Brad Paxton präsentierte der Kamera sein strahlend weißes, perfektes Gebiss und schmunzelte, während er die Frau an seiner Seite näher an sich zog. Er sah fantastisch aus in seinem Smoking und mit dem kunstvoll zerzausten blonden Haar sowie den blauen Augen, die er liebevoll auf die Frau an seiner Seite gerichtet hatte. Die war eine rassige Schönheit mit einer dunkelbraunen lockigen Mähne, aparten Gesichtszügen und einem Körper, der sowohl in dem luxuriösen Abendkleid von Marchesa eine gute Figur machte als auch halb bekleidet auf diversen Hochglanzmagazinen wunderbar in Szene gesetzt werden konnte.
Sie waren das absolute Traumpaar des Abends – das hatten bereits diverse TV-Sender, Kollegen und Fans in Interviews verkündet und über Twitter verbreitet. Er – der erfolgreiche, charismatische Sänger und Grammy-Anwärter und sie – das brasilianische Topmodel. Auf Instagram gab es sogar einen eigenen Hashtag. Eine Zusammensetzung ihrer beiden Namen: Brad und Camila.
#Bramila
„Vielen Dank der Nachfrage, Steve. Der heutige Abend ist sehr aufregend, und eigentlich sollte ich nervös sein, aber ehrlicherweise muss ich zugeben, dass Camila und ich viel zu müde sind, um besonders aufgeregt zu sein. Wir wollen diesen Abend vor allem genießen, schließlich kommen wir zurzeit nicht sehr oft aus dem Haus.“
Der Moderator gab ein joviales Glucksen von sich. „Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie es war, als mein Sohn zwei Monate alt war. Damals haben meine Frau und ich pro Nacht nicht mehr als vier Stunden Schlaf bekommen. Aber Sie beide sehen großartig aus, wenn ich das sagen darf. Wie machen Sie das nur?“
„Bei mir ist das Geheimnis eine dicke Schicht Feuchtigkeitscreme. Bei Camila sind es die Gene. Sie sieht immer fantastisch aus“ , bekannte Brad mit einem seelenvollen Lächeln auf seine Frau, das vermutlich reihenweise die Herzen der Zuschauer zum Schmelzen brachte. Und als er die Hand seiner Frau an den Mund zog, um sie zu küssen und anschließend zu murmeln: „Ich bin ein sehr glücklicher Mann, denn unsere Tochter kommt ganz nach ihrer schönen Mutter“ , verliebte sich sicherlich die eine oder andere Zuschauerin hoffnungslos in den Mann, der noch vor zwei Jahren gänzlich unbekannt gewesen war und sein Geld als kaum beachteter Backgroundsänger verdient hatte.
„Alexis, schaust du dir wirklich diesen Mist an?“
Alexis Gardner hob den Kopf und spähte über die Rückenlehne der Couch zu ihrer Schwester, die den Raum betrat und missbilligend den fünfundachtzig Zoll Fernseher betrachtete, auf dem Brad Paxton zu sehen war, der gerade seine Ehefrau küsste. Dass Holly ausgerechnet jetzt in Alexis’ Wohnzimmer auftauchte und Zeugin wurde, wie sie förmlich an den Lippen des neuen Superstars hing, während der seinen großen Auftritt mit seiner bildschönen Ehefrau hatte und stolz ein Foto seines bezaubernden Töchterchens in die Kamera hielt, war Alexis ein wenig peinlich. Eigentlich war es ihr sogar wahnsinnig peinlich, aber das hätte sie ihrer Schwester niemals verraten.
Umschalten konnte sie jetzt auch nicht mehr. Das wäre zu offensichtlich gewesen.
Wenn sie gewusst hätte, dass Holly zu Hause war, wäre sie genau dieser Situation aus dem Weg gegangen, indem sie im Schlafzimmer ferngesehen und die Tür abgeschlossen hätte. Dummerweise war sie davon ausgegangen, dass Holly mit ihren Freunden unterwegs war. Bei ihrer Schwester konnte sie sowieso nie sicher sein, was sie gerade tat, wo sie war oder ob sie bei Alexis auftauchte. Obwohl sie eine eigene Wohnung in West Hollywood hatte, verbrachte Holly nicht gerade wenig Zeit bei Alexis in Brentwood. Alexis wusste nicht, ob es daran lag, dass ihr Kühlschrank immer gut gefüllt war und dass sie einen Pool hatte, oder ob es daran lag, dass Holly ihr nach den letzten Monaten ein wenig unter die Arme greifen wollte.
