Sexus sive Kultus. – Frauen sind zumeist ganz von sich aus weiblich; Männer hingegen müssen ihre Männlichkeit stets erst unter Beweis stellen: allein ihr männliches Verhalten macht sie zu Männern. Dieser Druck, einer Erwartung zu genügen, dem Männer ganz anders ausgesetzt sind als Frauen, begann bereits bei den Naturvölkern und hat sich seitdem über alle Generationen und Weltgegenden vererbt. Daraus erwuchsen schwerwiegende Folgen für die unterschiedlichen Selbstausrichtungen der Geschlechter, die bis in die Tiefenschichten sexueller Veranlagung reichen. Wo ein Mädchen schlechte Erfahrungen mit Männern macht, vielleicht misshandelt oder gar missbraucht wird, kann ein solches Erleiden in die Homosexualität treiben, sofern eine Disposition dafür besteht. Fortan sucht es sein Bedürfnis nach Liebe in den eigenen Reihen zu stillen, weil es sich vom anderen Geschlecht abgestoßen fühlt. Wird dagegen ein Junge von Frauen seelisch oder körperlich misshandelt, tritt ein solcher Effekt kaum ein. Der Betroffene wird sich daraufhin nicht von Frauen abwenden und sein Verlangen nach Zuneigung bei Männern zu befriedigen suchen. Denn seine Männlichkeit ist durch die böse Erfahrung mit Frauen nicht verletzt worden. Wird dagegen ein schwacher, eher unmännlicher Junge von einem starken, dominanten Vater dahingegen gekränkt, dass dieser ihm seine fehlende Männlichkeit vorwirft, kann das zu einer Verachtung des Weiblichen im Jungen führen, die ihn wiederum auch sinnlich oder gar sexuell zu Männern hingezogen sein lässt, da er dort findet, was ihm selber ermangelt. Wer gerne ein »echter Mann« wäre, aber zu wenig Männliches in sich vorfindet, neigt zur Verherrlichung des Männlichen und verachtet im Gegenzug alles Weibliche, weil es ihn permanent an seine »Schande« erinnert, selber viel mehr Weib als Mann zu sein. – Hier haben wir es mit dem Phänomen einer Verachtung des Eigenen zu tun, das geeignet wäre, seine Spuren im kollektiven Bewusstsein ganzer Kulturen zu hinterlassen.
Kultus sive Sexus. – Als der Physiker Albert Einstein 1914 auf die hohe Bereitschaft, ja Begeisterung blickte, mit der die meisten jungen Männer Europas in den Krieg zogen, sah er darin das Verlangen, sich gegenseitig seine Potenz zu beweisen. Eine These, die bekanntlich auch der Psychologe Sigmund Freud vertrat. Tatsächlich sind die Ursachen für den sogenannten Militarismus Europas und vielleicht besonders der des jungen Deutschen Reiches auch in diesem Bedürfnis nach demonstrativer Männlichkeit zu suchen: eine Nation, die sich zu lange von ihrem mächtigen Nachbarn hatte demütigen lassen müssen, und die nur deshalb gedemütigt werden konnte, weil sie zu schwach, zu wenig männlich gewesen war, beginnt nun das »Weiche« und »Weibliche«, das Geistig-Lyrische in sich zu verachten; also gerade diejenige Eigenschaft, worin bisher ihre einzige Stärke zu liegen schien. Man will von einer Dichternation zu einer Kriegernation werden. Hier lässt sich tatsächlich eine Linie verfolgen, die vom Preußenkönig Friedrich II. bis hin zum Nationalsozialismus führt: der weiche, musische, philosophische König, der die blutigsten Kriege entfachte, während sich sein Vater, der Soldatenkönig, mit der bloßen Präsenz des Militärs und der Freude an Paraden begnügte, bis hin zu der Partei demonstrativer Härte und Geistesverachtung, die mit dem Versprechen antrat, die Dinge wieder ins »Biologisch-Natürliche« zurechtzurücken, Jungen wieder zu echten Männern und Mädchen wieder zu echten Frauen zu machen, nachdem im Zuge der Kultur-Moderne die vermeintliche Ordnung der Dinge samt der damit verknüpften alten Erwartungen durcheinander geraten war.
