1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Er senkte den Kopf. Die vernünftig denkende Mutter hatte recht, und wenn Margarete auch nur ein wenig an ihm gelegen wäre, dann hätte sie nach dem unerfreulichen Ausgang letzthin den Versuch gemacht, ihn im Schmiedehaus zu sprechen.
Die Kinderfreundschaft war zu Ende und mit seiner Liebe musste er fertig werden.
Er reiste schon ein paar Tage vor Ferienschluss ab, und als er im Herbst wiederkam, hörte er, die blutjunge Prinzessin wäre die Braut des Prinzen Rödnitz geworden. An ihrem siebzehnten Geburtstag sei die Hochzeit.
Die Mutter meinte tröstend: „Sei froh, Hans, dass alles so gekommen. Deine Wünsche hätten nur Kämpfe und Sorgen heraufbeschworen!“
Weihnachten hörte er, die Durchlaucht und Prinzessin Margarete wären mit der Gesellschafterin und Zofe nach Gut Rödnitz in der Mark Brandenburg gereist, und eines Morgens kam während dieser Ferien ein Brief im Schmiedehaus an, der seine Adresse trug.
Hans blickte fast betroffen auf die schmalen, steilen Buchstaben, las den Absendervermerk: Margarete Wulffenberg in Rödnitz, Mark Brandenburg.
Niemand hatte gesehen, dass er den Brief erhalten, und er ging damit in den tief verschneiten Winterwald, und öffnete den Umschlag erst dort.
Margarete schrieb:
„Mein lieber Hans!
Dass ich verlobt bin, wirst Du erfahren haben, aber mir ist’s manchmal, als könne unsere Freundschaft doch nicht so schroff zu Ende gegangen sein, wie es doch eigentlich geschah. Schau, Hans, es war nicht recht, dass ich der alten Keller erzählt habe, der einstige Hofnarr der Wulffenberg sei ein Ahne von Dir gewesen. Wie sich dann die Keller zu Dir ausdrückte, klang es erniedrigend für Dich. Es kränkte Dich! Aber Du nahmst das zu schroff auf.
Verzeih mir, Hans, wenn ich Dir also indirekt wehe tat. Ich musste dir das sagen, es liess mir keine Ruhe.
Ich bin jetzt sehr froh. Auf Rödnitz geht es lustig zu. Fast jeden Tag ist was los. Wir tanzen und musizieren, machen Schlittenfahrten und Besuche auf Nachbargütern. Wir besuchen Berliner Theater und Grossmama ist generös. Ich besitze elegante Toiletten und Grossmama Rödnitz hat mich mit Schmuck versorgt. Ich werde verwöhnt und finde das Leben wunderschön. Und weil es mir so gut geht, mag ich nicht, dass Du meiner vielleicht im Groll gedenkst.
Also vergib Hans.
Einen herzlichen Gruss
Gretel.“
Hans Westfal blickte noch ein Weilchen auf die Zeilen nieder, dann riss er den Brief in winzige Stückchen, wanderte tiefer in den Winterwald hinein und streute die Papierfetzen langsam aus.
Nun erst war er völlig fertig mit dem Traum, der ihn einmal so hold eingesponnen.
Weil es Margarete so gut ging, wollte sie nicht, dass er ihrer im Groll gedachte. Nur deshalb!
Und sie hatte ihm doch einmal, wenn auch in der holden Torheit ihrer fünfzehn Jahre, gesagt, er sei ihr der liebste Mensch auf der Welt.
Er rannte sich müde und strebte an, dass körperliche Ermattung den Schmerz in der Brust betäuben sollte. Ein wenig gelang es ihm. Verachtung mischte sich ein.
Wie seicht der Brief war.
Mochte sie glücklich werden mit dem hocharistokratischen Junker aus der Mark.
Die letzten Ferientage verstrichen. Er reiste wieder nach Charlottenburg. Er musste seinen Kopf klar behalten für das Hauptexamen.
Seine ganze Zukunft hing davon ab.
Einmal war er in Berlin im Theater, im Metropol Unter den Linden. Da sah er in einer Loge Margarete neben ihrem Verlobten. Noch ein paar andere, höchst elegant gekleidete Herren und Damen sassen mit in der Loge.
Margarete trug ein lachsfarbenes Samtkleid und sah entzückend aus.
Aber Hans Westfal musste denken, dass sie ihm früher in dem verwaschenen weissen Kleide fast besser gefallen hatte.
Er sah, wie sie lachte und genoss.
Durch sein Herz ging ein leises und doch starkes Weh, er verliess das Theater lange vor Schluss der Vorstellung.
