„Sehr gut.“
„Nicht wahr? Leider war fast nur Wäsche darin. Gute Herrenwäsche. Und ein paar andere Sachen, die man zu Geld machen konnte. Vor allem ein prachtvolles Rennglas, für das ich achtzig Franken bekam.“
„Donnerwetter. Wo hast du das denn ‚verschärft‘?“
„Beim Lumpenjaques, weisst du, der in der Rue Madeleine die Monatsgarderobe hat.“
„Ach, in dem Keller, zu dem die klapprigen Stufen hinunterführen? Der nahm mir auch mal ein Fahrrad ab.“
„Machst du in Fahrrädern?“
„Hie und da. Du bist Kofferspezialist?“
„Nein, durchaus nicht. Es war nur mal eine Gelegenheit.“
„Na — und sonst?“ Berreux machte eine pfiffige Bewegung nach seiner Brusttasche und zwinkerte mit den Augen dazu. „So — was?“
Der andere nickte anerkennend. „Junge, Junge — du riechst aber auch alles!“
„Ja, das riecht man. Wenn einer so schlanke Finger hat, da ist er ja geradezu zu so was vorausbestimmt! Mit wem arbeitest du zusammen?“
„Das ist ganz verschieden. Mein letzter Kumpan ist vor einigen Tagen verschütt gegangen. Ich hatte ihm gerade was zugesteckt — im Warenhaus, weisst du — na, und da muss ihn wohl so ein Greifer von der Polizei beobachtet haben. Mit knapper Not konnte ich noch verduften.“
Berreux war der Fall bekannt, da er sich ja in letzter Zeit alles melden liess. „War das nicht der blasse François?“ fragte er lebhaft.
„Ah! Woher weisst du das?“
„Nun, ich habe davon gehört. Man kennt doch auch so verschiedene Leute. War sonst ein pfiffiger Bursche, der François.“
„Ja — schade um ihn. Weisst du — ich glaube, den hat auch wieder Luxauge auf dem Gewissen.“
Berreux musste innerlich lachen. Luxauge wurde er selber von den Verbrechern genannt. „Ah! Berreux!“ rief er aus.
„Ja, ganz bestimmt! Dem haben sie doch neulich auch das Taschendiebstahldezernat unterstellt.“
„Wirklich? Das wusste ich allerdings noch nicht! Aber ich denke, der ist jetzt hinter dem Mörder von Didier her.“
„Ja, da sollte er sich mal mehr darum kümmern. Die Kleinen hängt man — die Grossen lässt man laufen.“
„Wenn Berreux hinterher ist“, meinte der Kommissar, „wird er wohl nicht mehr weit laufen können.“
„Wir wollen es hoffen. Berreux ist allerdings sehr geschickt. Man sagt ihm ja nach, dass er sogar durch feste Gegenstände hindurchblicken könne.“
„Hast du auch schon mit ihm zu tun gehabt?“
„Nein — Gott sei Dank nicht! Dem möchte ich nicht in die Hände fallen. Der macht immer ganze Arbeit.“
„Sehr schmeichelhaft!“
„Wie?“
„Für Berreux. Hast du ihn übrigens schon einmal gesehen?“
„O ja. Ich würde ihn gleich erkennen, auch wenn er noch so verkleidet wäre.“
„Er verkleidet sich manchmal?“
„Jawohl, man sagt ihm das wenigstens nach. Hast du vielleicht eine Zigarette für mich?“
„Ja, bitte!“ Berreux zog eine ganz einfache Sorte aus seiner Tasche. Die Schachtel war schmierig und abgegriffen. Er reichte dem anderen Feuer hin.
An der Theke wirtschaftete die rote Jule. Nur zeitweise bediente sie mit. Der Kommissar beobachtete sie unausgesetzt, jedoch so, dass sein Tischnachbar nichts davon merken konnte.
Auch die übrigen Gäste wurden von ihm scharf ins Auge gefasst. Sein Kollege sass mit zwei finsteren Gesellen in einer Nische zusammen, bei denen sich auch ein Frauenzimmer befand. Das Radio war angestellt und kreischte überlaut in den Raum. Dichter Rauch stieg zur Decke. Er ballte sich in den Höhlungen des Gewölbes zusammen.
Es ging auf Mitternacht zu. Einige Gäste liessen es sich nicht nehmen, alle möglichen Kunstfertigkeiten zum Besten zu geben. Augenblicklich verrenkte sich in der Mitte des Raumes ein Schlangenmensch. Nur wenige beachteten ihn. Als er dann aber mit einem Blechteller bei den Leuten herumging, warf ihm jeder eine Münze hinein.