Frauen, männlich betrachtet. – Das Denken, Fühlen und Wollen der meisten Frauen bleibt viel zu oft in der kleinsten geistigen Problemeinheit hängen: der zwischen Ich und Du. Infolgedessen fehlt ihnen bald jeder tiefere Sinn für das Ungeheuerliche der Welt. Warum aber reicht die Wahrnehmung von Frauen, bei allem Gefühl, das sie für die Dinge aufzubringen fähig sind, zumeist kaum über sich selber hinaus? Warum interessiert sie alles Persönliche in höherem Maße, nicht aber das Darüberhinausgehende? Wie Flechten kleben Frauen an der Erde ihrer Empfindungen, die alles Verwandte in sich schließt, alles Nahe und Direkte, aber für Großes und Gewaltiges, für Überpersönliches nur wenig Bereitschaft parat hält, weshalb das Leben so vieler Frauen ein einziges und nie enden wollendes Beziehungsproblem darstellt. Jeder Mensch bewohnt ganz eigene, verschiedenartige Räume, doch erweisen sich die weiblichen als besonders eng und dunkel, worin sich die Frau immer wieder auf die eigenen Füße tritt – und daraus ihre erhöhte Empathie und Schmerzempfindlichkeit zu schöpfen scheint, ohne jedoch jemals die Weiten männlicher Welten auch nur zu erahnen. Wer solche Beobachtungen für das Resultat maskuliner Voreingenommenheit hält, vergleiche nur die geistigen Erzeugnisse beider Geschlechter miteinander. Und je offenkundiger jene mentale Verschiedenheit im 20. Jahrhundert zutage trat, nachdem sich niemand mehr hinter der Behauptung patriarchalischer Unterdrückung verstecken konnte, desto vehementer bestritten die Weiblein beiderlei Geschlechts das Faktum natürlicher Diversität und führten umso radikaler ihren Feldzug gegen die eigene Art. Seitdem gönnt niemand mehr dem anderen dessen häufig hormonell oder geschlechtlich bedingte Qualitäten, sondern will nur noch sein, was er nicht ist und erzwingt mit aller Gewalt das zu praktizierende Recht auf Unterschiedslosigkeit. – Die Schäden dieser Verblendung haben die extra zu diesem Zweck herbeigezüchteten Heerscharen von Therapeuten in Dauerbehandlung ihrer Ich-weiß-nicht-was-ich-will-Patienten aller möglichen Geschlechter zu beheben.
Hundecharakter. – Seinen Herrn auch dann noch verteidigen, wenn man von diesem, vielleicht ohne Not, geschlagen und misshandelt worden ist; sich aber sogleich dem neuen Herrn unterordnen, sobald dieser sich als solcher zu erkennen gibt. – Das ist auch etwas Menschlich-Deutsches.
Entscheidung. – Allein dort, wo der Mensch vom Menschen spricht, wird er vom Menschen verstanden. Doch wo er über den Menschen spricht, kann er nicht mehr zu ihnen sprechen. So sagte einer: Ich suchte nach Menschen und fand überall nur – Natur.
Selbstbild. – Der Mensch bildet in allen seinen Werken stets nur den Menschen ab. Aus diesem Zirkel gibt es kein Entkommen. Deshalb bleibt der Mensch dem Menschen das größte Unglück. Die Welt an sich ist dem Menschen freilich nicht feindlich; sie lässt sich bearbeiten – nicht aber das Wesen des Menschen, dessen Lebensbegriff und Grundnatur die Zerstörung der Welt impliziert.
Menschenwerk. – Das derzeit anbrechende, neue Weltalter wird nicht zuletzt über seinen technischen Charakter zu der trivialen, aber so lange vertuschten Einsicht führen, dass alles, was das Leben mit Sinn und Bedeutung erfüllt, Menschenwerk ist: Gott, Staat, Moral, überhaupt alles Politische wie Glaube, Liebe, Hoffnung; ja, es wird nicht ausbleiben können, endlich zugeben zu müssen, dass der Mensch selber Menschenwerk ist! Diese so lange verleugnete Tatsache machte zuletzt alles möglich und entband den Menschen seit jeher von jeder Verantwortung gegenüber der außermenschlichen Welt, der übrigen Natur, die nicht von ihm geschaffen worden ist. Wo immer der Mensch nach einer Instanz suchte, die ihm Regeln auferlegte, hatte er sie sich zuvor selber geschaffen; nichts befahl ihm je irgendetwas, das nicht seiner eigenen Phantasie entsprungen wäre. – Und diese Haltung, diese Verfahrensweise geht nun auf die Maschinen über, wird an sie vererbt. Hieraus erklärt sich die Formbarkeit des Menschen, sowie die Beständigkeit des Unbeständigen: das ewige Werden durch andauernde Veränderung des Gleichen. In der frühen Leugnung jener Evidenz, dass der Mensch dem Menschen alles ist, es kein Davor und kein Danach, kein Darüber, sondern nur ein Darunter gibt, hat jeder Offenbarungsglaube seine Wurzel. Deshalb umringt sich der Mensch mit lauter Selbstgeschaffenem , das ihn in Gesellschaft setzt und ihm suggerieren soll, dass er nicht autochthon und in diesem Sinne nicht allein auf der Welt, sondern das Kind oder Werk einer höheren Ordnung ist, die schützend über ihn wacht.
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