Als ich den Boden unter meinen Füßen spürte, wusste ich, dass ich gelandet war. Dann blickte ich an mir hinab und sah, dass meine Flügel noch weit gespreizt waren, und bemerkte auch, dass sich etwas zwischen meinen Federn bewegte. Ich beugte meinen Kopf, um meine Flügel zu untersuchen, und fand Babys, die sich dort niederließen! Unter meinen Flügeln versammelten sich die Jungen aller Arten – Neugeborene, Kätzchen, Welpen, verschiedene Kleintiere. Als ich auf diese seltsame Szene blickte, fiel mir wieder ein, dass ich in der Nacht zuvor so etwas geträumt hatte. Und jetzt war es hier! Meine Flügel waren so weit gespreizt, dass Hunderte von Jungen dort Zuflucht finden konnten. »Oh!« rief ich aus: »Wenn alle Vögel hier dasselbe täten, würde alles auf der Erde genährt werden.« Und dann dämmerte es mir. »Großmütter«, fragte ich, »ist das meine Arbeit? Ist es das, was ihr mir zeigt?«
Die Großmütter konnten sich vor Lachen kaum halten und gestikulierten. »Hättet ihr gedacht, dass sie jemals dahinterkommen würde?«fragten sie. Allerdings war ich immer noch zu verwirrt, um in ihr Lachen einzufallen. »Großmütter«, seufzte ich, »ich bin es leid, hinter all dem einen Sinn zu suchen; ich verstehe es immer noch nicht. Alles, woran ich denken kann, ist, dass ich eine Gruppe leiten soll und dass wir nährend tätig sein sollen.« Sie schwiegen, nickten aber verständnisvoll. Dann beugten sie ihre Schultern vor, hefteten ihre Blicke auf mich und schauten mich erwartungsvoll an.
»Oh!« flüsterte ich, als das Verständnis endlich kam: »Es geht um das Ausbreiten der Flügel, nicht wahr?« fragte ich. »Ich muss allen von der Kraft in diesen Flügeln erzählen.« »Ja!«riefen sie und waren erleichtert, dass ich endlich anfing zu begreifen, worum es bei dieser Lektion ging. »Lehre das die Frauen. Sie können zu großen Vögeln werden und erleben, was es bedeutet, andere zu schützen und ihnen eine Zuflucht zu sein. Das Unterbewusstsein versteht Sinnbilder, denn wenn es auch nicht auf Worte achtet, spürt und kennt es die Kraft einer großen Spannweite. Es versteht, dass Flügel dem Schutz und dem Genährtsein dienen«, sagten sie. Wieder machten sie die Kraft von Yin anschaulich.
»Sprich zuerst von der Macht der Symbole«, sagten sie. »Nimm den Krug und den Becher, das Netz aus Licht und unsere anderen Lehren als Beispiele. Der große geflügelte Vogel ist ein weiteres. Dieses Sinnbild wird sie in ihre Eigenmacht bringen«, sagten sie und nickten weise. »Es wird sie davon frei machen, sich allein zu fühlen, indem es sie ihre Verbindung miteinander und das gemeinsame Ziel erfahren lässt. Auf diese Weise werden sie zu Werkzeugen der Bemutterung, des Genährtseins und des Schutzes.
Wenn sie sich auf ihre Flügel konzentrieren«, sagten die Großmütter, »sollen sie unser Licht spüren, das durch sie hindurchleuchtet, denn unsere Arbeit beruht auf Dienen; die Kraft in diesen Flügeln wird dem größeren Wohl dienen. Die Flügel sind das Vehikel für Kraft und Fürsorge auf der Erde.«
Dann zeigten sie mir mein menschliches Selbst, wie es vor der Gruppe von Frauen in Laguna Beach steht und wie ein Vogel im Flug mit den Flügeln schlägt. Es sah lächerlich aus, und als ich mich so sah, schaute ich die Großmütter flehentlich an. »Zwingt mich nicht dazu«, sagte ich mit den Augen. Sie schürzten ihre Lippen, wandten den Blick ab und sagten: »Lass sie es versuchen, und du probierst es mit ihnen. Doch, doch«, sagten sie über mein Aufbegehren, »du musst es erst vormachen, um ihnen zu zeigen, wie es geht. Viele dieser Frauen haben diese Kraft in sich selbst noch nie gespürt. Bitte sie, mit ausgestreckten Armen zu stehen und dies schweigend zu tun. Wir werden dich führen.«
»Ich werde es versuchen«, sagte ich und fand mich damit ab, wie ein Narr auszusehen. »Ja, versuche es«, antworteten sie. »Hmmm«, murmelte ich. »Wenn wir alle das mit geschlossenen Augen tun, würde es uns vielleicht leichter fallen.« Ich überlegte, als ich die Großmütter sagen hörte: »Bedecke die Welt.«Schnell blickte ich auf, aber ihre Blicke waren nicht auf mich gerichtet, sondern auf den Horizont. Sie schienen etwas da draußen zu beobachten.