Eine fette, abgetakelte Sängerin bellte ein Liebeslied und verdrehte die Augen dabei, dass es einem Angst werden konnte. Anschliessend führte ein geschmeidiges Paar einen Apachentanz vor, wobei der Mann ein blankes Messer zwischen den Zähnen hielt.
Berreux kannte dieses Milieu zur Genüge, um noch erstaunt zu sein. Er sah mit derselben übersättigten Miene zu, wie all die anderen. Niemand schöpfte Verdacht.
Langsam erhob er sich, ging von Tisch zu Tisch und bot seine Streichhölzer an. Das tat er mit einer Geste, als ob er bereits jahrzehntelang gar nichts anderes mehr getrieben hätte. In dieser Beziehung war er ein schauspielerisches Genie.
Während er so die Runde machte, beobachtete er alle Gäste auf das genaueste. Er setzte eine derartig bemitleidenswerte Miene auf, dass man ihn hier und da bat, am Tisch Platz zu nehmen und einen Absynth oder sonst etwas Stärkendes hinter die Binde zu giessen.
Er nutzte diese Möglichkeit weidlich aus. Ueberall spitzte er seine Ohren, überall wusste er das Gespräch bald geschickt auf den Fall Didier überzuleiten.
Er bemerkte zu seiner Befriedigung, dass die meisten tatsächlich mit Abscheu von dem Chauffeurmörder sprachen. Viele von ihnen schienen selbst nach ihm Umschau halten zu wollen, natürlich nur um der hohen Belohnung willen, die auf die Ergreifung des Mörders ausgesetzt worden war. Einigen fiel es auf, dass sich Gaston Solfour nicht mehr blicken liess. Dadurch kam er auch hier unter diesen Menschen schon in Verdacht. Einige blinzelten immer wieder zu der roten Jule hinüber, von der man wusste, dass sie mit ihm befreundet war. Einer wollte sogar schon wissen, dass die Kellnerin von der Polizei auf Schritt und Tritt beobachtet werde, was Berreux auch tatsächlich veranlasst hatte. In ihrem Zimmer hielt man sogar bereits — ohne ihr Wissen — eine genaue Durchsuchung ab. Dabei fand man auch mehrere ausgeplünderte Damenhandtaschen. Eine Verhaftung der Jule nahmen jedoch die Beamten auf Berreux’ Weisung hin vorläufig noch nicht vor. Selbst von einer Vernehmung dieser Person sah man ab. Man wollte sie noch in Sicherheit wiegen. Jeder Eingriff hätte ihren Verdacht erweckt.
So aber konnte man hoffen, dass Gaston über kurz oder lang doch wieder bei ihr vorsprach — und dann hatte man ihn.
Uebrigens tat sie wirklich ganz unbefangen. Verstellte sie sich etwa nur?
Sieh mal an — da kam sie ja wieder mal unter die Gäste, um dem Kellner den augenblicklichen Andrang bewältigen zu helfen. Sie trat auch an den Tisch, an dem der Kommissar gerade sass, stellte ein Bier hin, gab einem der beiden jungen Leute, zwischen denen Berreux sass, einen Klaps auf die Schulter.
„Nun, mon petit, was macht das Geschäft?“ fragte sie übermütig und wiegte sich in den Hüften. Berreux konnte sie jetzt genau mustern. Sie war eher hässlich als hübsch zu nennen. Zwei grosse Pferdezähne sprangen aus ihrem Oberkiefer hervor, von denen der eine einen protzigen Goldüberzug trug. Die Nase war plattgedrückt, und eine grosse Narbe glühte auf ihrer Wange. In den Ohren trug sie zwei geschmacklose Messingringe, ihr Haar war struppig und ungepflegt. In den grellen Augen lag ein unergründliches Flimmern, das sie auch durch ein unentwegtes nervöses Blinkern nicht verbergen konnte.
Im Gegensatz zu ihrem hässlichen Aeusseren stand ihre schlanke Figur, die ihr trotz allem eine gewisse Anmut verlieh.
Der von ihr so vertraulich Behandelte nahm ihre blasse Hand und zog sie zu sich heran. „Ah! Jule! Sag mal, wo steckt denn dein Liebster eigentlich jetzt? Der lässt sich ja gar nicht mehr blicken? Hat er mal wieder was ausgefressen?“
Sie setzte sich dem Mann auf den Schoss, nahm, ohne zu fragen, sein Glas und leerte es mit einem einzigen kräftigen Zug. „Was sagst du? Mein Liebster? Wer soll denn das sein?“
„Na, der Gaston natürlich. Ihr stecktet doch immer die Köpfe zusammen.“
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