1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 „Aber weiß man mit Sicherheit, dass es der Polizist war, der geschossen hat?“, fragte er kauend.
„Zeugen, Roland. Heutzutage gibt es zu jeder Tages- und Nachtzeit Zeugen. Smartphones hat man schnell zur Hand und einer, der dort auf den Bus gewartet hat, hat die ganze Szene aufgenommen.“
„Haben sie wirklich einen Einbruch in so einer stark belebten Gegend durchgezogen? Das ist doch total riskant.“
„Eigentlich gar keine so schlechte Idee. Keiner rechnet damit und der Adrenalinkick ist bestimmt auch größer. Einige Mitarbeiter waren gerade am Zuschließen, als vier Typen reingeplatzt sind und Pfefferspray versprüht haben. Einer der Verkäufer ist gestorben. Er litt an einer Lungenkrankheit und hat das Spray nicht vertragen.“
„Stimmt einen nachdenklich, dass die Kriminellen nun auch schon Pfefferspray benutzen.“
„Naja, man kann es eben legal und billig in Deutschland kaufen.“
„Hmm. Ein gewöhnlicher Raub endet also in Totschlag?“
„Ja, aber das ist wirklich nicht unser Bier, Roland. Darum muss sich das Präsidium kümmern. Du spielst doch nicht etwa mit dem Gedanken, wieder zurückzugehen, oder?“ Mark lächelte scherzhaft.
„Nein, gar nicht, wir …“
Er wurde vom Telefon unterbrochen, das klingelte. Mark hob ab und lauschte ernst, nickte und legte nach ein paar kurzen Kommentaren, denen Roland keine Informationen entnehmen konnte, wieder auf.
„Wer war das?“
„Der Chef. Sie haben drei der Räuber gefunden. Alles Jugendliche. Die Beschreibung trifft zu. Einer von ihnen hat offenbar in diesem Laden gearbeitet, in dem der Raub stattgefunden hat. Ein anderer ist von einer Kugel am Arm getroffen worden. Man kann jedoch noch nicht sagen, ob er aus der Dienstwaffe stammt. Nicht solange das Projektil noch nicht gefunden nicht, es ist jedoch erst kürzlich passiert, also …“
Mark starrte gedankenverloren aus dem Fenster.
Roland räusperte sich.
„Werden die Jungs auf dem Präsidium verhört?“
„Das ist leider nicht mehr möglich. Man hat sie alle drei erhängt im alten Tulip-Gebäude aufgefunden.“
Benjamin Trolle wusste nicht genau, was er erwartet hatte, aber jedenfalls nicht den Luxus, der sich ihm präsentierte, als er die Tür zu ihrem Reihenhaus aufsperrte. Er warf die schwere Tasche im Flur ab, rieb seine Schulter und steuerte sogleich auf das Panoramafenster im Wohnzimmer zu, das eine atemberaubende Aussicht auf die Umgebung bis hin zur Aarhuser City bot. Im Garten standen alte Obstbäume und kleine Büsche, die noch immer halb von Schnee bedeckt waren. Eine Katze hatte Spuren um das Vogelhäuschen hinterlassen. Die Sitzmöbel waren alle mit hellen Stoffen überzogen, ohne einen einzigen Kaffeefleck, die Tische aus hellem Holz. Vielleicht ein wenig zu lieblich auf dem ebenso blanken Parkettboden, doch es verlieh dem ganzen einen sauberen und reinlichen Eindruck. Nur ein paar bunte Kissen brachen das Bild.
„Heilige Scheiße“, rief er gedämpft, während er die Umgebung besichtigte. Automatisch machte sich ein Lächeln auf seinem Gesicht breit. Eine ganz neue Seite von ihr. Die Malereien an den Wänden glichen echter Kunst – ob sie es waren, konnte er nicht beurteilen. Die Küche sah mit ihrer Kücheninsel und dem freihängenden Dunstabzug völlig neu aus. Eine ganze Sammlung aus Flaschen mit Olivenöl, Essig und Kräutern waren auf dem Schrank neben dem Herd aufgereiht. Standmixer, Saftpresse und Eismaschine. Auf einem Regal stand eine Reihe verschiedener Kochbücher. Ob sie eine gute Köchin war, oder ob es nur so aussehen sollte? Lächelnd ging er zum Waschraum und ins Schlafzimmer. Das Doppelbett strotzte nur so vor Kissen und Decken mit gestreiften, pastellfarbenen Bezügen. Er stellte sich vor, wie die Daunen unter ihm knistern würden, wenn er sich darunterlegte und verspürte plötzlich eine überwältigende Müdigkeit. Als hätte er vier Jahre lang nicht geschlafen. Über einem Stuhl lag ein flüchtig darüber geworfenes Unterkleid. Er hatte sie immer nur in Uniform gesehen, dunkelblaue Hose, hellblaue Bluse samt Krawatte – nicht gerade sexy und feminin. Der Gedanke an ihren nackten Körper und die Haut unter diesem Kleidchen löste unmittelbar eine Erektion bei ihm aus. Scheiße, wie lange es hergewesen war, also so richtig. Die nächste Tür führte ins Badezimmer. Eine Erinnerung daran, dass er ein Bad nötig hatte. Ein Doppelwaschbecken aus einer dunklen Marmorplatte und eine riesige Badewanne. Woher zum Teufel nahm sie das Geld für all das? Vielleicht verdienten Gefängniswärter mehr, als er dachte. Das mussten sie wohl, aber es konnte ihm eigentlich auch egal sein.