Es folgten ein paar Tage geistiger Ermattung. Ihm fehlte jede Arbeitslust.
Immer glaubte er das reizvolle, pikante Köpfchen Margaretes vor sich zu sehen.
Aber schliesslich gab er sich selbst einen moralischen Ruck. Nur nicht die Zukunft verpatzen, um eines Mädels willen, dem gar nichts an ihm gelegen war.
Er sagte sich dann auch wieder, er tat Margarete unrecht. Sie war ja heute noch ein halbes Kind. Wie durfte er sie in seinem Herzen gleich einer treulosen Geliebten behandeln.
Gewaltsam jagte er schliesslich alle Gedanken an Margarete fort, verscheuchte sie wie lästige Tagediebe, auf die man die Hunde hetzt.
Kopf klar und an nichts denken, als an die Arbeit und an seine Zukunft.
Mit eiserner Energie gelang es ihm.
Sein Examen fiel glänzend aus und er reiste zum letzten Male vor seiner Abfahrt nach Indien nach Hause.
Der robuste Vater riss ihm bald die Hände ab vor Freude über das erstklassige Examen, die Mutter drückte ihn wieder und wieder ans Herz, der Bruder, der einst die Schmiede erben würde, stand fast verlegen dabei, bis auch er von Hans fest an die Brust gezogen wurde.
„In vierzehn Tagen geht mein Schiff ab Hamburg, es reisen noch ein paar Ingenieure von Mannholz nach Batavia,“ erzählte Hans. „Ihr glaubt ja gar nicht, wie ich mich auf da drüben freue. Auf all das Fremde, Neue und auf die Arbeit!“
Die Mutter nahm ihn bei nächster Gelegenheit beiseite.
„Bist du gut mit allem fertig geworden, Hans, hat es dir nicht mehr so sehr weh getan das mit der Prinzessin?“
Muttersorge um den geliebten Sohn bebte durch die Frage.
Hans Westfal fühlte, wie, von den Worten erweckt, die Erinnerung auf ihn zukam gleich einem Schmerz, und ihr folgte seine einstige Hoffnung in stumpfen, düsteren Trauergewändern.
Er erwiderte leise: „Ich bin gut damit fertig geworden, Mutter, nur darf man nicht daran rühren. Das ist wie mit Wunden, die man heil wähnt, und die, wenn zufällig eine Hand darüber streift, doch schmerzen.“
Die Frau nickte.
„Ja, so mag das wohl sein, Hans, aber damit du nicht erschrecken sollst, falls du ihr zufällig einmal in den Weg läufst, die Prinzessin ist wieder hier und bleibt bis zur Hochzeit hier.“
Hans versuchte zu lächeln.
„Ich werde sie wohl kaum treffen.“ Er zuckte die Achseln. „Sei ruhig, Mutter, man kann sich hier gut aus dem Wege gehen.“
Ja, das konnte man, aber weder Frau Westfal noch Hans hatten damit gerechnet, dass Margarete direkt in die Schmiede kommen würde. Und das tat sie.
Eines Vormittags, als Hans vor der Schmiede stand und überlegte, wohin er seine Schritte wenden sollte, kam Margarete vom Walde auf die Schmiede zu, stand gleich darauf vor ihm.
„Guten Tag, Hans, ich hatte Sehnsucht nach dir und ich dachte es mir, dass du jetzt daheim sein müsstest, hörte es auch zufällig von unserem Kutscher.“
Wie eine hypermoderne Dame sah das blutjunge Prinzesschen aus, das im Juli erst siebzehn Jahre ward. Der knabenschlanke Körper steckte in einem weichfliessenden Mantel aus rostbrauner Seide mit schmalen Hermelinstreifen verziert, unter dem weissen Filzhut, der die Augen fast deckte, stahlen sich seitlich ein paar dunkle Locken hervor und in den kleinen Ohren hingen sehr lange Gehänge aus Perlen und Brillanten.
Ein Geschenk der alten Prinzessin Rödnitz.
Hans war nicht fähig, etwas zu erwidern.
Die Prinzessin lächelte.
„Hans, lieber Hans, ich habe dir doch geschrieben. Bist du denn so hart, kannst du mir denn gar nicht verzeihen, dass ich damals zu Fräulein von Keller ein bisschen vom Kaspar Westfal geschwatzt habe? Es geschah doch nicht, um dich zu kränken! Wie konnte ich ahnen, dass die Pute dir in so verletzender Weise davon sprechen würde.“ Sie hielt ihm die Hand hin. „Sei nicht mehr böse, Hans!“
Die wunderschönen Blauaugen sahen ihn bittend an.
Er nahm die Hand, liess sie sofort wieder frei.
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