Seine Miene war regelrecht besorgt und ernst, als er den Kopf neigte und leise seufzte. „Ivy ist heute nicht hier, um Stellung zu beziehen, daher wäre es nicht richtig, wenn ich mich zu diesem Thema äußere. Ich schätze sie sehr als Künstlerin, Kollegin und als Mensch und wünsche ihr nach den turbulenten Ereignissen der letzten Monate nur das Beste und hoffe, dass Ivy wieder auf die Beine kommt. Was wäre die Musikwelt ohne ihr Talent?“
Beinahe hätte Alexis die Fernbedienung in den Fernseher geworfen. „Bitte was ?“
„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass er ein opportunistisches Schwein ist, Alexis!“
„Das klingt, als wären Sie besorgt um Ivy.“
„Das bin ich in der Tat“ , entgegnete Brad kummervoll und mit einem Seufzen. „Während unserer Zusammenarbeit habe ich sie als sehr empfindsamen und bedachtsamen Menschen kennengelernt. Die Schlagzeilen der letzten Monate passen nicht zu der Frau, die durch und durch Musikerin ist. Ich hoffe sehr, dass sie weiß, wie gerne ich sie unterstützen würde, wenn ...“
„Gib mir die Fernbedienung“, forderte Holly sie auf, nahm sie ihr aus der Hand und schaltete auf den nächsten Kanal – einen Shoppingsender, auf dem gerade eine neue Produktpalette in der Hundefellpflege präsentiert wurde. Ein armer Pudel wurde vor laufender Kamera schamponiert und sah dabei ziemlich dämlich aus der Wäsche. Sein Gesichtsausdruck hatte vermutlich damit zu tun, dass die Verkäuferin ungeniert seinen rasierten Hintern mit einem Waschlappen bearbeitete, während die Kamera diese Prozedur filmte.
Alexis verstand, wie sich der arme Hund fühlen musste – vor aller Öffentlichkeit entblößt und gedemütigt.
„Ich habe gleich gesagt, dass du dir diesen Mist nicht ansehen sollst.“ Holly legte die Fernbedienung beiseite und klang eher tröstlich als aufgebracht.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Alexis, dass ihre Schwester unsicher die Hände rang, als wüsste sie nicht, was sie nun tun sollte. Sie konnte ihr keinen Vorwurf aus diesem Verhalten machen, denn rein objektiv betrachtet hatte sich Alexis im vergangenen Jahr ziemlich unberechenbar verhalten. Früher, ja, früher war das anders gewesen, denn Alexis war stets die Verantwortungsvolle, Pflichtbewusste und Vernünftige gewesen, die gewusst hatte, was von ihr erwartet worden war. Jahrelang war sie durch die Reifen gesprungen, die man ihr hingehalten hatte, und war nicht von ihrem Weg abgekommen. Dem Image, das alle Welt geliebt hatte, war sie treu geblieben, bis sie es irgendwann nicht mehr aushielt.
Jeder machte dann und wann eine Existenzkrise durch, aber nicht jeder stand in der Öffentlichkeit. Das war der entscheidende Unterschied.
„Dieser Mist ist mein Job“, entgegnete Alexis ziemlich gefasst und erhob sich vom Sofa, wobei ein paar Krümel auf den Boden rieselten.
Wie von selbst fiel ihr Blick auf ihr fleckiges Shirt und ihre löcherigen Leggins sowie auf den abgesplitterten Nagellack auf ihren Fußnägeln. Sie war froh darüber, in ihrem Haus in Brentwood zu sein und nicht in ihrem Strandhaus in Malibu, wo es für Paparazzi ein Leichtes gewesen wäre, einen Schnappschuss von ihr in dieser Aufmachung zu machen.
Es hatte in den letzten Monaten genügend unvorteilhafte Fotos von ihr gegeben, als dass sie es ertragen hätte, ein weiteres Mal ihr ungepflegtes Selbst auf der Titelseite einer Zeitschrift zu sehen. Insbesondere dann nicht, wenn Camila Paxton kurze Zeit nach der Geburt ihres Babys strahlend schön und beneidenswert attraktiv auf dem roten Teppich erschienen war. Alexis musste dagegen wie eine Ökoaktivistin wirken, die Abstand zu jeglichen Körperpflegeprodukten nahm und aus Prinzip nicht duschte, um kein Wasser zu verschwenden. Für Paparazzi wäre ihr derzeitiges Aussehen ein gefundenes Fressen, daher verbarrikadierte sie sich bereits seit einiger Zeit in ihrem Haus.
