Das Essen sollte serviert werden. Leider war der Tisch mit vielen Papieren und Notizblättern belegt, es war ein sogenanntes Arbeitsessen. Herr Ustinov nahm die an seinem Platz liegenden Blätter und warf sie einfach zu Boden. Dagegen war nichts einzuwenden, nur wie sollte ich nun servieren, wie den Teller an seinen Platz setzen? Ich musste, um an den Tisch zu gelangen, mit einem großen Schritt über die am Boden liegenden Blätter steigen. Was ich auch tat. Sir Peter sieht das, schaut mich regelrecht dankend an und sagt: »Herr Nährig, soeben haben Sie meine Schriften übersetzt.«
Als einmal das Gespräch auf Ehrungen und Orden kam, erzählte er mir Folgendes. Eines Sonntagnachmittags hatte sich der Gemeinderat aus seinem Wohnort in der Nähe des Genfer Sees zu einem Besuch bei ihm angemeldet. Nach einer kurzen Präambel eröffnete ihm einer der Herrn, man habe beschlossen, nachdem die Ansässigkeit seiner berühmten Person dem Ort Glanz und eine gewisse Popularität gebracht habe, ihm, dem Künstler, eine Straße zu widmen. Ustinov hörte interessiert zu, schüttelte dann bescheiden den Kopf und sagte: »Lassen Sie das mit der Straße, ein Haus würd’ mir genügen.«
In den neunziger Jahren gab Peter Ustinov eine »One Man Show« in der Musikhalle. Heute heißt sie Laeiszhalle. Tout Hamburg hatte sich Karten für den Auftritt besorgt. Ein epochales Ereignis. Zusammen mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar hatte auch der Logistik-Unternehmer Thomas Hoyer die Show besucht und für danach einen Tisch im Grill reserviert. Bei seinem Reservierungsanruf bat mich Herr Hoyer eindringlich um einen Platz in der Nähe von Peter Ustinov, für den Fall, dass auch er nach der Vorstellung zum Essen kommen sollte. Da ich wusste, wo Ustinov gerne saß, konnte ich das gut einrichten. Ja, Sir Peter kam tatsächlich nach der Vorstellung in den Grill und saß nun genau neben den Hoyers, die sich gleich für den wunderschönen Abend und für die herrliche Show bedankten.
Thomas Hoyers Frau ist Australierin, und aus welchem Grund auch immer verstanden sich Penelope Hoyer und Peter Ustinov auf Anhieb. Als Penelope auf Peters Stuhllehne saß, ahmte er ihr zu Ehren sofort das australische Nationaltier Känguru nach, was ihm in Anbetracht seines fortgeschrittenen Alters nicht ganz leicht fiel. Ich glaube, auf die Sprünge verzichtete er. Doch er war so »super drauf«, dass wir schließlich mehr oder weniger die ganze Show nochmals erleben durften.
Einmal wartete er vor seiner Abreise aus dem Hotel auf seinen Chauffeur, der ihn zum Flughafen bringen sollte. Er waren an diesem Tag kaum Gäste im Grill, und so konnten wir ein wenig plaudern. Ich nahm dies zum Anlass, ihm einmal zu sagen, wie sehr ich von ihm und seinem Leben beeindruckt bin. Von den vielen verschiedenen Sachen, die er in seinem Leben gemacht hat. Er war unter anderem Schauspieler, Regisseur, Autor, Stimmenimitator, Komödiant, ja sogar Rennfahrer. Er habe in seinem Leben, so teilte er mir mit, alle schönen Autos der Welt gefahren. Besonders gern die PS-starken und schnellen.
All das hat einen kleinen Schatten auf mein demgegenüber vergleichsweise armes Leben geworfen, was ich ihn auch wissen ließ. Am Ende meiner Lamentationen verkündete ich, dass ich im Leben, ehe es zu Ende gehe, noch einmal etwas Großes, Schönes und Reines machen möchte. Das sei so ein Wunsch von mir, setzte ich erklärend hinzu. Er sah mich mit seinem verschmitzten Lächeln an und meinte, etwas mitleidsvoll: »So waschen Sie doch einen Elefanten«, worauf wir beide sehr herzlich lachten. Dass er hierbei feinsinnig eine Erwiderung zitierte, welche einst Else Lasker-Schüler ihrem Dichterkollegen Gottfried Benn auf eine recht ähnliche Frage gegeben hatte, wurde mir erst viele Jahre später bewusst. Sir Peter war eben auch ein sehr belesener Mann.
