Auf alles gaben die Fahrer Antwort, so gut es ging. Sie überboten sich geradezu, dem Kommissar Auskunft zu geben, und führten auch manche nebensächlichen Dinge an. Doch Berreux liess sie ruhig erzählen. Auch Nebensächliches konnte für ihn manchmal wichtig sein.
Endlich begab er sich auf sein Amtszimmer im Präsidium.
Auf dem Präsidium meldeten sich bereits verschiedene Leute bei Berreux. Der Führer eines Fernlastzuges stellte sich vor. Er habe während der Nacht an der bezeichneten Stelle die Taxi gesehen, bekundete er, er sei von Melun kommend daran vorbeigefahren. Aber er hätte sich schliesslich nichts weiter dabei gedacht, da er annahm, dass der andere eine Panne gehabt hätte.
Der Kommissar klopfte mit einem Bleistift mehrere Male auf den Tisch.
„Sie kamen doch aus der Gegenrichtung“, bemerkte er, „haben Sie denn da die zusammengesunkene Gestalt am Steuer nicht gesehen?“
„Ich musste zu sehr auf die Strasse achten“, gab der Fahrer zur Antwort, „zumal sie an jener Stelle gerade recht abschüssig ist. Dazu musste ich noch, wie es bei Begegnungen Vorschrift ist, mit abgeblendeten Scheinwerfern fahren.“
„Sie hatten doch aber einen Beifahrer mit?“
„Der lag hinter mir in der Schlafkabine.“
„Sie bemerkten jedoch, dass die Taxi stillstand?“
„Selbst dass es sich um eine Taxi handelte, konnte ich nicht erkennen. Aber ich sah, dass sie stand.“
„Und wann war das?“
„Es muss gegen vier Uhr gewesen sein.“
„Ist Ihnen vor oder nach der Begegnung mit dieser Taxi irgendwas aufgefallen?“
„Ja — deshalb komme ich gerade, Herr Kommissar. Etwa zwei, drei Minuten, bevor ich diese Begegnung hatte, sah ich einen einzelnen Mann, der langsam die Strasse hinaufschritt.“
„Er kam Ihnen also entgegen?“
„Ja.“
„Sahen Sie ihn genau?“
„Nein. Ich hatte schon abgeblendet, er huschte daher nur wie ein Schatten an mir vorbei. Auch blickte er gerade nach rechts in den Wald hinein — von mir aus gesehen nach links natürlich.“
„Fuhren Sie schnell oder langsam?“
„Eigentlich ziemlich schnell.“
„Ein Aufspringen auf Ihren Wagen wäre also unmöglich gewesen?“
„Das hätte wohl nur ein Akrobat oder Schnelläufer fertiggebracht.“
„Hm — eine andere wichtige Frage: sind Ihnen auf der Fahrt nach Paris noch andere Wagen begegnet?“
„Jawohl.“
„Wieviele? Und was für welche? Waren auch noch Lastzüge dabei?“
„Lastzüge? Nein — die verlassen ja alle bereits am frühen Abend die Stadt.“
„Ja, richtig. Daran habe ich gar nicht gedacht. Na, was für Wagen begegneten Ihnen denn noch?“
„Drei, vier Privatautos — und zwei gewöhnliche Lastwagen.“
„Wo? Noch vor Corbeil?“
„Ja, ich mochte wohl so zehn Minuten weitergefahren sein, da kam schon der eine. Der andere fuhr gleich hinterher.“
„Was? Lastwagen?“
„Nein, der erste war eine Limousine. Dann kam der Lastwagen hinterher.“
„Welcher Art dieser Wagen war, wissen Sie nicht?“
„Wenn ich nicht irre, hatte er Holz geladen. Er fuhr recht langsam, soweit ich das beobachten konnte.“
„Die Höhe hinauf musste er später also noch langsamer fahren?“
„Wahrscheinlich.“
„Dann kam noch ein Lastwagen, sagten Sie?“
„Ja, gerade, als ich in Corbeil einfuhr. Er war mit einer grossen Plane verdeckt.“
„Sie fahren doch gewiss öfter die Strecke. Sind Sie diesem Wagen schon mehrfach begegnet?“
„Mag sein, aber ich weiss es nicht so genau. Man achtet ja schliesslich nicht so darauf.“
Berreux stellte noch einige weitere Fragen. Dann entliess er den Mann.
Auch Bout, Berreux’ rechte Hand, arbeitete fieberhaft. Er hatte sich nach Melun begeben. Dort eilte er zur Station und nahm sich zunächst den Schalterbeamten der Fahrkartenausgabe vor, nachdem er sich den Abgang der Züge in beiden Richtungen genau eingeprägt hatte.
