«Ich hab kein gutes Leben geführt. Du liebst mich, und ich habe kein Recht, dir das zu verheimlichen. Vielleicht wird dir die Wahrheit bitter vorkommen, doch nur bittere Kerne bringen süßes Obst hervor. Ich müßte lügen, wenn ich behaupten würde, daß du auch für mich der erste gewesen bist. Keineswegs, denn mich haben, leider, auch einige andere gehabt. Doch ebenso mußt du wissen, daß keiner von ihnen eine tiefere Spur als ein Regentropfen oder eine Schneeflocke auf mir hinterlassen hat. Manchen habe ich bereits vergessen, noch ehe er sich mir vorstellen konnte. Sie nahmen sich meinen Körper, und ich habe sie daran nicht gehindert, weil ich wußte, daß sie damit nur um so schneller für alle Zeit aus diesen vier Wänden wie aus meinem Leben verschwinden würden. Wie eine Besessene habe ich sie gewechselt, um desto eher in ihrer Vielzahl jemanden wie dich zu entdecken. Und du bist endlich gekommen und hast mich nicht genommen. Im Gegenteil! Dich habe ich mir selbst genommen. Nicht ich dir, nein, du hast mir das größte Geschenk gemacht: dich selbst mit deiner noch unversehrten Jugendblüte! Und deshalb bist nicht du in meiner Schuld, sondern ich in deiner und werde es ewig bleiben!»
Nach diesen Worten schloß sie mich in die Arme, hob mich zu sich auf und küßte mich lange. Als ich die Augen aufschlug und wieder ihr geliebtes Gesicht sah, war meine Beklommenheit dahin. Froh lachte ich auf und zupfte sie, um die Minuten qualvoller Spannung endgültig zu vertreiben, an ihrem massiven Ohrgehänge in Baßschlüsselform.
«Dann erfüllen Sie mir einen klitzekleinen Wunsch ...»
Auch meine Frau lachte. Sie legte mich auf die Couch zurück, und ihre Lippen bebten lüstern.
«Dir, Liebchen», flüsterte sie, «so viele du willst ...!»
Um einem Mißverständnis vorzubeugen, streckte ich beide Arme aus und bat.
«Lassen Sie mich jetzt ein tolles Frühstück für uns beide machen!»
Meine Frau verhehlte ihre Überraschung nicht.
«Kannst du das?» fragte sie mißtrauisch.
«Ja, ja!» rief ich ermuntert, weil ich mich endlich mit etwas hervortun konnte, «Mutsch und Paps stehen täglich eine ganze Stunde früher auf, um keine meiner guten Sachen zu verpassen. Schon von klein auf koche ich selbst und längst sogar ohne alle Rezepte!»
Meine Frau trat also einen Schritt von der Couch zurück und drohte scherzhaft mit dem Finger.
«Na gut, dann sehen wir wenigstens, ob du am Herd geschickter bist als im Bett.»
Ihr Satz traf mich wie ein Schmiedehammer.
«Warum haben Sie das gesagt ...?»
Sie bemerkte, daß meine Mundwinkel verdächtig zuckten, und entschuldigte sich rasch.
«Verzeih, mein Goldstück, das war nur ein dummer Scherz. Denn du warst recht gut, ach ja, wahrhaft appetitlich und echt konsumierbar ...!»
Ihre Augen weiteten sich so wie vor ein paar Stunden, als sie auf mich zugetreten war, um mich ohne die geringste Vorwarnung zu küssen.
«Wart, wart nur, eine ganz kurze Zeit mit mir reicht, und du wirst mir ein würdiger Befriediger sein!»
Ihr Atem ging schneller, mit einem Satz kniete sie neben mir nieder und begann fieberhaft die Kordel ihres Morgenrocks aufzunesteln, der jetzt zur Abwechslung meine Blöße bedeckte. Da sie sich verfitzt hatte, hielt sie sich keine Sekunde länger damit auf, den Knoten zu lösen. Mit einer Bewegung, die mich bezauberte und überwältigte, zerriß sie den Gürtel, und schon verhüllte mich nichts als meine Haut.
«Du mein Schöner!» flüsterte sie stammelnd.
«Sie meine Schöne ...» wiederholte ich ebenso.
Diesmal hatte sie Tränen in den Augen.
«Du großer Gott!» hauchte sie, mit unglaublicher Behendigkeit ihre Wäschestücke abwerfend. «Nicht im Traum hätte ich je zu hoffen gewagt, daß mich einer dabei siezen würde!»
