Als der Boss zufrieden gewesen war, hatte er zu King geschaut.
„Du fängst heute Abend an“, hatte er verkündet und sich erhoben.
Und so begann es , dachte King. Die ganzen Erpressungen, Bestechungen, Nötigungen, von denen man nur träumen konnte, haben einfach nur darauf gewartet, dass ich diesen Anzug anlegte.
Er stieg aus der Dusche und schaltete das Wasser ab. Nachdem er sich in ein Handtuch gewickelt hatte, eilte er zurück zum Schlafzimmer, um sich anzuziehen.
Jetzt wurden die blauen Flecken nicht mehr von Schnitten und offenen Wunden begleitet. Sie hatten diese Phase dumpfen Schmerzes erreicht. Die Mittelsmänner des Bosses hatten sechs Monate gebraucht, um seine Schulden einzutreiben.
Die Blutergüsse standen ihm besser, als er zugeben wollte. Wenigstens konnte man auf diese Weise den Schaden sehen, anstatt ihn sich nur vorzustellen.
Der Bad Boy zu sein, war alles, was er jemals gekannt hatte, und er hatte diese Rolle sein Leben lang gespielt.
Thorne war immer der Gute gewesen, der Verantwortungsbewusste, derjenige, der alle Regeln befolgte und den Erwartungen der Familie so wunderbar gerecht wurde.
King seufzte. Gott sei gedankt für Melatonin , dachte er.
Das war das Einzige, das ihm auch nur die geringste Chance auf Schlaf bot, ohne dass er am nächsten Tag wie ein Zombie umherlief. Die ganze früh morgens aufstehen Geschichte war nichts für ihn.
Er brachte einige Minuten damit zu, im Schlafzimmer alles aufzuräumen. Das war eines der Dinge, die King an sich mochte. Pingeligkeit.
In Ordnung lag Trost. Seine Mundwinkel hoben sich, als er daran dachte, dass es nicht jeder zu schätzen wusste, wie sehr er es liebte, wenn alles seine Ordnung hatte. Das war etwas an ihm, das Effie nie verstanden hatte.
Es war eines der Dinge, die ihn wahnsinnig gemacht hatten. Dass sie ihre Handtasche auf die erste verfügbare Fläche hatte fallen lassen, wenn sie in ein Zimmer gelaufen war, oder dass sie ihre Schuhe einfach von den Füßen getreten hatte und sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, sie ordentlich an der Wand aufzureihen. Die Liebesromane, die sie überall mit Eselsohren hatte herumliegen lassen.
Aber dennoch. Es war Teil des Gleichgewichts, das Yin und Yang.
„Liebe ist eine Schwäche. Schwäche ist für Loser“, erinnerte er sich.
Jetzt zieh dich an, um Himmels willen.
King realisierte, dass er noch nicht ganz bereit war, seine Kleider anzuziehen. Er brauchte den nagelneuen Deoroller, den er auf seinem Weg hierher im Gemischtwarenladen gekauft hatte. Er befand sich noch in einer Plastiktüte, die an der Eingangstür hing.
Er befestigte das Handtuch wieder um seine Taille und machte sich auf den Weg durch den Flur. Der Geruch eines Holzfeuers flutete seine Nasenlöcher.
„Was zum Teufel?“ Er hätte schwören können, dass er das Feuer gestern Abend gelöscht hatte, aber als er das Wohnzimmer betrat, toste es wild im Kamin. „Scheiße!“
Ein Kopf schoss auf der anderen Seite der Couch in die Höhe. Kings Herz setzte beinahe aus. Er war sich sicher, dass das das Ende war.
Die letzten Prügel waren nur eine Aufwärmübung gewesen. Bei dieser würden sie nicht bei Blutergüssen aufhören, dessen war er sich sicher.
Und dann realisierte er, dass es sie war.
„Effie?“, fragte er unsicher. „Was…“
Sie schaute mit großen Augen zu ihm.
„King?“
Aus irgendeinem Grund fühlte er sich schrecklich entblößt, so wie er in nichts außer einem Handtuch dastand.
„Was zum Henker machst du hier?“, verlangte er zu wissen.
Es kam wütender heraus, als er beabsichtigt hatte.
„Sorry, ich… ich wusste nicht, dass du hier bist. Oder überhaupt jemand hier ist. Da war kein Auto – was ist mit dir passiert? Geht’s dir gut?“
Ihre Augen waren weit aufgerissen, während sie die Blutergüsse auf seiner Brust musterte.
