Marie Louise Fischer
Roman
Saga Egmont
In zweiter Ehe
In zweiter Ehe
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, ( www.marielouisefischer.de)
represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de)
Originally published 1981 by Moewig Verlag, Germany
Copyright © 1981, 2017 Marie Louise Fischer Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711718957
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com
»Ich könnte den Kerl erschlagen!« sagte Rechtsanwalt Dr. Kreuger in hellem Zorn. Er ging mit raschen Schritten, die Hände auf dem Rücken, in dem behaglich und sehr geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer auf und ab – ein dunkler, schlanker Mann, hinter dessen schmächtiger Figur sich ungeheure Energie und Zähigkeit verbargen.
Seine Frau stand am offenen Kamin und schob die brennenden Holzscheite mit der Feuerzange zurecht. Jetzt sah sie zu ihm auf. »Aber, Friedrich, wie kannst du! Wenn Birgit dich gehört hätte!«
Er blieb vor ihr stehen. »Ich dachte, sie wäre nach oben gegangen?«
»Ja, sie macht sich frisch. Aber sie kann jeden Augenblick hereinkommen.«
»Es würde ihr nicht schaden, die Wahrheit zu hören«, sagte Rechtsanwalt Kreuger, aber er senkte doch unwillkürlich seine Stimme.
Seine Frau hatte die Feuerzange wieder auf den schmiedeeisernen Ständer gehängt; sie setzte sich auf den hochlehnigen Gobelinsessel vor das Feuer. »Du solltest nicht so hart urteilen, Friedrich«, sagte sie. »Wenn du diesen Mann erst einmal kennenlernst, wirst du vielleicht deine Meinung ändern.«
»Den Gefallen tu’ ich ihm nicht, darauf kannst du dich verlassen, Sabine. Was ich bis jetzt von ihm weiß, genügt mir völlig. Sein ganzes Vorgehen ist einfach verantwortungslos.«
»Vielleicht liebt er Birgit wirklich«, wandte Sabine ein.
»Liebe! Ach, erzähl mir nichts! Liebe! Das glaube ich nicht!« Rechtsanwalt Kreuger begann wieder unruhig im Raum auf und ab zu gehen. »Ich wundere mich über dich, Sabine, ich wundere mich sogar sehr. Ich hätte nie gedacht, daß diese unglückselige Geschichte dich so kalt lassen würde. Anscheinend ist es dir völlig gleichgültig…«
»Nein«, unterbrach sie ihn, »du weißt ganz genau, daß es nicht so ist. Ich hätte mir wahrhaftig gewünscht, daß Birgit sich in einen netten, anständigen jungen Mann… ich meine, in einen Mann ohne familiäre Bindungen verliebt. Aber das Leben richtet sich nun einmal nicht nach unseren Wünschen. Ich fürchte, wir werden uns mit Birgits Wahl abfinden müssen.«
»Niemals!« sagte Rechtsanwalt Kreuger heftig. »Niemals werde ich zulassen, daß Birgit sich an einen geschiedenen Mann wegwirft.«
»Friedrich«, sagte sie, »ich bitte dich! Wenn man dich so reden hört… Glaubst du wirklich, daß man einen Menschen vor sich selber schützen kann?«
»Wir müssen es«, sagte er hartnäckig. »Wir sind ihre Eltern, und wir sind für sie verantwortlich.« Er blieb einen Augenblick lauschend stehen, aber es war nichts zu hören, bis auf das Prasseln der Flammen im Kamin. »Wo bleibt sie nur?« fragte er ungeduldig. »Herrgott, ich möchte diese Sache wirklich bald hinter mir haben!«
Er öffnete die Tür eines schweren norddeutschen Bauernschranks, hinter der sich die Hausbar verbarg, holte eine angebrochene Flasche Whisky und einen geschliffenen Kristallbecher heraus, schenkte sich zwei Finger breit ein und trank. Dann erst fiel ihm ein, seine Frau zu fragen: »Möchtest du auch?«
Sabine schüttelte den Kopf mit dem gepflegten weißen Haar, das in vorteilhaftem Kontrast zu der Frische ihres rosigen, immer noch jungen Gesichtes stand. »Nein, danke, nicht gerade jetzt.«
Als Birgit nach einem heißen Bad und einer kalten Dusche aus der Wanne stieg, fühlte sie sich sehr erfrischt. Sorgfältig rieb sie ihren Körper mit dem großen, angenehm rauhen Badetuch trocken. Sie wollte sich ihr Körperöl aus der Toilettentasche holen, als sie die Flasche mit dem Zitronenöl auf der Glasplatte über dem breiten Waschbecken sah. Birgit wußte sofort, daß die Mutter diese Flasche nur für sie dorthin gestellt hatte. Sie hatte es längst vergessen, aber plötzlich fiel ihr wieder ein, wie sehr sie als junges Mädchen den Geruch des Zitronenöls geliebt hatte. Jetzt benutzte sie längst eine französische Marke, die mit ihrem Parfum harmonierte, aber gerade deshalb fand sie die Aufmerksamkeit ihrer Mutter rührend. Sie brachte es nicht übers Herz, sie zu enttäuschen, schraubte die Flasche mit dem Zitronenöl auf und begann, ihre langen, schlanken Glieder mit kreisenden Bewegungen einzuölen. Der vertraute, längst vergessene Geruch weckte tausend Erinnerungen. Birgit fühlte sich auf seltsame Weise um Jahre zurückversetzt. Mit einer trockenen Bürste massierte sie das Öl tief in die Haut, schlüpfte in ihren Bademantel und lief die wenigen Schritte über den Flur in ihr Zimmer, dieses Zimmer, das für sie als junges Mädchen Freude und Stolz gewesen war.
