Sie winkten ein Taxi heran und ließen sich zum Bahnhof fahren.
Drei Tage später rollte ein klapperiges Fahrzeug den steinigen Weg entlang, der von Punta aus nach Norden führte. Man sah es dem Vorkriegsbuick nicht an, das Ramblas. der Autospezialist, ihn drei Tage lang unter dem Schraubenschlüssel gehabt hatte. Das Ergebnis war, daß das Gefährt sich im unwegsamen Gelände so wohlfühlte wie eine Gemse auf dem Matterhorn.
Der rückwärtige Teil der Karosserie war abgesägt; statt dessen ragte dort ein Aufbau mit einer Plane empor.
Ramblas saß am Steuer. Manolete lag auf der Ladefläche und schnarchte. Rivera saß vorn und rauchte eine Zigarette nach der anderen.
Eine gnadenlos heiße Sonne knallte vom wolkenlosen Himmel Den Männern lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht.
Ungefähr sechzig Meilen nördlich von Punta schraubte der Weg sich in langen Serpentinen auf ein Hochplateau empor. Dahinter breitete sich ein flaches Tal aus, mit spärlichem Grün bewachsen.
Ramblas trat auf die Bremse. Dröhnend starb der Motor ab. Er wies mit der Hand geradeaus.
„Dort ist es“, erklärte er.
Im Tal vor ihnen lagen ein paar flache, weiße Gebäude. Etwas abseits von ihnen erstreckten sich große, eingezäunte Flächen, auf denen in regelmäßigen Abständen Zementklötze standen, die wie Bienenkörbe aussahen.
Die Federn des Buick ächzten. Manolete richtete sich verschlafen auf.
„Escribanos Schlagenfarm“, grunzte er. „Dort lagert genug Gift. halben Kontinent umzubringen.“
„Es würde genügen, dich umzubringen, um das Land zu verschönern“, erwiderte Rivera boshaft. Er nahm ein Zeissglas und stellte es auf die Häuser ein. Nach ein paar Sekunden murmelte er: „Der alte Escribano scheint nicht da zu sein. Ich kann seinen Wagen nicht sehen.“
„Siehst du den Wagen der Tochter?“ erkundigte Ramblas sich.
Rivera nickte.
„Ein weißer MG. Er steht auf dem Parkplatz. Demnach ist sie auch zu Hause.“
Ramblas griff nach dem Anlasser.
„Vorwärts“, sagte er. „Ich hoffe, ihr wißt, was ihr zu tun habt“
„Schon gut“, brummte Rivera und langte nach einer Maschinenpistole. die unter dem Sitz lag. Sorgfältig überzeugte er sich davon, daß die Waffe schußbereit war.
Der Buick ratterte den Weg hinunter, eine lange Staubfahne hinter sich lassend. Eine halbe Stunde später erreichten sie den Vorplatz der Farm. Ächzend schoben sie sich aus dem Buick.
Ein weißgekleideter Diener kam die Freitreppe herunter.
„Señores, was wünschen Sie?“ fragte er.
„Wir sind Scherenschleifer“, grinste Rivera ihn dreist an. „Haben Sie etwas zu schleifen? Messer, Macheten, Scheren?“
„Einen Augenblick!“ Der Diener verschwand im Haus und kam kurz darauf mit einem anderen zurück. Die beiden blieben auf der Treppe stehen und palaverten miteinander. Mißtrauisch beäugten sie die drei Männër. Dann kam der Weißgekleidete zurück.
„Nein“, sagte er. „Wir haben nichts zu schleifen.“
„Hohlkopf“, brummte Manolete. Seine Faust schoß vor. Es gab einen kurzen, trockenen Laut; der Mann kippte lautlos um.
Sein Kollege auf der Treppe öffnete den Mund, um zu schreien, aber er kam nicht dazu. Rivera brachte seine Maschinenpistole zum Vorschein und richtete sie drohend auf ihn. Im nächsten Augenblick war Manolete auf der Treppe. Mit einem einzigen rechten Haken schickte er den Mann zu Boden.
Während Ramblas sich mit einem Revolver vor dem Eingang postierte, stürmten Manolete und Rivera in das Gebäude.
„Warte hier auf mich“, rief Manolete und nhm mit ein paar Sätzen die Treppe. Oben stieß er auf einen weiteren Dfener. Seine Rechte arbeitete mit der Präzision eines Dampfhammers.
Lauernd sah Manolete sich um. Jetzt hörte er Klavierspiel. Es kam aus dem hintersten Zimmer. Er ging den Gang hinunter und öffnete die Tür.
Mit einem jähen Akkord brach das Spiel ab. Isabel Escribano, die Tochter des Schlangenzüchters, fuhr herum.