Ihr Anwesen in Brentwood lag abgelegen, war fast vierzehntausend Quadratmeter groß und uneinsehbar für aufdringliche Fotografen. Prominente aus allen Branchen schätzten diesen Stadtteil von Los Angeles, der am Fuß der Santa Monica Mountains lag und dafür bekannt war, seinen Bewohnern Privatsphäre zu bieten. Ein abgeschiedenes Anwesen neben dem anderen war hier zu finden. Zu Alexis’ Nachbarn zählten Arnold Schwarzenegger, Harrison Ford und Robert Downey Jr. Bis vor ein paar Jahren hatten Heidi Klum und Gisele Bündchen gleich nebenan gewohnt. Und obwohl Alexis all diese prominenten Nachbarn hatte, kannte sie kaum jemanden von ihnen, schließlich zog man hierher, um Ruhe zu haben. Niemand wäre jemals auf die Idee gekommen, bei seinem Nachbarn zu klingeln, um nach etwas Mehl oder Zucker zu fragen. Und sobald eine Luxusvilla zum Verkauf stand und einen neuen Besitzer fand, stellte man sich bei den neuen Nachbarn auch nicht mit einem Kuchen in der Hand vor, um ihn in der Nachbarschaft willkommen zu heißen.
Nein, man zog nach Brentwood, um allein zu sein.
Alexis konnte sich kaum daran erinnern, wann sie zum letzten Mal das Haus verlassen hatte. Mittlerweile kultivierte sie das Leben eines Einsiedlers ziemlich gut und hatte Übung darin, in alten Jogginghosen bekleidet durchs Haus zu schleichen und stundenlang Reportagen über schwule Affen oder Naturvölker am Amazonas zu schauen. Vielleicht brauchte sie diese Einsamkeit, nachdem sie in den vergangenen vierzehn Jahren tagtäglich von so vielen Menschen umgeben gewesen war, dass sie hatte froh sein können, allein auf die Toilette zu gehen.
„Wenn dieser Mist dein Job ist, dann musst du mir erklären, warum du heute Abend nicht ebenfalls im Staples Center bist. Oder hast du keine Einladung bekommen?“
Natürlich hatte sie eine Einladung bekommen. Und sie konnte sich sehr gut vorstellen, dass nicht wenige Branchenmitglieder geradezu gehofft hatten, dass sie kam – es wäre die Sensation gewesen. Eine wundervolle Möglichkeit, sich das Maul zu zerreißen, und viel interessanter als die Frage, wer sich die Lippen hatte aufspritzen lassen und wessen Brüste gemacht worden waren.
Alexis wusste, wie es lief. Und sie wusste, dass neben einigen wirklich anständigen Kollegen die weniger anständigen Kollegen sich darüber diebisch freuten, dass sie auf dem besten Weg war, ihre komplette Karriere zu zerstören. Kollegen, die jahrelang neidisch beobachtet hatten, wie sie erfolgreich gewesen war und einen Hit nach dem anderen veröffentlicht hatte, und die missgünstig reagiert hatten, weil Alexis’ Ruf stets einwandfrei gewesen war, warteten jetzt darauf, dass Alexis ihrer Karriere den endgültigen Todesstoß gab oder sich bis auf die Knochen blamierte. Noch einmal.
Wenn sie in ihrer jetzigen Verfassung bei den Grammys aufgetaucht wäre, hätte es einen Skandal gegeben.
In der Musikwelt gab es zwei Arten von Künstlern – die durchgeknallten, exzentrischen Musiker, die dafür gefeiert werden, nackt auf einer Abrissbirne zu sitzen oder in einem Fleischkleid auf dem roten Teppich zu erscheinen, und die geradlinigen mustergültigen Musiker, die sich von Skandalen fernhielten und wegen ihrer Bodenständigkeit beliebt waren. Alexis war immer Letzteres gewesen – das anständige, liebenswerte All American Girl, das sich bei jeder Preisverleihung brav bei seinen Fans bedankt und ohne Starallüren Autogramme gegeben hatte.
Von ihr hatte es nie Tonaufnahmen gegeben, auf denen sie Mitarbeiter beschimpfte, oder gar Fotos, die sie im betrunkenen Zustand auf einer Party zeigten. Und es waren auch nie private Sexvideos erschienen, die aus ihrer Villa gestohlen worden waren, weil es sie schlichtweg nicht gegeben hatte. Alexis hatte stets aufgepasst, dass sie nichts tat, was ihr in der Öffentlichkeit hätte schaden können, schließlich war sie sich bewusst gewesen, welches Image sie besaß und dass sie gewisse moralische Werte repräsentierte. Aber dann hatte sie sich verliebt und hatte sich in aller Öffentlichkeit das Herz brechen lassen.
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