Normalerweise gefiel es ihr, Besuch von ihrer Schwester zu haben, denn in ihrem Haus konnte es sehr schnell sehr einsam werden, aber ausgerechnet heute wäre sie lieber allein gewesen. Sie hätte lieber ohne Zuschauer ihre Wunden geleckt und sich in Selbstmitleid gesuhlt.
„Ich habe gerade erst umgeschaltet“, log sie und war stolz darauf, wie souverän und beiläufig sie klang.
Holly verdrehte die Augen, schließlich war sie alles andere als auf den Kopf gefallen. „Natürlich, Alexis. Ich bin doch nicht bescheuert!“
Alexis rümpfte die Nase und wich dem wissenden Blick ihrer Schwester aus. Gleichzeitig war sie froh, dass Holly nicht bereits vor zwei Minuten erschienen war, als sie sich einen verirrten Nacho aus dem BH gefischt und diesen gegessen hatte. Nun ja ... wenigstens hatte sie sich heute dazu aufgerafft, einen BH anzuziehen, was momentan nicht sehr oft vorkam.
„Dieser Typ ist so ein verfickter Schleimer“, ließ sich Holly in ihrer wunderbar zurückhaltenden Art vernehmen und warf sich neben Alexis auf die Couch, wobei sie ein abfälliges Schnauben von sich gab und anschließend lauthals würgte, als der Mann auf der Leinwand bedeutungsvoll das Foto seiner Tochter küsste. „Das ist ja noch schlimmer als dieses unerträgliche Bild von ihm mit nacktem Oberkörper und dem Baby auf der spärlich behaarten Brust auf dem Instagram-Account seiner Trulla. Meiner Meinung nach sollte man nicht damit hausieren gehen, wenn man als Kerl zu wenig Testosteron besitzt.“
Normalerweise hätte Alexis ihre Schwester wegen ihrer Ausdrucksweise gescholten. Als ältere vernünftige Schwester war es sozusagen ihre Aufgabe, ihre hitzköpfige kleine Schwester im Zaun zu halten. Aber sie tat es nicht, denn das Gefühl, dass Brad Paxton durch den Kakao gezogen wurde, war wahnsinnig tröstlich.
Um Holly zu zeigen, wie dankbar sie ihr war, reichte sie ihr die Schale mit den überbackenen Nachos. Jedenfalls das, was noch übrig war. Zwar war es in letzter Zeit nicht so, dass Alexis eine Ausrede brauchte, um sich mit Junkfood vollzustopfen, aber heute Abend war der Frust der vergangenen Monate noch größer als sonst, was die Familienpackung mit Schokolade überzogener Marshmallows, die mit Käse überbackenen Nachos und die fettige Pizza erklärte, die ihr schwer im Magen lagen.
Vielleicht lag ihr auch nur schwer im Magen, was sie gerade auf dem Bildschirm sah.
„Ihr Leben hat sich im letzten Jahr sehr verändert, Brad. Sie haben geheiratet, ein Baby bekommen und sind – wenn Sie mir die Ausdrucksweise verzeihen – innerhalb weniger Monate von einem relativ unbekannten Sänger zum Grammy-Anwärter aufgestiegen. Worauf führen Sie Ihren Erfolg zurück?“
„Auf sehr viel harte Arbeit, Durchhaltevermögen und die Unterstützung meiner Familie.“
„Am Arsch!“ Das kam von Holly.
Auch Alexis ballte die Hände zu Fäusten und beobachtete das Geschehen auf dem Fernsehbildschirm. Sie nahm ihm den aufgesetzten Gesichtsausdruck keine einzige Sekunde lang ab.
Harte Arbeit!
Dass sie nicht lachte!
Brad würde harte Arbeit nicht einmal dann erkennen, wenn sie ihm mitten ins Gesicht schlug.
„Dies ist nun die dritte Grammy-Verleihung, bei der Sie zu Gast sind, Brad. Die Ereignisse im letzten Jahr und die Schlagzeilen der anschließenden Monate sind uns allen noch vor Augen. Sie haben sich aus der Öffentlichkeit herausgehalten und sich anständigerweise kein Urteil erlaubt, als ...“
„Das ist doch nicht sein Ernst!“ Wutschnaubend fiel Holly dem Moderator ins Wort und war dabei so laut, dass Alexis nicht verstand, was er sonst noch sagte, auch wenn sie es sich denken konnte. Trotz allem verkrampfte sich ihr Magen. Nach der letzten Zeit hatte sie eigentlich nicht geglaubt, dass sie so heftig reagieren würde.
„ Anständigerweise ? Ist der Typ bekifft oder einfach nur ein Arschloch?“
Alexis presste die Lippen aufeinander und erhöhte kommentarlos die Lautstärke. Zwar konnte sie nicht hören, was der Moderator fragte, aber dafür bekam sie Brads Antwort mit.
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