Sein Spiegelbild ließ ihm unverzüglich das Lächeln vergehen. Er sah entsetzlich aus und passte überhaupt nicht in diese Umgebung. Die Bartstoppeln bedeckten sein Gesicht wie das eines Höhlenmenschen. Er ließ die Hand über seine Wangen und um das Kinn gleiten, als könnte er die Stoppeln abwischen. Die Hand glitt weiter zu seinem Nacken, hinein ins Haar, das auch zu lang geworden war, was ihm aber recht gut gefiel. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und öffnete den Schrank neben dem Spiegel. Hier sah es aus wie in den Regalen einer Parfümerie und dort lag auch ein Rasierer. Zwar ein fliederfarbener Ladyshaver, aber egal, Haare waren Haare – ganz gleich ob sie aus einer Frau oder einem Mann wuchsen. Wofür sie den wohl verwendete? Achseln, Beine und …? Er lächelte wieder, befüllte das Becken mit warmem Wasser und benutzte die milde, nach Mandeln duftende Handseife als Rasierschaum. Danach spülte er das Becken mit klarem Wasser aus, um es von den kleinen, schwarzen Bartstoppeln zu befreien. Es waren derartige Dinge, die Cecilie immer zur Weißglut getrieben hatten, wenn er sie vergaß. Hatte er sich verändert? Etwas gelernt? Was machte das Eingesperrtsein aus einem Menschen? Er begegnete seinem eigenen Blick im Spiegel und wiederholte die Bewegung der Hand über Kinn und Nacken. Seine Haut war jetzt weich wie ein Babypo. Er warf einen Blick auf die Uhr. Bald würde sie zu Hause sein. Entschlossen zog er T-Shirt und Unterhemd aus und bewunderte, posierend, seine Brust- und Armmuskeln im Spiegel. Ja, er hatte sich verändert. Das Fitnesscenter war eine gute Abwechslung in der Tristesse des Alltags gewesen. Er drehte sich und sah, wie sich das Motiv der Tätowierung um seinen Arm schlang. Keine bunten Farben, nur dezente, grauschwarze Nuancen, wie der Schatten von Efeuzweigen, die sich um den Arm nach oben rankten und kurz vor der Schulter Halt machten. Dort schwebte eine kleine, graue Lerche mit ausgebreiteten Flügeln, wie man sie im Sommer über den Feldern singen hören und ihre Nester bewachen sehen konnte. Es war schön geworden, feine Details waren mit dabei, sodass er die Federn fast ertasten konnte. Liebevoll berührte er sie mit seinen Fingerspitzen. Lærke, Lerche. Tattoo-Jackie wusste, womit er es zu tun hatte. Er zog den Rest seiner Klamotten aus und betrachtete seinen gesamten, nackten Körper. War zufrieden mit dem, was er sah. An einer Silberkette um seinen Hals hing die Hundemarke, die ihm Cecilie in dem Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte, in dem er als untauglich für den Wehrdienst erklärt worden war, weil er eine alte Sportverletzung am Knöchel hatte. Er war rasend gewesen, weil er sich wirklich gewünscht hatte, als Soldat aufgenommen zu werden. Er wurde abgewiesen, während andere dazu gezwungen wurden. Es war die original dänische Hundemarke mit genau demselben ID-Schild, das die dänischen Soldaten als Erkennungsmarke zugeteilt bekamen. Die Personenkennzahl war jedoch durch sein Geburtsdatum ersetzt worden. Der Schmuck war eine Art Trost gewesen und er hatte die Marke seit jeher stets getragen.
Während sich die Badewanne füllte, machte er Liegestützen auf den beheizten Fliesen. Er lauschte dem plätschernden Wasser, schloss die Augen und fühlte sich endlich frei. Hier zwang ihn niemand zu irgendetwas. Jetzt konnte er frei denken. Den Plan zu Ende denken.
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