinen Grund zu glauben, daß Neunzig den Brief absichtlich, damit er abgedruckt werde, nach Düsseldorf geschrieben hat?ad. 13. „Nein, das glaube ich nicht; Neunzig ist an sich schwatzseliger Natur.“
14 Hat sich Neunzig nicht gegen Sie geäußert, daß ihm das Fest mißfallen habe?ad. 14. „Nein.“
15 Wer ist denn sonst noch von Düsseldorfern hier auf der Universität?ad. 15. „Ich kenne sie nicht alle.“
16 Wissen Sie sonst nichts anzugeben?ad. 16. „Nein.“
1819/20
[Mitteilung Neunzigs an Strodtmann:] Dem Joseph Neunzig... passierte einst das Malheur, Harry beim Spiele durch einen Steinwurf so heftig am Kopf zu verletzen, daß das Blut aus der Wunde floß... Als er später auf der Universität Bonn Harry an jenen Steinwurf erinnerte, sprach dieser mit ironischem Lächeln: „Wer weiß, wozu es gut war! Hättest du nicht die poetische Ader getroffen und mir einen offenen Kopf verschafft, so wäre ich vielleicht niemals ein Dichter geworden!“
1819/20
Ein Israelit, welcher Medizin studierte, gestand, er zöge das Christentum dem Judentume vor und würde sich gern taufen lassen, wenn nur nicht das Dogma von der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria allzu fatal den Gesetzen der Wissenschaft widerspräche. Heine hörte aufmerksam zu, er sagte nichts, aber ein sarkastisches Lächeln umspielte seine Lippen. Überhaupt sprach er wenig; er war mehr Beobachter und Denker, als redseliger Teilnehmer an der allgemeinen Konversation; wenn er sich in letztere einmischte, geschah es meist durch kurze, schlagartig treffende Bemerkungen oder drollige Witze.
24. Johann Baptist Rousseau 174
Winter 1819/20
Heine, der sein Latein in Hamburg verschwitzt hatte, wandte sich damals an Professor Heinrich mit dem Gesuch, ihm einen Philologen zu empfehlen, der ihm beistände, das Versäumte nachzuholen. Heinrich wies ihn an mich. Wir lasen jeden Morgen von sieben bis acht erst den Sallust, dann den Virgil; allmählich rückte Heine, der damals in Bonn für einen äußerst närrischen Kauz galt und von den Studenten als Idiot zum besten gehalten wurde, mit Manuskripten und der Zeitschrift „Der Wächter“ heraus, legte mir Gedichte von Freudhold Riesenharf vor, den er für einen seiner intimsten Hamburger Freunde ausgab, und bat mich um ein Urteil darüber; ihm schienen sie keinen Schuß Pulver wert. Als ich, in Heine durchaus nicht den Verfasser vermutend, mein Entzücken darüber aussprach und trotz des bestimmtesten und wohl gar massiven Einsprechens Heines jenen Riesenharf für ein Genie erster Größe halten zu müssen erklärte, fiel Heine mir plötzlich wie wahnsinnig um den Hals, weinte und jubelte durcheinander, und es wiederholte sich jene Szene Anch’ io son pittore.
[Unter dem Pseudonym „Sy. Freudhold Riesenharf“ hatte Heine 1817 seine ersten Gedichte in „Hamburgs Wächter“ veröffentlicht. Auch Rousseau wurde Schriftsteller.]
25. Johann Baptist Rousseau 174
Winter 1819/20
Kleine, ziemlich muskulöse Gestalt; blonde Haare mit weißen durchmischt; hohe und bedeutsame Stirne; um den Mund immerwährend ein ironisches, gutmütiges Lächeln; die Hände hält er [Heine] meist auf dem Rücken und schlottert so einen Entengang dahin. Hält sich für schön und kokettiert im Spiegel heimlich mit sich. Er spricht gut und hört sich gern sprechen; so oft er einen Witz reißt, lacht er laut auf, dann wird seine Physiognomie, die sonst nichts auffallend Orientalisches hat, ganz jüdisch, und die ohnedies kleinen Augen verschwinden beinah.
26. Friedrich Steinmann 173
1819/20
Da er [Heine] mit A. W. v. Schlegel in nähere Bekanntschaft ... getreten war, so übergab er diesem das Manuskript [seiner Gedichte] zur Durchsicht; willig übernahm dieser dieselbe und erklärte ihm offen, was er dawider auszusetzen habe; er deutete seine Erinnerungen durch Bleistiftstriche in der Handschrift an, und als Heine also dieselben wiedererhielt, hatte er keine andere Beschäftigung, als alle die kleinen Mängel... auszumerzen und zu bessern ... Stundenlang brütete er über die Änderung eines Verses, und fühlte sich belohnt genug, wenn ihm die Korrektur gelungen, und Freunde ihm ihren Beifall zollten.
1820
Als Heine in Bonn studierte, trug er gewöhnlich einen Studentenrock von schwarzem Samt. Da der Rock ziemlich abgetragen war, so bestellte er bei seinem Schneider einen neuen Rock vom schönsten blauen Samt, und versprach seinem täglich kommenden Barbier seinen alten, welcher beständig im Vorzimmer an einem Nagel hing. Der Schneider brachte zur bestimmten Zeit den neuen schönen Rock und hing denselben an dem Nagel im Vorzimmer auf, von dem zufällig der alte Rock weggenommen war. Als Heine bald darauf rasiert wurde, sagte er dem weggehenden Barbier: „Heute können Sie den Rock draußen mitnehmen.“ Der Barbier dankte aufs verbindlichste, empfahl sich und nahm aus dem Vorzimmer den schönen neuen Rock mit.
Heine kleidete sich nun an, um in seinem schönen neuen Samtrocke spazierenzugehen, wozu ihn ein eintretender Freund einlud. Wie erschrak er, als sein neuer Rock weg war; er sagte aber nichts weiter als: „Hat der Barbier Glück!“ und zog den alten an.
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