In jeder dieser Phasen gilt es, Konflikte zwischen Befriedigungsbedürfnissen des Es und den Gegebenheiten der Umwelt zu lösen. Die Art und Weise, wie der Mensch das tut, formt seine Persönlichkeit. Erfährt ein Mensch zu viel oder zu wenig Befriedigung seiner Bedürfnisse während einer dieser Phasen, entwickelt er eine Fixierung, die jeweils mit dauerhaften Persönlichkeitsmerkmalen verbunden ist. Ist die Person dann später als Erwachsener Belastungen oder psychosozialem Stress ausgesetzt, kehrt er wieder zu diesem Stadium zurück. Man spricht dann in der psychoanalytischen Terminologie von „Regression“. Eine Fixierung in der analen Phase (Phase der Sauberkeitserziehung) kann nach Freud z. B. zu einer Zwangsstörung und Geiz führen. Psychodynamische Behandlungen zielen daher vor allem darauf ab, diese verdrängten Konflikte bewusst zu machen.
Freud hat seine Theorie aufgrund einzelner Beobachtungen vor allem seiner eigenen Kinder sowie in Therapiesitzungen entwickelt und wurde deshalb oft als „unwissenschaftlich“ kritisiert (z. B. da es eine kleine „Stichprobe“ ist, die zudem nicht repräsentativ ist, da sie sich auf gebildete und reiche Wiener – seine PatientInnen – bezog und er zudem nicht nach formalen wissenschaftlichen Standards, z. B. mit Experimenten, arbeitete. Darüber hinaus waren seine Daten nicht objektiv und wenig nachvollziehbar, da er während seiner Therapiesitzungen nur wenige Aufzeichnungen machte). Dennoch ist der Beitrag Freuds gewaltig und spielt auch weiterhin in der klinischen Psychologie eine große Rolle. Beispielweise gehen allgemein anerkannte Annahmen, wie z. B. dass (frühe) Kindheitserfahrungen zur Persönlichkeitsbildung des Erwachsenen beitragen, dass unser Verhalten durch unbewusste Prozesse gesteuert wird sowie dass Ursachen und Zweck menschlichen Verhaltens nicht immer offenkundig und von außen unmittelbar erkennbar sind, auf Freuds frühe Erkenntnisse und Theorien zurück.
Davison, Neale & Hautzinger (2007): Klinische Psychologie:
Kapitel 2.2 „Das psychodynamische Paradigma“ (S. 23–36)
2.2 Lerntheoretisches Modell
Dem lerntheoretischen Modell zufolge wird abweichendes Erleben und Verhaltennach den gleichen Prinzipien erlerntwie normales Verhalten. Zu diesen Prinzipien gehört zum einen die klassische Konditionierung nach Iwan Pawlow (1849–1936). Dabei kann ein ursprünglich neutraler Reiz (z. B. ein Glockenton) eine konditionierte Reaktion (z. B. Speichelfluss beim Hund) hervorrufen, wenn der neutrale Reiz mehrfach mit einem unkonditionierten Reiz gepaart auftritt, der diese Reaktion automatisch ohne vorheriges Lernen auslöst (z. B. Futter).
Klassisches Experiment nach Pawlow:
1. Futter löst beim Hund Speichelfluss aus
2. Glockenton (= neutraler Reiz) löst keinen Speichelfluss aus
3. Futter wird mehrfach unmittelbar nach Glockenton dargeboten: löst Speichelfluss aus
4. Nur Glockenton löst Speichelfluss aus
Ein weiteres Lernprinzip ist das operante Konditionieren nach Skinner (1904–1990). Danach tritt ein Verhalten wahrscheinlicher auf, wenn es zu angenehmen Konsequenzen führt ( positive Verstärkung ) bzw. wenn es unangenehme Konsequenzen beendet ( negative Verstärkung ). Eine Ratte lernt so z. B. einen Hebel im Käfig zu drücken, wenn sie dafür Futter bekommt oder wenn Stromschläge dafür ausbleiben. Ein Verhalten tritt weniger wahrscheinlich auf, wenn es zu unangenehmen Konsequenzen führt (positive Bestrafung) bzw. wenn es positive Konsequenzen entzieht (negative Bestrafung).
