Hólm plante insgesamt vier Fahrten, um das Vieh von Reykjavík abzuholen. Voll Freude fährt er nach England zurück, aber dort erwarten ihn vernichtende Neuigkeiten. Miller und sein Geschäftspartner waren plötzlich bankrott gegangen und hatten sich zerstritten. Sie beschuldigten sich gegenseitig, den anderen um sein Geld betrogen zu haben, und es bestand keine Aussicht auf Einigung. Nun war für den jungen verwegenen Mann, der soeben das Jahrhundertgeschäft zwischen Island und einer ausländischen Nation abgeschlossen hatte, guter Rat teuer. Er würde vor seinem Volk als Verräter dastehen, als Hochstapler und Großmaul, und die Stadt Reykjavik versinkt in blökender, wiehernder und muhender unverkaufter Ware.
Als es keinen Ausweg mehr zu geben scheint, beschließt Hólm, an Jón Sigurdsson zu schreiben, ihm seine Leidensgeschichte mitzuteilen und ihn um Hilfe zu bitten. Jón läßt ihn auch diesmal nicht im Stich. Es gelingt ihm, Hólm mit einem gewissen Alistair, einem reichen Landbesitzer, in Verbindung zu bringen. Hólm sucht ihn auf, und mit seiner Überzeugungskraft und dem ihm eigenen Charme gewinnt er den Mann für sich. Und das so gründlich, daß Alistair nach ihrer Begegnung fest davon überzeugt ist, daß das einzige, was ihm bisher noch gefehlt hatte, Islandschafe seien, um sie hierzulande zu verkaufen.
Die Ware befindet sich bereits auf dem Weg nach Reykjavík, und Hólm und Alistair zögern nicht lange, ein Schiff zu chartern. Aber das Schiff strandet kurz nach der Abfahrt vor der Küste Schottlands. Sie reisen in aller Eile nach Glasgow, und mit Hartnäckigkeit gelingt es ihnen, ein anderes Schiff aufzutreiben, das dreitausend Schafe transportieren kann. Endlich scheint die ganze Sache unter Dach und Fach. Aber als das Schiff auslaufen will, stellt sich heraus, daß es nicht versichert ist, und daran ist nicht zu rütteln. Und kein anderes Schiff ist zu finden, außer einem, das mit Rindern von Portugal auf dem Weg sein soll.
So vergeht die Zeit, bis alles zu spät ist.
Die isländischen Bauern hatten mit viel Mühe ihre Schafe, Pferde und Rinder nach Reykjavík getrieben, aber das Schiff von Schottland traf niemals ein, und keiner wollte die Erklärungen Hólms hören. Man warf sich erneut in die Arme der dänischen Ausbeuter.
Nachdem Hólm seine ergreifende Erzählung beendet hatte, sagte Cameron, der inzwischen aufgewacht war, voller Anteilnahme, er sei davon überzeugt, den Isländern werde es in Zukunft besser gelingen, ausländisches Kapital ins Land zu bringen. Ich versuchte zu lächeln, zitierte meinen Longfellow und sagte leise:
„Excelsior!“
Er lachte herzlich, steckte sich eine Zigarre an, pustete heftig, lachte abermals und schüttelte den Kopf, murmelte das Wort vor sich hin und nickte lebhaft dazu.
Cameron und ich blickten uns schweigend an. Der Isländer weckt starke freundschaftliche Gefühle in mir. Er ist so ungebrochen, so unberührt von seiner Niederlage. Brüderliche Gefühle erwachen in mir, sogar väterliche. Äußerst sympathisch, wenn auch etwas redselig.
Liste der geplanten Unternehmungen auf Island:
1 Einen Ausbruch des Geysirs sehen
2 Den Vulkan Hekla besteigen
3 Die Rebellen kennenlernen
4 Mir über meine Gefühle bezüglich jüngst vergangener Ereignisse und über Charlotte Klarheit verschaffen
5 Nachforschungen über die Familie meiner Mutter anstellen
6 Inspirationen für einen Gedichtzyklus über Island sammeln
7 Die Schauplätze der Njálssaga besichtigen
8 Thingvellir besichtigen
9 Den nordischen Geist der Saga-Insel tief in mich aufnehmen
10 Abenteuer bestehen
„… ich bewundere zunehmend seine Fähigkeit,
so über sein bevorzugtes Lieblingsthema
zu sprechen, daß man meint, es wäre
ihm soeben das erstemal in den Sinn
gekommen …“
Cameron ist im Grunde so etwas wie meine zweite Hälfte. Ein treuer Freund ist Goldes wert, heißt es irgendwo. Es bedeutet mir viel, ihn als Reisegefährten zu haben, und so haben wir Gelegenheit, unsere vielerprobte Freundschaft aus der Schulzeit zu erneuern. Ich kann nicht umhin, ihn für seinen Eifer und seine Unermüdlichkeit zu bewundern, wenn er Natur und Menschen mit beispielloser Sorgfalt und Genauigkeit beobachtet. Ich bin überzeugt, er wird sich noch einen Namen als bedeutender Wissenschaftler erwerben. Es gibt keinen Gegenstand, mit dem er sich nicht vertraut gemacht hätte, und zu jedem Thema hat er eine fundierte, feste Meinung. Auch seine Vielseitigkeit ist ohnegleichen. Er hat nicht nur alle wissenschaftlichen Theorien unserer Zeit gründlich studiert, sondern gibt auch einen begabten Schriftsteller und guten Maler ab.
