In jener Zeit, als er starr auf seine Verhaftung wartet, hin und wieder seine Lilly in Bad Aibling besucht, telefonieren Brigitte und Hans allenfalls oder giften einander offen und versteckt per Brief an. So empfindet Brigitte sicher klammheimliche Freude, als sie ihm dies zur Übergabe unseres Hundes schreibt: Lieber Hans! Durch Peter schicke ich Dir Tommi mit. Dort gibt es sicher eher für ihn eine Fütterungsmöglichkeit. Außerdem ist gestern Götz wieder zu Norman gekommen, der rührend an ihm hängt. Beide Hunde vertragen sich nicht. Wir können sie wirklich nicht noch füttern.
Es war eben ohne den gewohnten köstlichen Nachschub aus dem Generalgouvernement schwierig geworden, die eigene Brut zu nähren – geschweige denn obendrein noch einen Hund!
Der Herr Generalgouverneur hatte plötzlich in seiner Dienststelle einen Köter!
Früher waren es der gepanzerte Mercedes, seine Adjutanten, Staatssekretäre, Geliebten, die polnische Gräfin, die nackt vor ihm tanzen durfte, und jetzt nur noch dieses Hundsviech!
Endlich bist du auf den Hund gekommen, wird sich Mutter bei ihrer fellsinnigen Übersendung gedacht haben.
Ich freue mich noch heute darüber.
Er schreibt weiter in seiner Zelle: In der allgemeinen Aufregung und Unruhe hatte ich mich noch allein in mein Arbeitszimmer in der Höhe des Schoberhofs begeben und in Vorahnung des Kommenden – denn der Einmarsch der Amerikaner in das Schlierseetal stand unmittelbar bevor – Abschied, ja Abschied fürs Leben von all’ dem dort Vorhandenen, für mich so werten und würdigen Gut genommen. Da saß ich oben in meinem Speicherstübchen gegenüber dem Harmonium, schaute über den Fauststuhl und den langen in Mitten des Raumes stehenden Schreibtisch auf das Fischhauser Kirchlein hinaus und ging dann feierlich meine Bücher ab. Meine Monacensia-Bavarica Sammlung vor allem. Welch ein Reich haben wir Deutschen nicht in über 1000 Jahren errichtet und immer wieder verloren. Was ist mit uns? Für die Politik nicht geschaffen, gewogen und zu leicht befunden. Und wieder einmal ein Reich dahin – für immer, wieder einmal alles an Einheit verloren, den Krieg verloren, die Ideenkraft verspielt, der Führer tot, das Heer dahin, die Städte zertrümmert, die Jugend dahingemordet. Grauenvoll zu denken und sich vorzustellen, was in der Seele wogt, nennt man vor sich nur Deutschland. So dachte ich und war des Lebens müde. Wozu weiterleben? Ich grüßte all’ die Erinnerungen meines Lebens in meinem Raum und ging dann noch zu Weib und den Kindern. Alles war sehr erregt, denn es schoss immer noch, und so begab ich mich ohne größeren Abschied gegen Abend zurück in das Diensthaus, um dort alles abzuschließen .
Seinem Weib steckte er damals – beobachtet von Norman – 5000 Reichsmark zu. »Wie einer Nutte!«, fügte Norman Jahrzehnte später bitter hinzu.
Warum hat er es nicht insgeheim ohne Zeugen übergeben? Kleine Rache für den übersandten Köter? Oder Rache für sein durch Brigitte verpfuschtes Liebesleben? Oder wollte er tatsächlich vor Norman den Eindruck erwecken, er bezahle eine Dirne? Denn Brigittes Affären waren auch ihm bekannt.
Norman hat unter dieser Geldübergabe sein Leben lang gelitten. Gegen 8 Uhr kamen noch Sigrid und Norman dorthin (in seine Dienststelle im Josefstal), blieben eine Weile und berichteten über den Einmarsch der Amerikaner. Die Kinder waren begeistert über Haltung und Verhalten, Auftreten und Ausrüstung der amerikanischen Soldaten. So plauderten wir, sie verabschiedeten sich und ich sagte noch, dass ich später nachkommen wollte.
