Elliot und der blauhaarige Halbbruder lächelten, als sie ihn sahen. Der dritte verzog keine Miene.
Ja. Es war nun definitiv zu spät, um sich anders zu entscheiden. Er versuchte, das Lächeln zu erwidern. Nun, es war wohl mehr eine Grimasse, aber er hatte es zumindest versucht.
»Hi«, sagte Elliot. Er trug heute ein legeres Sportoutfit. Seine Nikes waren neonblau. Jaden konnte nicht anders, als sie anzustarren. Die Farbe war sogar noch greller als die Einrichtung um ihn herum. »Hast du gut geschlafen? Konntest du etwas zu Essen auftreiben? Ich weiß nicht mehr, ob noch Vorräte im Haus waren. Wenn nichts mehr da war, hast du hoffentlich die Kataloge vom Lieferservice entdeckt.«
Anscheinend war Jaden nicht der Einzige, der nervös war. Er war sich nicht sicher, ob er erzählen sollte, dass Chase ihm Essen vorbeigebracht hatte. Das war eine süße Geste gewesen. Zuerst waren zwar Schmetterlinge in Jadens Bauch erwacht, aber dann hatte sich etwas verändert. Ein warmes, angenehmes Gefühl hatte sich in Jadens gesamtem Körper ausgebreitet. Sie hatten stundenlang geredet und Serien geguckt, bis Jaden anscheinend eingeschlafen war. Nun hatte Jaden eine Menge Essensreste, und er war ein bisschen in Chase verknallt. Auch, wenn das natürlich hoffnungslos war.
Der blauhaarige Mann schob Elliot kurzerhand beiseite und streckte Jaden die Hand entgegen. »Ich bin Phoenix.« Er deutete mit dem Kopf auf den dritten Mann. »Und das ist Zane. Es ist schön, dich kennenzulernen.« Sein Lächeln wirkte entspannt und ehrlich. Phoenix hatte einen festen Händedruck, seine Handfläche fühlte sich kühl an. Jaden wünschte, er hätte seine eigenen Hände noch an seiner Jeans abgewischt. Sie wurden immer schwitzig, wenn er nervös war.
»Freut mich auch«, sagte er. Es war ein Wunder, dass seine Stimme nicht brach.
Phoenix deutete auf einen freien Tisch, der wie ein roter Cadillac aussah. »Wir wäre es, wenn wir uns setzen? Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich brauche meinen Morgenkaffee.«
Jaden folgte ihnen zum Tisch. Zanes Schweigen machte ihn fertig. Warum sagte er nichts? Würde er derjenige sein, der Jaden nicht mochte und ihn als einen Eindringling betrachtete? Natürlich erwischte er den Platz neben Zane. Ihre Ellbogen berührten sich und er trat unabsichtlich unter dem Tisch gegen Zanes Knöchel. Er entschied sich dafür, so zu tun, als wäre nichts, und starrte mit brennenden Wangen auf seine Speisekarte. Eigentlich hatte er keinen Hunger. Es fühlte sich an, als würde ein schweres Bleigewicht in seinem Magen liegen. Schon allein beim Gedanken an Essen wurde ihm schlecht. Aufregung schlug ihm immer auf den Magen. Vor einiger Zeit hatte er vermutet, dass er ein Magengeschwür hatte. Sein Arzt hatte einige Tests gemacht und ihm dann empfohlen, zum Seelenklempner zu gehen. Laut ihm bestand keine Gefahr, dass er ein Magengeschwür entwickelte, sondern eher, dass sich eine Panikattacke anbahnte. Rein körperlich sind Sie gesund wie ein Pferd, hatte er gesagt. Jaden hatte diese Redewendung noch nie verstanden, aber die Nachricht war angekommen. Er war physisch in bester Form, mental war er ein Wrack. Eigentlich brauchte er keinen Arzt, um zu wissen, dass er ein neurotischer Mensch war. Das war eben einfach so.
»Wenn du Waffeln magst, empfehle ich die mit Zimt und Äpfeln. Aber der gefüllte French Toast ist auch gut. Und Gloria macht die fluffigsten Pfannkuchen der Welt. Also, ich meine, die sind auch lecker.«
Phoenix stieß Elliot mit dem Ellbogen an, nickte Jaden zu und verdrehte die Augen. »Ich muss mich für Elliot entschuldigen. Er kommt nicht viel raus und seine sozialen Kompetenzen sind verbesserungswürdig.«
Zane neben ihm schnaubte. Er zog den Kopf ein, versteckte sein Grinsen hinter seiner Faust und tat so, als würde er husten.
Jaden war sich ziemlich sicher, dass Elliot nicht auf sein Schienbein gezielt hatte, sondern auf Zanes. Doch er kickte Jaden. Fest. Jaden sog scharf die Luft ein.
