Der Lensmann bemerkte nichts und fuhr fort:
»Ich hab das andere Nummernschild überprüft, wie Sie mich gebeten haben. Range Rover. Schwarz. Neuestes Modell. Der ist auf einen Mann namens Geir Ove Frisk angemeldet. Adresse ist Munkedamsveien in Oslo. Drei Punkte wegen zu hoher Geschwindigkeit. Achtunddreißig Jahre alt. Der Führerschein wurde seinerzeit in Hammerfest ausgestellt.«
Dieser Name sagte Moen nichts. Er notierte sich die Auskünfte und trank einen Schluck Kaffee. Dann sah er auf die Uhr und griff nach seinem Handy, das im selben Moment klingelte.
»Hier ist Astrid. Ich hab was läuten hören und warte auf Ihren Bericht. Warum rufen Sie nicht an?«
»Ich habe auf ein paar Auskünfte gewartet, die eben reingekommen sind. Ich wollte gerade mit Ihnen telefonieren«, sagte Moen.
Am anderen Ende der Leitung war es für einen Augenblick still.
»Ist es möglich, dass es sich um Linn Fostervoll handelt?«
»Lässt sich nicht ausschließen. Es ist eine Frau, und die Kleidung deutet zumindest darauf hin, aber zum momentanen Zeitpunkt weiß ich noch nicht so viel. Der Wagen ist mit der Leiche auf dem Weg in die Rechtsmedizin.«
»Das ist ja wirklich unfassbar. Der Chef wird einen Purzelbaum schlagen, wenn sie es ist.«
Moen massierte sich die Stirn und sah zum Lensmann hinüber, der dem Gespräch aufmerksam folgte. Astrid Bredeveien sprach so laut, dass Moen den Hörer ein wenig vom Ohr weghalten musste.
»Sie wissen, wie belastend diese Sache für uns hier gewesen ist. Die Presse, oder die Öffentlichkeit, wie sie sich gerne bezeichnet, verfolgt uns seit ihrem Verschwinden auf Schritt und Tritt. Die sind ja völlig hemmungslos, wenn es um ihre eigenen Leute geht. Sollten Sie sie tatsächlich gefunden haben, werde ich Ihnen höchstpersönlich einen Orden anheften. Wissen Sie schon irgendwas über den Wagen?«
Der Lensmann lächelte. Er hatte jedes Wort verstanden. Moen machte eine kleine Kunstpause, bevor er sich äußerte.
»Er ist unter dem Namen Erling Krokfoss registriert. Ein Oldtimer, soweit wir es beurteilen können, und der Besitzer ist tot. Seine Witwe Lillemor ist jetzt formal gesehen die Eigentümerin.«
»Sagten Sie Krokfoss? Gibt es da irgendeine Verbindung zu Halvdan Krokfoss?«
»Erling war sein Vater, die Witwe ist seine Mutter.«
»Sind Sie ganz sicher?« Frau Bredeveien war im ganzen Raum zu hören.
Moen runzelte die Stirn und sah den Lensmann fragend an, der zweimal nachdrücklich nickte.
»Mein Kollege ist sich ganz sicher. Er hat mit der Witwe gesprochen, die ihn an den Sohn weiterverwiesen hat. Halvdan Hohle Krokfoss.«
»Du meine Güte, jetzt muss ich überlegen. Morgen früh fliege ich nach Genf. Eine weitere EU-Konvention. Ich rufe Sie in einer halben Stunde wieder an. Verhalten Sie sich solange ruhig.«
Eine Stunde verging, und der Abend war gekommen.
»Ich habe Marit Gaasland instruiert«, sagte Astrid Bredeveien am Telefon. »Sie treffen Sie morgen früh um neun in der Rechtsmedizin, dann bekommen Sie das weitere Briefing. Schicken Sie mir eine SMS, wenn die Identifikation positiv ist.«
Mehr hatte sie nicht zu sagen. Moen stand auf, dankte dem Lensmann für die Zusammenarbeit und ging zu seinem Wagen. Von dort aus rief er seine Lebensgefährtin an. Sie nahm sofort ab, und Moen hörte Stimmen und Fernsehgeräusche im Hintergrund.
»Warte mal«, sagte sie und zog sich offenbar vor dem Lärmpegel zurück.
»Ich bin bei Grete in Lillestrøm. Ich bleib bis morgen hier. Wie geht’s dir?«
Moen erklärte, wie sich die Sache entwickelt hatte.
»Alles beim Alten, ich verstehe. Knut Moen macht das, was er am besten kann.« Sie schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: »Wie sieht’s denn morgen aus? Soll ich mit dem Essen auf dich warten?«
»Ich fürchte, es wird sehr spät«, erwiderte Moen.
Sie lachte.