»Diese Arbeit, die wir mit euch tun, ist Teil einer Bewegung, nicht wahr, Großmütter?« fragte ich sie, selbst überrascht von der Idee, die mir plötzlich in den Sinn gekommen war. »Ja«, sagten sie. Dann drehten sie sich um und zeigten auf einen Vogel, der ganz still auf einem Ast in unserer Nähe saß. Ich beobachtete diesen Vogel einige Augenblicke lang: Er rührte sich nicht, bis er ohne Vorwarnung davonflog. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich ein Lächeln, das die Münder der Großmütter umspielte, und als ich mich an sie wandte, brachen sie in Gelächter aus. »Eine Bewegung«, sagte ich zu ihnen, »Großmütter, ich verstehe. Der Vogel bewegte sich. Das ist eine Bewegung, nicht wahr?« »Ja«,sagten sie noch einmal und sahen ein wenig selbstgefällig aus. Die Großmütter lieben es, mit Worten zu spielen.
Nun zeigten sie auf eine andere Szene. Diesmal standen die Frauen zusammen unter den Bäumen in meinem Hintergarten, und als ich hinschaute, sah ich einen Lichtschein, der in jeder Frau und um sie herum leuchtete. Das Licht wurde so hell, dass ich die Gestalt, die es umschloss, kaum erkennen konnte, und ich starrte mit so viel Konzentration, dass ich vergaß zu atmen. Als ich merkte, dass ich den Atem angehalten hatte, atmete ich bewusst aus und dann tief wieder ein, und als ich das tat, streckte sich mein Rücken, während meine Arme zu ungeheurer Reichweite anwuchsen. Ich blickte überrascht auf die Großmütter, und sie sagten lachend: »Diese Arbeit wird deine Vorstellung davon, wer du bist, erweitern, dir deine wahre Größe zeigen.«
Da hörte der Trommelschlag auf, und als sein Rhythmus wieder schneller wurde und mir signalisierte, in die Alltagswirklichkeit zurückzukehren, tat es einen Schlag auf mein Drittes Auge. Dieser Rhythmus hallte durch meinen ganzen Körper, und konzentrische Lichtringe begannen sich von meiner Stirn zu lösen, was mir ein seltsames Gefühl von Kreisen und Ausdehnung gab. Und in diesem angenehmen, aber seltsamen Zustand verbeugte ich mich vor den Großmüttern und verabschiedete mich fürs erste. Adler würde mich begleiteten, und als ich die Großmütter zum Abschied anschaute, sah es so aus, als würde Adler lächeln. »Was?« staunte ich. »Adler lächeln nicht«, aber als ich im Wipfel meines Baumes landete, sah ich mich selbst und lächelte auch. Ich sah aus wie ein großer weißer Reiher.
Beim nächsten Großmüttertreffen tat ich genau das, was sie gesagt hatten – vermittelte die Kraft des Bildes des Vogels mit den ausgebreiteten Flügeln. Wir standen draußen und übten es. Zuerst schlossen wir die Augen und meditierten darüber, wie ein großer Vogel seine Flügel ausbreitet, und dann öffneten wir unsere eigenen Arme (Flügel) auf dieselbe Weise. Zuerst fühlte ich mich unwohl, da stand ich vor vierzig Frauen, und für einen Moment musste ich fast nervös loslachen. Aber ich tat es nicht, und sie auch nicht.
Die Großmütter hatten recht. In dieser Haltung steckte Kraft, und als wir mit ausgestreckten Oberarmen dastanden und unsere Ellenbogen so gedreht hatten, dass unsere Handflächen nach oben zeigten, spürten wir das Herrschaftliche in dieser Haltung. Sie gab uns ein Gefühl von Majestät und Königtum. Das war die Haltung der alten Göttin von Kreta mit den sich um ihre Arme windenden Schlangen. Wir spürten die Kraft der Haltung, und weil wir diese Übung gemeinsam durchführten, war die Erfahrung um so stärker.
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