„Was machst du hier?“, wiederholte er.
„Ich… ich weiß nicht“, antwortete sie leise.
Was hatte das zu bedeuten?
„Wie bist du reingekommen? Warte, vergiss das. Wo ist Thorne?“
„Er ist… nicht hier?“
Es war eine Frage, keine Antwort. Das verwirrte ihn nur noch mehr.
King verlagerte leicht sein Gewicht. Effies plötzliches Erscheinen hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen. Natürlich hatte er Effie im Verlauf der Jahre einige Male gesehen. Er konnte ihr schließlich nur ein gewisses Maß aus dem Weg gehen, da sie die Person war, die praktisch an Thornes Seite klebte.
Er starrte sie an und sie starrte zurück.
„Bleib hier“, sagte er. „Ich bin gleich zurück.“
Während er sich anzog, ging er eine Liste an Dingen durch, die er sagen sollte. Dass sie hier war und ihn so überraschte, war das Letzte, das er brauchte.
Als er zurück ins Wohnzimmer stürmte, saß Effie auf der Couch mit einer dicken Decke um die Schultern. Er konnte das tief ausgeschnittene Satincamisole darunter sehen. Es war ziemlich weit in gefährliche Regionen hinabgerutscht, aber er weigerte sich, sich davon ablenken zu lassen.
Wen interessiert es schon, dass sie heißer ist als in der Highschool?
„Wo ist Thorne?“, fragte er.
Klasse. Das ist ein wirklich super Einleitungssatz.
„Er ist… er ist…“ Effie fuchtelte durch die Luft und brach dann in Tränen aus.
King sah sich im Zimmer um, doch da war niemand, der hätte helfen können.
Das ist genau das, was ich brauche , dachte er.
„Was ist los?“, wollte er wissen.
„Er betrügt mich!“, sagte sie zwischen Schluchzern.
Unbeholfen streckte er seine Hand aus und tätschelte ihre Schulter.
„Es ist okay“, sagte er. „Er ist –“
„Es ist nicht okay! Ich habe ihn verdammt nochmal mit einer anderen im Bett erwischt! Einer, die übrigens genauso wie ich aussieht.“
„Oh“, sagte er stirnrunzelnd. „Tja, ich schätze, das ist irgendwie gut.“
„Gut?“, fragte sie verärgert.
„Ich meine, wenigstens fühlt er sich zu dir hingezogen, oder?“ King konnte die Selbstgefälligkeit in seiner Stimme hören, aber kam nicht dagegen an. „Ich meine, so bleibt es irgendwie in der Familie. Darin seid ihr beide ja so gut.“
Er konnte sich einfach nicht stoppen. King war bis zu diesem Moment gar nicht klar gewesen, dass er während der vergangenen drei Jahre so viel Wut darüber gehegt hatte, dass sie mit seinem Bruder zusammen war.
„Du bist ein Arsch, weißt du das?“, fragte sie.
Effie stand auf und ließ die Decke auf die Couch fallen. Sie schnappte sich ihre Jacke, aber nicht ehe er sehen konnte, dass sie ihren BH zum Schlafen ausgezogen hatte. Die plötzliche Kälte, weil sie die Decke verloren hatte, ließ ihre Nippel unter dem dünnen Stoff sofort hart werden. Er spürte, wie sich sein Schwanz weiter unten regte, aber schob den Drang beiseite.
Sie verdiente das.
King hörte die Eingangstür knallen und ein Auto in der Einfahrt anspringen. Langsam schlenderte er auf die Terrasse. Seine Erektion weigerte sich sogar dann noch, sich zu legen, als ihr SUV außer Sicht verschwand.
Was zur Hölle soll ich jetzt tun?
3
Effie hatte gedacht, dass sie sämtliche Tränen vergossen hätte, doch zu dem Zeitpunkt, als sie das Ende der Einfahrt zur Hütte der Smiths erreichte, blendeten ihre Tränen sie.
Ich kann mich auf keinen Fall in der Nähe von so jemandem aufhalten.
Sie musste nicht einmal darüber nachdenken. Effie lenkte den SUV zum Startpunkt der vertrauten Wanderwege, die sie mit King während ihrer gesamten Highschoolzeit erkundet hatte.
Er tröstete sie, der Klang ihrer Schritte in der Wildnis. Genau wie als Teenager konnte sie mühelos die Laute im Wald, der die Außenbezirke der Stadt umgab, auseinanderhalten. Winterammer. Goldzeisig. Roter Kardinal.
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