Da geschah meine Verhaftung etwa eine Stunde später durch zwei Offiziere mit Auto, die offenbar überrascht waren mich überhaupt anzutreffen. Ich gab ihnen, was ich hatte an Waffen und derlei, machte sie auf die Kunstschätze und Akten aufmerksam. Da sagte der eine: ›Sie brauchen nicht viel mitnehmen an Kleidern, denn morgen kommen sie wieder hierher zurück. Sie brauchen auch heute nicht mehr zu Hause Abschied nehmen, denn das können Sie morgen tun!‹ Ich verließ mich darauf und fuhr mit.
Es ist nicht so recht glaubhaft, dass die zwei Offiziere überrascht waren, als sie ihn in seiner »Außenstelle Generalgouvernement« antrafen, denn Jahrzehnte später meldete sich bei mir der Enkel von einem der beiden Offiziere und schilderte Wundersames: Sein Großvater und dessen Kollege hätten als Adresse des gesuchten »Schlächters von Polen« nur den Schoberhof gehabt. Also sind sie zunächst dort hingefahren und trafen eine »elegant angezogene Dame« an. Es war Brigitte Frank. Nach der höflichen Begrüßung fragten sie, ob denn ihr Gatte anwesend sei.
Mutter hatte eine Art – das lange Brotmesser sinnend und kalt lächelnd vor sich haltend –, an der Küchenanrichte zu lehnen, mich oder uns ermahnend oder scharf ausfragend, dass ich mir diese Pose auch bei ihrer Antwort wünsche. Sie hatte es in der Hand zu sagen: »Oh, das wüsste ich auch gerne! Ich weiß nur, dass er über Österreich nach Italien wollte. Das war schon im Februar. Bitte geben Sie mir Bescheid, wenn sie ihn finden!«
Sie hätte auch listig sagen können: »Folgen Sie der Spur des Hundes. Tommy heißt er.«
Nein, Brigitte muss diesen letzten Sieg über ihren Hans genossen haben und sagte: »Sie finden meinen Mann in seiner Dienststelle im Josefstal, im ›Café Bergfrieden.‹« Dann beschreibt sie noch genau den Weg dorthin.
Meine Mutter hat ihn tatsächlich verraten. So, wie mein Vater sie zuvor vielfach verraten hatte. Zum Beispiel, als er Hitler wissen ließ, er müsse sich von Brigitte scheiden lassen, weil sie überhaupt nicht nationalsozialistisch eingestellt sei und darum seiner nicht wert.
Die beiden Offiziere bedankten sich, bestiegen ihren Jeep, fuhren am »Café Bergfrieden« vor, stiegen aus, gingen in den großen Gastraum, wo sich die Runde der letzten Getreuen versammelt hatte, und einer der beiden fragte in die Runde: »Wer von Ihnen ist Frank?«
Das wiederum weiß ich von Helene Kraffczyk, seit 1939 treue Privatsekretärin meines Vaters und letzte Zwischendurch-mal-Geliebte. Sie wurde später als Zeugin für den Prozess verhaftet und hielt, im Gegensatz zu seiner großen Liebe Lilly, treu und liebestoll lügend zu ihm. Das beschreibt so auch Major Kelley, allerdings in schäbiger Macho-Manier: »Franks Sekretärin, ein ausgelaugtes, ältliches Frauenzimmer, das sich sehr bemühte, ihm bei seiner Verteidigung behilflich zu sein, behauptete mit großem Nachdruck, dass seine Ernennung in Polen keine Beförderung, sondern eher eine Degradierung bedeutete, die auf den Druck seiner Gegner in der Partei zurückzuführen war. Frank war zum Teil der gleichen Meinung. Um Hitlers Gunst in vollem Masse wiederzugewinnen, konzentrierte Frank in Polen seine ganze Energie auf die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung.«
Sigrid und Brigitte Frank im Musikzimmer der Krakauer Burg.
Selbst nach der gemeinsamen Flucht aus Krakau, konnte Helene Kraffczyk nicht von Hans Frank lassen, schreibt ihm stattdessen am 2. Februar 1945 aus ihrem Heimatort Amberg den letzten Lobesbrief, den Hans Frank wohl erhalten hat:
Hochverehrter Herr Generalgouverneur!
Es ist mir heute noch nicht glaubhaft, dass das liebe Krakau, das Sie uns zur Heimat gemacht haben, nicht mehr unter Ihrer Führung ist. Aber das, was im Generalgouvernement durch Ihre Initiative aufgebaut, gearbeitet und geschaffen wurde, wird nicht nur in der Geschichte des deutschen, sondern auch des polnischen Volkes einen Höhepunkt bedeuten.
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