Niklas Frank
Meine Familie und ihr Henker
Der Schlächter von Polen, sein Nürnberger Prozess und das Trauma der Verdrängung
Die Bilder malte Niklas Frank als Jugendlicher zwischen 1955 und 1957.
Niklas Frank
geb. 1939, war über zwei Jahrzehnte Reporter beim STERN und vollendete nach zwei Büchern gegen seine Eltern (»Der Vater – Eine Abrechnung« und »Meine deutsche Mutter«) mit »Bruder Norman!« eine schonungslose Trilogie über seine Familie, die dank Hitler aufstieg.
Im SPIEGEL-Bestseller »dunkle Seele, feiges Maul« setzte er sich mit der Entnazifizierung auseinander. In »Auf in die Diktatur« zog er erschreckende Parallelen im Verhalten und in der Rhetorik heutiger Politiker zur NS-Zeit.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
ISBN 978-3-8012-7034-6 (E-Book)
ISBN 978-3-8012-0610-9 (Printausgabe)
1. Auflage 2021
Copyright © 2021 by
Verlag J. H.W. Dietz Nachf. GmbH
Dreizehnmorgenweg 24, 53175 Bonn
Lektorat: Gabriela Ratajszczak
Umschlag: Hermann Brandner, Köln
Satz: Petra Strauch, Bonn
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Besuchen Sie uns im Internet: www.dietz-verlag.de
Aus bangem Herzen für meine Mutter und meine ebenso toten Geschwister
Cover
Titel Niklas Frank Meine Familie und ihr Henker Der Schlächter von Polen, sein Nürnberger Prozess und das Trauma der Verdrängung
Impressum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-8012-7034-6 (E-Book) ISBN 978-3-8012-0610-9 (Printausgabe) 1. Auflage 2021 Copyright © 2021 by Verlag J. H.W. Dietz Nachf. GmbH Dreizehnmorgenweg 24, 53175 Bonn Lektorat: Gabriela Ratajszczak Umschlag: Hermann Brandner, Köln Satz: Petra Strauch, Bonn E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH Alle Rechte vorbehalten Besuchen Sie uns im Internet: www.dietz-verlag.de
Zelle mit Türguckerl
Sadist und fromme Helene
»Ich klage nicht, ich warte«
Brigittes Verrat
»Heil Hitler« zum Ärgern
Feinstaub und die vertauschte Gitti
»Frau Minister« sind unzufrieden
Die Schuld der rauen Preußin
Der Tiefpunkt einer hohen Liebe
Noch einmal die Sau rauslassen
»Rache für unsere Grausamkeiten«
Sehnsucht nach Unschuld
Die letzte Gehaltszahlung
Tränen beim Verhör
Wiederentdeckung der Familie
»Eine Seele voll Zuversicht«
»Hoventlich komst du balt wieter«
»Schmalhans Küchenmeister«
Die brotlose Kunst des Bettelns
Sehnsucht nach Nähe
Sohnes Stolz auf den Massenmörder
Göring wird abgehängt
Aus Honiglatschen in Militärstiefel
1946 – Tod und Verdrängung
Polentransport
Die Tippse und ihr Hengst
In Polen alles gestohlen
»Das Mundwerk von Goebbels«
Getrennter Hochzeitstag
Hans, der schönste Angeklagte
Schuldeingeständnis als Trick
Hansimuckerls Hexenmutter
»Die Macht des Siegers«
»Aus der reineren Welt«
Tabak als Reliquie
Unschuldiger 165-Pfünder
Mit Messer in die Ohnmacht
Der große Bruch
Zusammen gerauft – zusammengerauft
Eros und wachsende Grausamkeit
Hans Franks letzter Diebstahl
»Kopf hoch, Herz stark«
Das Urteil
Gefesselt hinter Glas
Der düstere Witwentitel
Von Deserteuren und Denunzianten
Gnädige Vergebung vom Täter
Benutzte Literatur
Abbildungen
Meine Zelle, in die mich unser Oberst Lagerkommandant persönlich mit einer kleinen Anrede führte, ist verhältnismäßig groß und licht. Bayrische Heimatluft dringt von dem Tag und Nacht von mir halboffen gehaltenen Oberlichtfenster herab ein in den durch eine kapellenartige Runddecke gehobenen Raum. Als ich gestern das erste Frühstück (Malzkaffee) durch das Türguckerl gereicht bekam, war ich geradezu frohgemut. Zur Heimatluft gab es endlich wieder einmal das schwarze Brot unseres Landes mit der unserem Geschmack eben entsprechenden landläufigen Wurst. Ich habe dieses erste Stück Brot gestern in tiefer Ergriffenheit als ersten Heimatgruß geküsst. Das Brot war der Bote Bayerns, meines Landes, meines urdeutschen Landes, und gut war sein Charakter. Sein Geschmack war etwas »kriegerisch«, aber essen es nicht all meine deutschen Landsleute in unserem zerfetzten Vaterland? Und ich war also auch um dessen Willen froh, da ich wieder im Nahrungsschicksal ihnen gleich bin.
Da sitzt er also in Zelle Nr. 15: Hans Frank, nein: Dr. Hans Frank, Doktor der Jurisprudenz, vom Führer abgesetzter Reichsleiter, aber bis Kriegsende im (hohlen) Amt verbliebener Reichsminister ohne Portefeuille, und im blutigen des Generalgouverneurs von Polen. 45 Jahre ist er alt. Abgenommen hat er. Auch an Haupthaar. Seine linke Hand zittert, Folge seiner zwei Selbstmordversuche nach seiner Verhaftung im Mai 1945. Seine Zähne sind ohne Befund. Er wiegt bei einer Größe von 1,76 Meter 83,44 Kilogramm. Sein Body-Maß-Index ist mit 27,1 – wie die Berechnung im Internet zeigt – für sein Alter nicht ganz perfekt . Aber: Mit einer gesunden und ausgewogenen Ernährung und regelmäßiger Bewegung kann Vater sein Gewicht langfristig reduzieren.
Schwierig für den Zelleneinsitzer.
Neben dem BMI stimmt es seit seiner Verhaftung auch mit seinem Hirn nicht mehr so ganz. Denn der kauende Liebhaber bayerischen Brotes weiß nun, dass Wirklichkeit werden kann, was er eher spöttisch zwei Jahre zuvor seinem Jugendfreund prophezeite: »Du wirst Professor, und mich wird man hängen. »Vater unser muss um seinen Kopf kämpfen. Von Schlössern, Burgen, Villen und gepanzerten Mercedes-Karossen, den Gemälden wie Leonardo da Vincis »Dame mit dem Hermelin«, den zwei Rembrandts, Raphaels »Bildnis eines unbekannten Jünglings«, seiner penibel zusammengestellten Bavarica-Bibliothek ist nicht viel geblieben: Meine ganze mir verbliebene Habe geht in einem kleinen Karton unter, wo ich die mir von den Amerikanern gegebenen Wäschestücke verwahre. Aber welche Bedeutung kommt ihnen zu: Nicht nur in Bezug auf ihre mir zur Verfügung gehaltene Existenz überhaupt, vor allem ihren Zustand betreffend. Meine Hemdjacken, Taschentücher, Socken und Unterhosen immer wieder waschen und trocknen zu können, ist eine wirkliche Frage.
Hans Frank nach seinem Selbstmordversuch, Mai 1945.
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