Birgit wußte noch, wie sie selber mit Säge und Hobel das Bett in eine Couch verwandelt hatte, erinnerte sich genau an ihren siebzehnten Geburtstag, an dem ihr Vater ihr den hübschen kleinen Nußbaumschreibtisch geschenkt hatte, an dem sie in so vielen Nächten voller Feuereifer geschrieben hatte, überzeugt, etwas Großes zu vollbringen.
Birgit konnte der Versuchung nicht widerstehen, die Schreibtischschublade aufzuziehen. Sie wußte, hier mußte noch ein angefangenes Manuskript liegen, das letzte, das sie vor ihrem Weggang nach München begonnen hatte. Alle früheren Arbeiten hatten ihren Ansprüchen nicht genügt; sie hatte sie feierlich verbrannt. Sie nahm das mit der Schreibmaschine geschriebene Manuskript in die Hand, las den Titel »Liebe ohne Gnade«, überflog die ersten Seiten und errötete und lächelte gleichzeitig. Wie hatte sie je so dummes Zeug verbrechen können! Es hatte ein Roman voll Leidenschaft und tiefer Gefühle werden sollen, aber alles las sich jetzt übertrieben, falsch, unerträglich sentimental. Bei jedem Wort spürte sie, daß sie damals, vor vier Jahren, noch nichts vom Leben und nichts von der wirklichen Liebe verstanden hatte.
Sie legte das Manuskript aus der Hand, kramte weiter, fand einen Schnellhefter, in dem fein säuberlich alle Artikel eingeklebt waren, die sie während ihrer Schulzeit veröffentlicht hatte. Es waren kaum zehn, und dennoch erinnerte sie sich noch deutlich, wie stolz sie damals gewesen war. Welch ein Triumph, als der Geldbriefträger ihr für ihren ersten Aufsatz zwanzig Mark ins Haus gebracht hatte! Heute konnte sie nur noch darüber lächeln, und dennoch spürte sie, daß es der Anfang einer Entwicklung gewesen war, deren Gipfel sie heute bei weitem noch nicht erreicht hatte.
Mit einem kleinen Seufzer legte sie alles wieder in die Schublade zurück. Es war töricht, sich gerade jetzt in Erinnerungen zu versenken, wo so viel auf dem Spiel stand. Sie mußte einen klaren Kopf behalten, mußte überlegen, wie sie den Vater überzeugen konnte. Noch als sie auf dem Hamburger Hauptbahnhof aus dem Zug gestiegen war, hatte sie fest geglaubt, bei ihren Eltern Verständnis zu finden.
Die unverhohlene Mißbilligung, die ihr Vater ihrem Heiratswunsch entgegengebracht hatte, kam für sie völlig überraschend.
Birgit hatte ihre Eltern für moderne, aufgeschlossene Menschen gehalten; plötzlich erschienen sie ihr in einem ganz neuen Licht. Vielleicht hatten die Jahre der Fremde sie selber verändert, ohne daß sie es gemerkt hatte. Sie war aus der festgefügten bürgerlichen Welt ihres Elternhauses herausgewachsen. Die Eltern, so schien es ihr, waren ohne Einsicht und voller Vorurteile. Dennoch konnte sie nicht böse auf sie sein, nicht einmal über sie lächeln. Selbst wenn man sich auseinandergelebt hatte, so liebte und achtete sie ihre Eltern noch genauso wie in den Tagen ihrer Kindheit. Es tat ihr weh, sie um ihretwillen leiden zu sehen. Aber sie hatte keine Wahl, sie mußte es durchstehen – um ihrer Liebe willen.
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