»Wieder mal die alte Leier. Du kannst dich selbst um dein Essen kümmern. Das Haus ist leer. Wiederhören.«
Moen stieg aus dem Auto und blickte sich um. Er zündete sich eine Zigarette an und machte sich auf in Richtung Rimi-Supermarkt in Bjørkelangen.
Am nächsten Morgen parkte Moen seinen Wagen zwischen den Blocks A1 und A2 des Rikshospitals und stieg in die schneidende Morgenluft hinaus. Es war dicht bewölkt, und der Morgensonne gelang es nicht, sich Geltung zu verschaffen. Neben einem Wagen vom Bestattungsunternehmen Jolstad standen zwei Männer in Jackett und rauchten. Eine der italienischen Straßenbahnen kam auf dem Weg in die Stadt polternd auf ihn zugefahren. Erschöpft starrten drei Nachtschwestern aus einem der Fenster zu ihm herüber. Moen blieb stehen, holte eine Zigarette hervor und steckte sie an. Er versuchte, seinen Kopf von Gedanken und Gefühlen zu befreien, bevor er auf den Eingang an der Ecke zulief und die Zigarette austrat; die Glastüren öffneten sich, er befand sich in der Vorhalle des Rechtsmedizinischen Instituts.
Über eine Laufbrücke gelangte er zu einer weißen Doppeltür. Er drückte auf einen Knopf der Gegensprechanlage, wies sich aus und erklärte seine Absicht. Die Türen öffneten sich, und er wandte sich zur Rezeption, wo ihm gesagt wurde, seine Kollegin sei bereits eingetroffen und habe sich um die Formalitäten gekümmert. Er könne gleich nach unten gehen.
Auf der Treppe zum Untergeschoss dachte Moen über Marit Gaasland nach. Wie sich die Kollegin wohl zu Obduktionen stellte? Moens eigene Haltung war glasklar. Er vermied sie, um jeden Preis. Er betrat die Herrengarderobe, ging zum Pinkeln auf die Toilette und zog sich um. Der Kleiderständer war belegt. Moen hatte nur einen Haken zur Verfügung, schaffte es jedoch irgendwie, seine Sachen aufzuhängen. Er trat vor das Regal mit Wegwerfkleidung, zog sich ein gelbes Oberteil und eine grüne Hose über und wusch sich in einem der beiden Waschbecken sorgfältig die Hände. Seine Wahl fiel auf ein Paar Holzschuhe, und schließlich versorgte er sich mit Handschuhen, Kopfbedeckung und Mundschutz. Dann betrat er den großen Obduktionsraum, in dem einige Stahltische in Reih und Glied standen. Keiner der Tische wurde für ihren Vorgang benutzt.
Auf dem Fußboden vor ihm kniete ein Kollege und brachte Ordnung in die Kleider der Frau aus Bjørkelangen. Sie lagen auf dem Fußboden, bis dicht an die Wand. Zwei Türen führten vom großen Saal in zwei Nebenräume. Die erste öffnete Moen und betrat den sogenannten Polizeiraum, der spartanisch mit einem Bücherregal und einem Schreibtisch eingerichtet war. Marit Gaasland stand mit dem Rücken zu Moen und schaute durch die Tür in den angrenzenden Raum. Er ging zu seiner Kollegin und blickte ihr über die Schulter.
Sie sah in einen kleinen Raum mit einem einzigen Stahltisch, auf dem die Obduktion und Identifizierung stattfinden sollte. Mit einer Kamera in den Händen stand ein Beamter auf einer Trittleiter. Ein Blitz erhellte den Raum. Moen trat einen Schritt zur Seite und betrachtete den nackten Frauenkörper, der mit einer Nackenstütze unter dem Kopf auf dem Stahltisch lag. Soweit Moen es beurteilen konnte, war sie nach beinahe drei Monaten im Wasser in erstaunlich gutem Zustand. An der Leiche war nicht herumgenagt worden, doch war sie dermaßen aufgeschwollen und ledrig, dass Linn Fostervoll kaum wiederzuerkennen war, sollte es sich denn um sie handeln.
»Oh, hallo. Ziemlich spannend, das Ganze. Ich hab so was vorher noch nie mitgemacht.«
Marit Gaasland schien offenbar dem sportlichen Typus anzugehören. Moen blickte auf den Schreibtisch, während Marit Gaasland kommentierte:
»Da liegt alles zusammen, einschließlich Zahnarztbefund. Die diensthabende Zahnärztin vom Erkennungsdienst kommt in Kürze hierher. Auf dem Zettel da stehen Name und Telefonnummer eines Beamten aus Ringerike. Er hat versprochen, das Auto im Lauf des Tages genauer zu untersuchen.« Marit Gaasland zog ihren Mundschutz ein Stückchen herunter und blickte Moen mit flehenden Augen an. »Glauben Sie, Sie können sich um diese Dinge kümmern? Ich würde zu gerne verfolgen, was hier passiert. Sie haben das sicher schon öfter erlebt.«
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