«Hör mal», sagte sie, «wie oft hast du eigentlich schon ...?»
Das Spiel war aus, und ich saß in der Falle. Da sie meine Hände immer noch wie in einer Zwinge festhielt, neigte ich wenigstens den Kopf so tief, bis auf die Brust, wie einst in den Tagen meiner ersten Verirrung, als Tante Eliška mich in der Wanne hinten und vorn abseifte und immer wieder mit erregter Stimme sagte:
«Vilémek, du hast ein Körperchen wie eine Puppe ...»
«Um Gottes willen», setzte meine Frau wieder an, und ich hörte dabei einen Ton, den ich noch nie vernommen hatte, «ist denn das die Möglichkeit?»
Eher wäre ich gestorben, als daß ich einen einzigen Laut von mir gegeben hätte. Mit gesenktem Kopf erwartete ich das Urteil. Sie hielt jetzt meine beiden Hände mit der Linken und hob mir mit der Rechten zart, aber entschlossen den Kopf. Ihre Augen blickten unglaublich gerührt.
«Dann warst du ja noch ein Jungferer ...» sagte sie mit noch zerrissenerer Stimme als vorher, doch ich begriff mit untrüglichem männlichen Instinkt, daß sie nur ihre Rührung zu verbergen versuchte, «da hast du also bis heute auf mich gewartet ...?»
Ich hielt ihrem Blick nicht stand und nickte.
«Aber warum plärrst du dann?»
Die Gedanken, die sich seit dem Erwachen wie ein Knäuel Schlangen in mir verfilzt hatten, verwandelten sich im Nu in Worte. Mit geschlossenen Augen, um den Mut nicht zu verlieren, haspelte ich meinen Lebenslauf in seiner ganzen Alltäglichkeit und Fadheit vor ihr herunter, weder die Mutsch noch Tante Eliška noch die Paulová noch die Frau Hauptmann vor ihr verheimlichend, noch sie selbst, obwohl von ihr zu reden das Allerschwierigste war. Mit einer Eindringlichkeit, die mich selber überraschte, zeichnete ich ihr mit bloßen Worten das erschütternde Bild eines Jungmannes, der bis zur heutigen Nacht nichts besaß als seine Ehre und auch diese am heutigen Morgen verloren hatte, so daß er neben dem Zorn seiner Eltern mit Recht zu gegenwärtigen hatte, bald schon durch die Trennwand zwischen der Herren- und Damentoilette die Stimme der Sekretärin des Generaldirektors zu hören, die verkündete:
«Meine Damen, es ist eine Tragödie, aber unser Vilémek Rosol ist auch schon ein Ferkel!»
Dann war es still. Mir kam zum Bewußtsein, daß ich verstummt war, und voll Schreck gewahrte ich, daß auch sie nichts sagte. Ich begriff, daß mir nur ein Ausweg blieb: mich rasch anzuziehen, leise einen Gruß zu murmeln und mit ein für allemal gesenktem Kopf meiner Schande entgegenzugehen. Da spürte ich, wie mich ihre Arme umfingen und an die majestätische Büste zogen.
«Du Dummchen», sagte meine Frau mit einer Zärtlichkeit, die ich bei ihr nicht vermutet hatte, «das also quält dich? Na, dann heirate ich dich eben, und alles Geschwätz hat ein Ende!»
Die Tränen, die mir erneut aus den Augen schossen, als ihr Körper mich wieder liebend beschwerte, waren diesmal der Ausguß schieren Glücks.
So wurde meine Frau zu meiner Geliebten.