Am Beispiel der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Angststörung (Panikstörung) lassen sich diese Lernprinzipien auf eine psychische Störung bezogen veranschaulichen:
(Nach der Zwei-Faktoren-Theorie von Mowrer, 1947)
A: Entstehung der Angst: Klassisches Konditionieren
1. Bus fahren: keine Angstreaktion
2. Plötzliches Auftreten einer Panikattacke beim Bus fahren: unkonditionierte Angstreaktion
3. Bus fahren: konditionierte Angstreaktion (d. h. die Angst wird an das Bus fahren gekoppelt und in Zukunft bekommt die Person Panikattacken im Bus)
Bezogen auf die Angststörung wird die Aufrechterhaltung der Angst mit dem operanten Konditionieren erklärt:
B: Aufrechterhaltung der Angst: operantes Konditionieren
Das Busfahren und die konditionierte Angstreaktion sind unangenehm und stellen damit negative Konsequenzen dar. In der Folge wird das Busfahren in Vorausahnung der unangenehmen Angstreaktion vermieden. Das Meiden des Busfahrens wird durch das Ausbleiben der Angstreaktion belohnt und damit verstärkt. Dadurch wird das Verhalten über die Zeit sehr stabil und die Person betritt keinen Bus mehr.
Ein weiteres wichtiges Prinzip innerhalb der lerntheoretischen Theorien ist das Modelllernen nach Bandura (1968), bei dem Verhalten durch Beobachtung und Nachahmung anderer erlernt wird. Z.B. können ursprünglich furchtlose Kinder am Modell ihrer Eltern, die jedes Mal hysterisch aufschreien, wenn sie eine Spinne sehen, eine Phobie vor Spinnen entwickeln. In einer Verhaltenstherapie wird versucht, solche Verhaltensstörungen zu verlernen und gewünschtes Verhalten zu erlernen.
Die Kritik am lerntheoretischen Modell ist jedoch, dass Störungen nur auf beobachtbares Verhalten zurückgeführt und z. B. biologische Prozesse außer Acht gelassen werden.
Davison, Neale & Hautzinger (2007): Klinische Psychologie:
Kapitel 2.4 „Lerntheoretische Paradigmen“ (S. 40–47)
Das kognitive Modell rührt vom Begriff „Kognition“: Prozesse des Wahrnehmens, Erkennens, Begreifen, Urteilens und Schließens. Demnach entstehen psychische Störungen durch dysfunktionale Kognitionenund werden durch sie vor allem auch aufrechterhalten. So haben Depressive z. B. die Überzeugung, dass sie keinen Einfluss auf ihre Umgebung haben ( Theorie der erlernten Hilflosigkeit ). In der kognitiven Verhaltenstherapie werden solche Denkmuster identifiziert und verändert.
Die Kritik am kognitiven Modell ist, dass es zu sehr die aufrechterhaltenden Kognitionen für psychische Störungen fokussiert, aber deren Ursachen z. B. in der Biografie des Betroffenen vernachlässigt.
Davison, Neale & Hautzinger (2007): Klinische Psychologie:
Kapitel 2.5 „Das kognitive Paradigma“ (S. 47–50)
2.4 Soziokulturelles Modell
Auch soziale Faktoren können die Entstehung und den Verlauf einer psychischen Störung beeinflussen. Diese sozialen Faktorenkönnen entweder in der direkten sozialen Umgebung(z. B. begünstigt ein feindseliger Kommunikationsstil in der Familie das Auftreten einer Schizophrenie) oder in größeren gesellschaftlich-soziodemografischen Faktoren(z. B. der Zugehörigkeit zu einer niedrigen sozialen Schicht) liegen. Es sind bisher jedoch nur wenige Wirkzusammenhänge zwischen sozialen Faktoren und der Entstehung psychischer Störungen eindeutig nachgewiesen. Einige Therapieverfahren machen sich spezifische Einflussfaktoren vor allem aus der direkten sozialen Umgebung, z. B. durch Analyse der Kommunikationsmuster innerhalb der Familie oder der Funktion bestimmter „Symptome“ dennoch im Rahmen einer Familientherapie oder systemischen Therapie zunutze.
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