Ich bin sicher, er wird mit allen Schwierigkeiten fertig werden, so reiseerfahren wie er ist …
Edinburgh bietet wahrhaftig einen herrlichen Anblick, und die Berge ringsum sind majestätisch. Die Festung zaubert im Geist sofort Bilder von wackeren Rittern und keuschen Jungfern hervor und müßte einen würdigen Rahmen für ein geschichtliches Epos abgeben. Wir sitzen im Kaffeesalon des Hotels und lassen uns einen vorzüglichen gelben Kuchen mit braunem Schokoladenüberguß munden. Am Tisch nebenan sitzen Deutsche, die einen solchen Lärm veranstalten, daß man unwillkürlich an Tacitus und seine Germania denkt, in der er vom ungeheuren Geschrei der Germanen bei der Vorbereitung auf den Kampf berichtet. Dagegen ist wenig zu machen. Ich selbst bin auf dem Weg in ein Land, dessen Einwohner den Urgermanen in Geisteshaltung und Lebensweise noch viel näher stehen als diese leidigen Schreihälse.
Hólm plaudert in einem fort, während ich über meinen Notizen sitze; kein Wunder bei der Unverdrossenheit, mit der er sich an den Whisky hält. Seine Augen leuchten vor Begeisterung, und seine Stimme schallt, während er Cameron von der Notwendigkeit einer regelmäßigen Schiffsverbindung mit Island überzeugt. Ich muß gestehen, ich bewundere zunehmend seine Fähigkeit, so über sein bevorzugtes Lieblingsthema zu sprechen, daß man meint, es wäre ihm soeben das erstemal in den Sinn gekommen. Dann beginnt er, von Napoleon zu sprechen, den er angeblich geliebt und bewundert hat, bis er sich Kaiser nannte und einen Krieg gegen die Deutschen anfing. Ich achte die Deutschen, sagte er, vielleicht etwas übertrieben laut: verachte die Dänen und liebe die Engländer! Und jetzt hat er begonnen, ein Loblied auf Gladstone zu singen.
Er bringt es irgendwie fertig, über all das auf einmal zu sprechen und es doch auf eine verwunderliche Weise nicht zu vermischen, was der isländischen Rhetorik freilich ein gutes Zeugnis ausstellt, wie übrigens auch die Tatsache, daß Cameron schweigt, die Brauen hochzieht und zuhört, während der Isländer redet und redet. Er ist jetzt dabei, ein Gedicht seines Freundes Jochumsson ins Englische zu übersetzen, aber ich habe den Eindruck, daß die Dichtung doch etwas darunter leidet, es sei denn, Hólm überschätzt die Werke seines Freundes. Cameron hört dem Vortrag nachdenklich zu und sagt dann mit Nachdruck, das wäre wirklich sehr exemplatisch (!).
Ich bin todmüde, aber voller Erwartung. Ich habe Angst. In mir macht sich der Verdacht breit, daß ich blind ins Verderben renne, daß ich auf der Flucht bin.
Cameron und ich unterhielten uns heute über Weinbau, Architektur, Frauenrechte und Gott. Er behauptet, Atheist zu sein, und spricht viel von Darwin und seinen Fossilien. Sollte es möglich sein, mit Steinen einen Beweis gegen die Existenz Gottes zu erbringen? Er bat mich auch, ihm ein neueres Gedicht von mir zu zeigen, mit dem ich zufrieden sei. Ich gab ihm das Gedicht über Prometheus. Er ließ kaum ein gutes Haar daran.
Beide halten sich tüchtig an den Whisky. Cameron hat begonnen, Hólm einschlägige und recht derbe Lieder vorzusingen, und bedrängt ihn jetzt, ebenfalls etwas zum besten zu geben. Hólm stimmt einen äußerst schwermütigen Gesang an. Ich werde sie hier allein zurücklassen, meine beiden Landsleute.
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