Wann immer meine Frau einen Entschluß faßte, stets setzte sie ihn ohne zu zögern in die Tat um. Während sie mich aus der Ohnmacht zurückholte, in die mich ihre Liebkosungen abermals gestürzt hatten, peinigte mich der schreckliche Traum, ich sei ein Unterseeboot und in den Fängen eines Kraken, und wie ich voll Verzweiflung meine Torpedos abschieße, sehe ich diese auf mich zurückkommen, eine Explosion kracht, ich fühle, wie das Wasser in mich eindringt und mir von den Knöcheln aufwärts bis in die Kehle steigt, die Todesangst nimmt mir die Kraft, auch nur ein Wort des von Paps berichtigten Vaterunsers zu sprechen, an dessen Anfang er «und Mutter unsere» hinzugefügt hatte als Ausdruck der Achtung vor Jungfrau Maria und der eigenen Gemahlin, und als ich dann schließlich Wasser schon auf der Zunge verspürte und die Augen aufriß in der törichten Hoffnung, vielleicht mit einem letzten Blick meinen Schutzengel zu erspähen, war er da, war er wahrhaftig da, hatte das Gesicht meiner Frau und beugte sich über die Badewanne, in die ein lauwarmer Strom floß, hielt mit der einen Hand meinen Kopf über Wasser und massierte mit der anderen unter Wasser geschickt meine erschlafften Glieder, ach, wie unschuldig waren dagegen die Wannenspiele mit Tante Eliška gewesen! ... während ich also aus dem Traum wie aus der Wirklichkeit zugleich erwachte, verscheuchte meine Frau mühelos auch die letzte finstere Wolke, die mich noch bedrängte. Sie wählte die Direktnummer meines Chefs, die er ihr in der Nacht mit eigener Hand auf den Saum ihres Büstenhalters geschrieben hatte, wogegen sie, wie sie sich beklagte, als Parteilose machtlos gewesen sei, und sagte ohne Einleitung:
«Hören Sie? Hier ist die Polizeidirektion. Ihr Angestellter Rosol Vilém hat letzte Nacht einen Schwächeanfall erlitten, nachdem irgendein verantwortungsloser Mitarbeiter Ihres Betriebs ihm die Beförderung einer überschweren Last befohlen hat. Er befindet sich zur Behandlung in der Intensivstation und wird erst am Nachmittag entlassen. Klären Sie den Fall, bestrafen Sie die Schuldigen und tragen Sie unverzüglich Sorge, daß seine Eltern auf schonende Weise beruhigt werden. Haben Sie mich verstanden?»
Obwohl sie ihre Stimme nicht im mindesten verstellt hatte, sagte mein Chef eifrig:
«Jawohl, Genosse ...»
«Dann wiederholen Sie!»
Stotternd gab der Chef beinahe Wort für Wort wieder, und meine Frau legte grußlos auf. Zu meiner Dankbarkeit gesellte sich eine tiefe Bewunderung, und ich wußte bereits mit Gewißheit, daß ich sie liebte. Ich saß auf der Couch, in ihren orangefarbenen Morgenrock gemummelt, der mir zu groß war, so daß sie mir lachend die Ärmel dreimal aufschlug.
«Liliane», sagte ich erregt, «teure Liliane ...»
Ich erschauerte ob meiner eigenen Kühnheit, als ich sie zum ersten Mal vertraulich bei ihrem blumigen Vornamen nannte, der mir schon in der Nacht von ihrem Türschild regelrecht entgegengeduftet war, so stark, daß ich den Nachnamen ganz und gar übersah. Erstaunlicherweise war sie nicht beleidigt.
«Na, was denn?» ermunterte sie mich.
«Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich bin!»
«Na siehst du», sagte sie mit leichtem Vorwurf, «und eben hast du mir hier noch geplärrt!»
«Ja», bekannte ich ohne Pein, «und ich könnte von neuem plärren.»
«Warum denn schon wieder, Jungchen?»
«Weil ich unglücklich bin ...!»
«Aber wieso denn, Brummelchen?»
Ich bemerkte, daß sich Ungeduld in ihre Stimme schlich, und beeilte mich zu erklären:
«Nein, ich bin glücklich ... gerade deswegen aber auch unglücklich ... Sie ... Sie sind ... Sie sind so wunderbar, und ich ... ich liebe Sie so sehr, daß ich Angst hab, obich-Ihnen das alles überhaupt werde vergelten können ...»
Die letzten Worte sprudelte ich hervor, als sollten es die letzten sein in meinem Dasein. Dann schnürte sich mir gänzlich die Kehle zu, denn mir wurde bewußt, daß ich, wenn auch unaufgefordert, eine verbindliche Liebeserklärung abgegeben hatte. Ich war mir fast sicher, daß sie mich jetzt in strengem Ton auffordern würde, mich in aller Form zu entschuldigen und unverweilt ihre Wohnung zu verlassen. Statt dessen trat sie an mich heran und schaute mir forschend in die Augen.
«So liebst du mich also ...?»
Sie erinnerte mich an Paps, der auf die gleiche Weise herankam und guckte, wenn er mich für eine nichtige kindliche Lüge bestrafen wollte. Dennoch ermannte ich mich und nickte eifrig. Da beugte sie sich zu mir herab und strich mir übers Haar.
«Aber dann quäl dich doch nicht», sagte sie, «denn du ganz allein hast mir mehr gegeben als die ganze Meute vor dir zusammen!»
Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, starke Schmerzen an einem Zahn zu haben, dessen Wurzeln mir bis ins Herz hinabreichten. Im Nu begriff ich: Zugleich mit der Liebe war ein Gefühl in mir geboren, von dem ich bisher immer nur gelesen hatte, daß es unabdenkbar zur Liebe gehört wie der Dorn zur Rose und der Wurm zum Apfel. Doch noch ehe es eine bestimmtere Frucht tragen konnte, erklang wieder ihre besänftigende Stimme.
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