Sie war etwa zwanzig Jahre alt. Ihre grünen Augen. die seltsam zu ihrem Aaar kontrastierten, weiteten sich entsetzt.
„Tut mir leid, Señorita“, grinste Ma nolete. „Ich muß Sie mitnehmen.“
Mit einem Satz sprang das Mädchen auf. Sie versuchte, ihren Revolver zu erreichen, der auf dem Fensterbrett lag. Aber Manolete war schneller. Er umschlang sie und hob sie auf.
„Nicht so wild“, brummte er. „Wir werden uns noch aneinander gewöhnen müssen.“
Sie wehrte sich verzweifelt, aber plötzlich erstarrte sie. Durch die Halle peitschten Schüsse.
Auf der Treppe kam ihnen Rivera entgegen, die rauchende Maschinenpistole in der Hand.
„Beeil’ dich“, sagte er nervös.
Draußen hatte Ramblas den Wagen bereits angelassen. Als sie einstiegen, wurde oben ein Fenster geöffnet und ein Gewehrlauf herausgeschoben. Rivera reagierte blitzschnell. Er riß die Maschinenpistole hoch. Ein langer Feuerstoß zuckte aus dem Lauf.
Das Gewehr oben verschwand, Glas klingelte nach unten.
Der Motor des Buick heulte auf. Kies spritzte unter den Rädern weg, als der Wagen mit einem Satz ansprang und davonjagte. Auf der Ladefläche lag Rivera. Unablässig feuerte er.
Die wenigen Kugeln, die ihnen nachgeschickt wurden, verfehlten ihr Ziel.
Als die kopflose Dienerschaft endlich auf den Gedanken kam, die Polizei in Punta anzurufen, stellte sie fest, daß das Telefon tot war. Die Kabel waren durchschnitten.
Keiner wagte es, die Verfolgung aufzunehmen oder nach Punta zu fahren.
So waren die Kidnapper längst über alle Berge, als eine Stunde später Miguel Escribano, der Besitzer der Schlangenfarm, zurückkehrte.
Escribano tat alles menschenmögliche, um seine Tochter wiederzufinden. Er raste nach Punta und alarmierte die Polizei. Suchkommandos wurden gebildet; alle Straßen abgesperrt und kontrolliert; berittene Patrouillen drangen bis in die entlegensten Dörfer vor und stellten Nachforschungen an. Sogar ein Armeehubschrauber kam aus Mexico City und suchte das Gelände nach dem Buick ab.
Die Fahndung war ergebnislos. Da erinnerte Escribano sich einer Adresse, die ihm ein Geschäftsfreund im benachbarten Texas einmal gegeben hatte.
Er jagte ein Telegramm nach New York City, Bronx. Dort, in der- Gun Hill Road 234, wohnte der Mann, auf den er seine letzte Hoffnung setzte.
Joe Barry, genannt Kommis sar X.
*
Die Maschine der Panamerican setzte sanft auf der Piste auf und rollte aus. Die Passagiere schnallten sich los.
Als Joe Barry die Tür erreichte, prallte er zurück. Die Hitze draußen traf ihn wie ein Schlag. In New York war es kühl gewesen, als er abflog.
Er schloß sich den anderen Passagieren an, die im Gänsemarsch auf die Zollabfertigung zumarschierten.
„Etwas zu verzollen?“ erkundigte der Beamte sich.
„Zwei Pfund Heroin, ein pornographisches Buch und zwei Pistolen“, gab Joe bereitwillig Auskunft.
Der Beamte malte kopfschüttelnd sein Kreidezeichen auf den Handkoffer, den Joe als einziges Gepäck mit sich führte. Amerikaner, dachte er. Müssen immer ihre Witze reißen.
In der modernen Halle des Flughafens sah Joe sich um. Er brauchte nicht lange zu warten. Ein kleiner, dicker Mann schälte sich aus der geschäftig hin- und herflutenden Menge und steuerte Joe an.
„Mr. Walker?“ erkundigte er sich.
„In Person“, erklärte Joe.
Der Kleine streckte ihm die Hand hin und atmete erleichtert auf.
„Willkommen in Mexiko. Ich bin Miguel Escribano.“ Er wies auf einen großen, hageren Burschen mit dunklem Gesicht, der ihm gefolgt war. „Das ist Juan Armandos“, stellte er den Mann vor. „Mein Gehilfe. Er ist mir unentbehrlich, gewissermaßen meine rechte Hand.“
Joe schüttelte auch ihm die Hand. Mit einem raschen Blick musterte er den Mexikaner. Was er sah, gefiel ihm nicht. sonderlich. Ein verschlagenes Gesicht mit unruhig hin- und herhuschenden Augen.
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