Elliot wurde schlagartig rot. »Oh Fuck«, sagte er. »Sorry.«
Nun begann Zane wirklich zu lachen. Seine Schultern zuckten.
Phoenix biss sich auf die Unterlippe und gab sich sichtlich Mühe, seinen Lachanfall zu unterdrücken.
Genau in diesem Moment erschien die Kellnerin. Sie war groß, kurvig, rothaarig und wirkte kein bisschen überrascht, sie zu sehen. Ihre weiße Bluse hatte sie in ihre kurze Jeansshorts gesteckt, sodass man ihre langen, blassen Beine bewundern konnte. Sie sah Zane an und hob fragend eine Augenbraue. »Was ist denn so lustig?«, wollte sie wissen. »Ich kann um diese Uhrzeit auch eine Aufmunterung gebrauchen.«
Zane grinste zum ersten Mal und unterdrückte immer noch sein Kichern. »Oh, ich muntere dich immer gerne auf«, sagte er und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen.
Sie schlug ihm mit ihrem Notizblock auf den Hinterkopf. »Nicht in einer Million Jahren.« Ihr Blick aus grünen Augen wanderte zu Jaden. Interessiert musterte sie ihn. »Und wen haben wir hier? Dich habe ich noch nie gesehen.«
»Das ist Jaden. Unser Bruder«, sagte Phoenix.
Jaden erstarrte. Ihm hatte es die Sprache verschlagen. Phoenix sagte das so einfach, als wäre es überhaupt nicht merkwürdig, dass ein Verwandter, ein Bruder auch noch, einfach so auftauchte. Er kannte Jaden gar nicht und trotzdem akzeptierte er einfach, dass sie Brüder waren.
»Noch ein Bannister? Wachst ihr auf Bäumen?« Die Kellnerin musterte Jaden erneut, diesmal von Kopf bis Fuß.
Jaden rutsche unruhig auf seiner Bank hin und her und sah angestrengt in die andere Richtung. Er stand nun mal nicht auf Frauen. Aber das hier war nicht New York, sondern eine Kleinstadt in Florida. Er würde seine sexuelle Orientierung nicht jedem auf die Nase binden.
»Was kann ich dir zu trinken bringen?«, fragte sie.
Er räusperte sich. »Kaffee, bitte.«
»Klar doch.« Ihr Blick verweilte noch einen Moment auf ihm, dann nahm sie die Bestellungen der anderen auf. »Kommt sofort.« Mit schwingenden Hüften ging sie davon.
Die Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf ihn. Jaden war versucht, die Kellnerin zurückzurufen. Zane hatte wieder seine neutrale Miene aufgesetzt.
Elliot kratzte sich am Kinn und lächelte verlegen. »Sorry wegen all der Fragen. Aber im Ernst: Hast du gut geschlafen?«
Es war seltsam, in Augen zu blicken, die seinen so ähnlich sahen. Jadens Mutter hatte braune Augen. Er hatte zwar gewusst, dass er das Blau von seinem Vater geerbt hatte, aber nun wurde ihm erst wirklich bewusst, was es bedeutete. Jaden hatte eine Seite, die er selbst gar nicht kannte. »Ich habe okay geschlafen«, antwortete er. Er erwähnte nicht, dass er auf der Couch übernachtet hatte statt in einem der Gästezimmer. Es war eigentlich keine Absicht gewesen, aber er würde wahrscheinlich auch heute nicht in einem der Betten schlafen. Es fühlte sich irgendwie zu persönlich an. Wahrscheinlich ergab das nur für ihn selbst Sinn. Aber es war einfach merkwürdig, sich im Haus seiner toten Großmutter einzurichten. Es war nicht sein Zuhause. Die Nachrichten heute Morgen hatten ihm nur bestätigt, wie weit er von zu Hause entfernt war. Er hatte den Fernseher eingeschaltet, komplett groggy ohne seinen üblichen morgendlichen Kaffee, und einen Bericht über einen Alligator gesehen, der sich auf einem Golfplatz herumtrieb. Es war ganz eindeutig: Er war nicht mehr in New York.
Phoenix gähnte. Sein Kiefer knackte. »Ich kann heute mit dir Einkaufen fahren, wenn du willst. Und ich kann dir die Stadt zeigen, damit du dich auskennst.«
»Ich …« Jaden wollte nicht bleiben. Er bekam aber langsam den Eindruck, dass sie das glaubten. Er musste das klarstellen. Also öffnete er den Mund, um genau das zu tun. »Das wäre nett«, sagte er.
Was zur Hölle?
Wer hatte seinem Mund erlaubt, das zu sagen? Ganz sicher nicht er.
»Cool.« Phoenix grinste und entblößte seine Zähne, die so aussahen, als würden sie aus einer Zahnpastawerbung stammen. »Wir haben uns gedacht, dass jeder von uns einen Tag mit dir verbringt. Um dich kennenzulernen.«
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