Peter Ustinov gehörte zu dem kleinen Kreis von Prominenten, bei denen ich mir erlaubte, sie um ein Autogramm zu bitten. Als er einmal alleine am Tisch saß, nutzte ich die Gelegenheit, mein Anliegen vorzubringen. »Oh«, sagte er mit seinem dezenten englischen Akzent, »recht gern.« Aber dann ließ er sich Zeit. Ich wartete und wartete. Fürs viele Warten wurde ich schließlich wahrhaft »fürstlich« belohnt. Er hatte die gereichte Visitenkarte des Hotels nicht nur mit seinem Namenszug versehen, sondern dazu auch noch ein recht gut getroffenes Porträt von mir gezeichnet. Darunter setzte er den Schriftzug: »Rudolf Nährig, dem Kronprinzen der k. u. k. Oberkellner.«
Noch eine allerletzte kleine Ustinov-Geschichte: Sir Peter war mit einigen Gästen zum Mittagessen verabredet. Da wenig Zeit war – es sollten hinterher gleich wichtige Gespräche stattfinden –, hatte man sich für ein vorbestelltes Menü entschieden. Eine Gemüsesuppe und danach Wiener Tafelspitz. Die Suppe ist gegessen, es kommt der Tafelspitz. Einer der Gäste isst nur Kartoffeln und Gemüse und würdigt den schönen Tafelspitz keines Blickes. Als Ustinov das sieht, fragt er seinen Gast: »Schmeckt Ihnen das Fleisch denn nicht?«
»Nein«, antwortete der Gast, »durch eine fleischlose Ernährung möchte ich mein Leben verlängern.«
»Komisch«, gab Ustinov zurück, »und ich dachte immer, euch Vegetariern macht es Spaß, ins Gras zu beißen.«
Christopher Lee – Ohne mich, jeder Tag dir so bang
Sir Peter war nicht der einzige internationale Filmstar, dem ich im Vier Jahreszeiten begegnet bin. »Sie sind Wiener«, ertönte einmal unvermittelt eine tiefe Stimme hinter mir. »Ja, woher wissen Sie das?«, fragte ich zurück, während ich mich umdrehte. »Ich habe in Wien viele Male gespielt und erkenne sofort die wienerische Farbe in Ihrer Sprache.« Es war Christopher Lee, der Schauspieler, den ich in einigen Filmen als Graf Dracula gesehen und bewundert habe.
Sofort intonierte er den Ochs von Lerchenau aus dem Rosenkavalier von Richard Strauss: »Ohne mich, ohne mich, jeder Tag dir so bang, mit mir, mit mir, keine Nacht dir zu lang.« Wir sangen sofort im Duett diesen großartigen Text Hugo von Hofmannsthals, der bekanntlich viele Libretti für Strauss geschrieben hat. »Jetzt«, sagte er sodann, »muss ich ein Wiener Schnitzel essen und dazu an Heirigen trinken.« Ein paar Minuten später kam auch seine Frau dazu. Eine elegante Dänin. Ganz in Schwarz gekleidet. Großer schwarzer Hut. Große dicke Sonnenbrille. Sah aus, als sei sie selbst ein Star. War sie wohl auch, halt nur keine Schauspielerin. Aber sie hat früher als Model gearbeitet.
Jedes Mal, wenn dieser große, hagere Mann wieder im Hotel wohnte – und das war oft zweimal im Jahr –, sangen wir zur Begrüßung die Arie des Ochsen aus dem Rosenkavalier . Sozusagen ein Wiener Ochs und ein englischer.
Christiane Hörbiger – Unser Vater war ein Hausherr
Auch mit der Schauspielerin Christiane Hörbiger hat mich das Wienerische sogleich verbunden. Sie war mit ihrem Produzenten Markus Trebitsch, dem Sohn des großen Hamburger Filmproduzenten Gyula Trebitsch, im Grill zum Mittagessen. Als sie merkte, dass wir Landsleute sind, kamen wir ins Gespräch über unsere einzigartige Heimatstadt, über Schauspiel und Theater.
Bei diesem Anlass musste ich an eine ihrer Theateraufführungen zurückdenken, die ich erleben durfte, als sie im Rahmen einer Theatertournee in Lübeck gastiert hatte, und ich berichtete Frau Hörbiger und ihrem Begleiter von meinen Erinnerungen. Das war im Jahre 1972 gewesen (damals kellnerte ich in dem Lübecker Café Niederegger, meinem Sprungbrett ins Vier Jahreszeiten). Das Stück war Olympia von Franz Molnár; in den Hauptrollen Christiane Hörbiger und ihre Mutter Paula Wessely. Ich erzählte, wie damals vor Beginn der Aufführung ein Mann vor den Vorhang getreten sei: jener Mann, der fast immer schlechte Nachrichten verkündet. So war es dann auch. Der Hiobsbote gab bekannt, dass Frau Hörbiger erkältet sei, sie aber trotzdem spielen werde. Sie hielt die gesamte Darbietung bis zum Ende durch und es war ganz wunderbar. Frenetischer Applaus. Standing Ovations. Ebenso erinnerte ich mich an eine Vorstellung von Arthur Schnitzlers Anatol im Wiener Burgtheater mit Christiane Hörbiger als Cora, die Hypnotisierte. Auch eine Aufführung von Ferdinand Raimunds Der Bauer als Millionär bei den Salzburger Festspielen bleibt mir unvergesslich, bei der Christiane Hörbiger ebenfalls zusammen mit ihrer Mutter auftrat. Paula Wessely war die »Zufriedenheit« und Christiane spielte das Lottchen.
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