Nie werde ich dieses mein drittes Liebeserlebnis vergessen, denn dabei fiel ich zum ersten Mal nicht in Ohnmacht. Endlich lernte ich also bei vollem Bewußtsein die berühmte Wonne kennen, von der die meisten meiner Schulkameraden schon lange vor der Hopfenernte gekostet hatten, allesamt bei der Paulová. Und die wenigen, die damals ebenso verschämt und zurückhaltend gewesen waren wie ich, versetzten mich ein paar Jahre später mit der Schilderung ihrer diesbezüglichen Errungenschaften in Staunen, im Dunkel der Armeebaracke, das meine Phantasie noch stärker entfachte, obwohl meine Eltern unter den Fenstern Wache schoben. Ich litt, denn ich war nicht weniger normal als jeder andere meiner Kameraden. Wie oft fragte ich mich in schlaflosen Nächten, ob meine unbefleckte Ehre einen Bruchteil ihres Preises wert war, den mich meine Entsagung kostete. Jetzt aber, in der lustvollen Umschlingung sämtlicher Glieder meiner Frau liegend, immer von neuem überrascht, daß ich die nächste Welle ihrer Leidenschaft überlebte, wußte ich mit aller Klarheit, daß ich keinen Fehlgriff getan hatte. Lieben konnte sie mich nur deshalb so unersättlich, weil ich mir gerade für diese Festnacht die ganzen fünfundzwanzig Jahre meine Reinheit bewahrt hatte. Ja, sie hatte tausendmal recht, keine zehn Stunden waren seit jenem Augenblick vergangen, da ich ihre Schwelle übertrat, und schon war ich mir trotzdem sicher, ihr ein begehrter Liebhaber werden zu können. Der Berg meiner Zweifel schien dahinzuschmelzen wie ein Gletscher, den eine plötzliche Verschiebung der Erdmassen in die Tropen geschleudert hatte. Selbst die unzüchtigen Bilder in dem mitleidlosen Spiegel des Helikons zu unseren Häupten empörten mich nicht mehr, von Zeit zu Zeit ertappte ich mich sogar dabei, daß sie meinen Blick anzogen, obwohl ich jedesmal gleich wieder die Augen schloß, damit meine Frau ja nichts davon bemerkte. Dennoch trafen sich unsere Blicke zu guter Letzt darin. Im Nu legte sich der Sturm, und eine Ruhe breitete sich aus, die mich erschreckte.
«Seien Sie nicht böse ...» sagte ich mit schwacher Stimme, «ich ...»
Weiter kam ich nicht. Die Zunge versagte mir den Dienst. Meine Frau richtete sich rasch auf und fühlte mir mit erfahrenem Griff den Puls. Dann kniete sie sich hin, tätschelte mir leicht die Wangen und sprach dabei in eindringlichem Ton:
«Na ...! Na also ...! Hübsch atmen! Ganz tief! Ganz tief durchatmen! Wir werden hier doch nicht gleich wieder in Ohnmacht fallen!»
Die suggestive Stimme und die liebevollen Handgriffe taten ihre Wirkung. Ich spürte ihre Sicherheit auf mich übergehen, und bald stand schon fest, daß ich meine Krise überwunden hatte. Vor Stolz wollte ich aufschreien, doch meine Mattigkeit ließ nicht zu, daß ich mehr sagte als wieder nur:
«Seien Sie nicht böse ...»
«Böse sein», sagte meine Frau zärtlich, «könntest allein du, mein Käferchen, weil ich viel zu sehr an mich gedacht habe. Aber jetzt», fügte sie hinzu, munter auf den Teppich hinabspringend, «jetzt gehst du dafür hübsch in die Heia, und Liliane macht dir was zum Aufpäppeln!»
Ich nahm ohne Protest an. Ermattet auf der Couch hingestreckt, sah ich voll Rührung zu, wie gefährlich sie das Brot an ihren Busen gedrückt schnitt, wie sie mit dem Bügeleisen eine Wurstkonserve aufmachte und dann den Türkischen überlaufen ließ, alles mit einer göttergleichen Selbstsicherheit und Leitmotive pfeifend, die sie uns am Abend zum Tanz aufgespielt hatte. Ich war schwach wie nach einer Krankheit, doch stolz wie nach dem Abitur. Das änderte nichts daran, daß ich das Töpfchen nicht bis an den Mund zu bringen vermochte und meine Frau mir den Kaffee, nachdem sie auf jeden Löffel behutsam pustete, schlückchenweise einflößte. Als wäre das ganz selbstverständlich, erzählte sie mir dabei von ihrer Liebe zum Damenboxen, und ich mußte bei jedem Schluck mehr und mehr ihren Takt bewundern. Nach dem Frühstück bettete sie mich wieder auf die Couch, nahm das Helikon von der Wand und spielte mir ihre liebsten Melodien vor, von denen mir, wie meine Frau es benannte, das Aufbaulied der Schlosserstoßbrigaden, ‹Ich schraub ihn dir mal rein›, am meisten im Gedächtnis haftenblieb. Wann immer ich mich dieses Morgens entsinne, werde ich bis ans Lebensende das Helikon meiner Frau sehen, das ihr Busen umschloß, und mich, der den ohnmächtigen Wunsch verspürt, den Platz mit ihm zu tauschen. Als ich schließlich allein aufstehen konnte, half mir meine Frau beim Anziehen und ließ es sich nicht nehmen, mich wenigstens ein Stück Wegs zu begleiten. Es war Freitag, und die Hausmeisterin wischte wütend die Treppe. Diese Beschäftigung nahm sie voll in Anspruch, so daß wir unbemerkt hätten vorbeischlüpfen können. Doch meine Frau sagte:
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