Der Beamte glaubte sich eines Fremden entsinnen zu können, der ziemlich erregt eine Fahrkarte nach Paris verlangt hatte. Doch einen hellen Mantel habe er nicht getragen, vielmehr einen dunklen. Ausserdem habe er einen steifen Hut aufgehabt.
Bout war überzeugt, dass der Verbrecher sich wieder nach Paris gewandt hatte, da dort ein Untertauchen für ihn am leichtesten war. Dass er aber zunächst die Richtung nach Melun einschlug, schien auch für ihn gegeben zu sein. Darauf wies auch die Auswahl des Tatortes hin, da dort der Täter leicht auf ein vorüberfahrendes Auto aufspringen konnte, sofern es in der Richtung auf Melun zu fuhr. Hier hatte Berreux gleich den rechten Gedanken gehabt.
Bout suchte indessen vergeblich, etwas herauszubekommen. Es fuhren des Morgens zu viele Menschen von hier aus zur Hauptstadt hinein.
Er kehrte zum Tatort zurück, wo immer noch zwei Beamte mit Feststellungen beschäftigt waren. Nach den Aufzeichnungen der Taxiuhr musste der Ueberfallene während der Nacht genau vierunddreissig Franken und sechzig Centimes vereinnahmt haben. Erst nahm man an, dass diese ganze Summe geraubt sei, doch fand man in einem Brustbeutel des Erschossenen später zwanzig Franken vor. Dem Räuber konnten also nur etwa vierzehn Franken in die Hände gefallen sein, sofern Didier nicht noch etwas mehr bei sich hatte. Wie man später erfuhr, nahm er gewöhnlich etwa zehn Franken Wechselgeld mit.
Ein zu lächerlicher Betrag, um deswegen einen Menschen zu töten! Wahrscheinlich hatte der Täter doch mehr erwartet. Jedenfalls konnte er mit dem geringen Betrag nicht viel unternehmen. Schon diese Tatsache, so schloss Bout, musste ihn dazu veranlassen, bald nach Paris zurückzukehren.
Es ging bereits auf den Mittag zu, als endlich der Tote von einem Polizeikrankenwagen abgeholt und auch die Taxi fortgeschafft wurde. Man beschlagnahmte sie und fuhr sie in den Hof des Präsidiums, wo einige Fachleute die Untersuchung fortsetzen sollten. Ja, man versuchte sogar, von dem vernickelten Deckel des Aschenbechers und auch von den Türklinken Fingerabdrücke abzunehmen. Die Sitzpolster wurden heraus- und unter die Lupe genommen, wobei man einige winzige helle Stoffasern fand. Ihr Gewebe wurde genau untersucht.
Der Garagenmeister des Unternehmens, für das Didier fuhr, wurde zu Rate gezogen. Dabei stellte sich etwas Seltsames heraus. Der Garagenmeister behauptete steif und fest, dass sich im Wagen ausser dem üblichen Fussbelag auch noch eine weitere dünnere Fussdecke befunden habe. Er wies dies sogar an Hand eines genauen Verzeichnisses nach. Diese Decke war jedoch nicht vorhanden. Wo befand sie sich? Was war damit geschehen?
Man ordnete eine erneute genaueste Untersuchung des Tatortes an.
Kommissar Berreux hatte inzwischen die Witwe des Ermordeten aufgesucht. Die Frau war von dem furchtbaren Vorkommnis bereits unterrichtet. Sie sass völlig gebrochen da. Der kleine siebenjährige Erneste war eben aus der Schule gekommen, und als sie ihm sagte, dass sein Vater tot sei, begriff er es überhaupt nicht. Ihm schien der furchtbare Schmerz seiner Mutter zunächst näherzugehen. Immer wieder strich er ihr linkisch und selber heulend über das schwarze Haar.
Die Schwester der Frau war gekommen und gab sich im Zimmer mit den beiden anderen Kleinen ab, die erst recht nicht begreifen konnten, was sich ereignet hatte.
„Wann tommt denn der Papa endlich?“ fragte der vierjährige Jaques immerzu, „aber er tommt doch wieder, nich, Tante, nich?“ dabei fuchtelte er mit den winzigen Händchen immerfort in der Luft herum. Seine Tante schwieg, weinte in sich hinein und barg den Kopf in den Händen.
Madame Didier hockte noch in der Küche und hatte mehrere Nachbarn um sich herum, die sie vergeblich zu trösten versuchten. Berreux schickte alle diese Leute hinaus und nahm die Frau bei der Hand.
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