«Sollen wir ihn Sündenfall taufen?» fragte ich und küßte Magnus vorsichtig unterm Ohr. Aber das gefiel ihm nicht, dem Armen – der Name, wohlgemerkt.
«Können wir ihn nicht lieber Segen nennen, oder Liebesdusche oder so was?»
Klar konnten wir das – und wir machten dem Namen keine Schande. Dort schwammen und spielten wir zusammen. Dort liebten wir uns bei Sonnenschein, Regenwetter und Mondschein. Dort verwuchsen wir zu einer Einheit, die nie hätte getrennt werden dürfen. In der ersten Woche der Sommerferien zogen wir dorthin, mit dem Zelt und einem Schlafsack für jeden – um den Schein zu wahren. Wir haben immer nur in einem geschlafen. Wir lebten so einfach wie möglich, mit einer Feuerstätte, einer Bratpfanne und zwei Kochtöpfen. Tagsüber machten wir Wanderungen, angelten ein bißchen und waren ein Teil von der Erde um uns und dem Himmel über uns.
In der Mittsommernacht blieben wir die ganze Nacht auf und redeten. Über die Welt, das Christentum und unsere Zukunft. Wir waren uns einig, daß unser Verhältnis, und was wir zusammen machten, unmöglich eine Sünde gegenüber Gott sein konnten. «Nein, und das hat ja sogar Christian gesagt», erinnerte sich Magnus.
«Ach, red doch nicht von dem! Er hat ja trotz allem auch noch ganz andere Sachen gesagt.»
«Ja, aber was er über Jesus und Johannes gesagt hat: ‹Der, den Jesus liebte?›»
«Ja, sicher. Wir wollen’s wirklich hoffen, daß sie sich liebten, so wie wir. Daß sie es genauso gut zusammen hatten und sich genauso gerne mochten. Aber ganz sicher werden wir das bestimmt nie erfahren. Wir können das ja nicht beweisen. Sicher ist jedenfalls, daß wir zusammen sind und daß das gut und richtig ist. Gott weiß das und segnet uns.»
«Komm», sagte Magnus, «wir gehen rauf und sehen uns den Sonnenaufgang an. Wenn Gott etwas gegen uns hat, kann er uns ja ein Zeichen geben.»
Und Gott gab uns ein eindeutiges Zeichen: Er ließ seine Sonne aufgehen und über Gerechte und Ungerechte scheinen. Das goldene Licht ließ die Welt erglühen, und wir standen mitten in der Welt und glühten mit. Wir entblößten uns vor Gottes Sonne und empfingen das lebensspendende Licht. Ich habe nie etwas so wunderbar Schönes gesehen wie Magnus an jenem Morgen. Und dann empfingen wir einander. Legten uns in das glühende Heidekraut und spielten sanfte Liebesmelodien – Gott ist die Liebe. Dort im Heidekraut bliesen Magnus und Yngve einander zum ersten Mal. Und auch das glühte. Gott lächelte gerührt auf uns herab – und mußte schlucken.
Ein paar Tage danach verlobten wir uns. Nicht mit Ringen – aber mit Halsketten. Ich wollte, daß wir einander ein Herz geben sollten, aber wegen seiner Familie durfte Magnus das nicht. Deshalb hängte ich meinem Jungen ein Kreuz um den Hals.
Er gab mir ein Herz aus Gold.
Magnus als Kreuzritter
Am ersten Clubabend nach den Ferien war unheimlich viel los. Sozusagen als ganz besonderen Aperitif hatte die Leitung ein junges Ehepaar aus Norwegens christlichem Jugendbund eingeladen, das der ganzen Sache zusätzlichen Glanz verleihen sollte. Nach ihrer Hochzeit im Frühling hatten sie den Sommer in Frankreich verbracht. Sie beglückten uns mit einer feierlichen Diaplauderei, in der mindestens sechzig Kathedralen und Kirchen vorkamen, aber kein Tropfen Rotwein und nicht auch nur ein Käsekrümel.
Als endlich unsere Theatergruppe an die Reihe kam, hatten Frode und ich längst erkannt, was hier not tat, damit ein bißchen Witz in die Sache kam: Der Schneider und das Pusterohr auf französische Art. Frode mit Baskenmütze, Schnurrbart und wahnsinnigem gallischen Temperament. Ich mit pomadigem, glattgelecktem Haar, französischer Aussprache und einer Menge Spitzen. Es kam natürlich ganz toll an. Schon kurz nach dem Anfang heulte das Publikum vor Begeisterung. Ich glaube, wir hatten es an diesem Abend so leicht wie richtige Schauspieler im Kabarett, obwohl wir nicht ein einziges Mal «Arsch» sagen durften. Aber das war eigentlich auch gar nicht nötig. Unser Sketch artete zu einer wilden Eierschlacht auf der Bühne aus, bevor es den Verantwortlichen gelang einzuschreiten. Riesenerfolg.
Ich sah, wie die junge Predikantenfrau nach Herzenslust lachte und applaudierte.
Danach sollte sie die Andacht halten – aber irgendwie war sie nicht so ganz bei der Sache. Sie versprach sich ein paarmal, und dann passierte etwas Unerwartetes; sie sollte Christus am Kreuz zitieren: «Da wandte Jesus sich dem Schächer zu und sprach: Wahrlich, ich sage dir, noch heute bist du mit mir in Paris !» Sie fuhr entsetzt zusammen und schlug die Hand vor den Mund, während der Saal in Gelächter ausbrach. Sie verlor die Nerven. Frode und ich waren gerade aus dem Hinterzimmer gekommen und standen in der Tür, zusammen mit dem Pastor Christian und ihrem Mann. Sie kam auf uns zugelaufen, das Gesicht in den Händen versteckt.
«Los, rein hier, schnell!» zischte der liebende Ehemann. Er schubste sie ins Hinterzimmer und knallte die Tür zu. Dann enterte er mit vier Sprüngen die Bühne und brüllte: «Ruhe da unten, ihr Brüllaffen! Hier gibt’s nichts zu lachen. Und eins merkt euch gefälligst: Nur der eine Schächer ... der nicht über Jesus gelacht hatte ... durfte mit ihm ins Paradies. Der andere Schächer, und alle, die gelacht hatten, endeten im heißesten Höllenfeuer!»
Natürlich wurde es sofort still im Saal. Auch im Hinterzimmer hörten wir keinen Laut mehr. Ich wollte nach ihr sehen, aber Christian der Schreckliche versperrte mir den Weg.
«Du bleibst hier!» stieß er zwischen den Zähnen hervor. Danach übernahm der Gatte die Wache. Der Schweinepriester mußte etwas kundtun: «Nun beginnen wir also ein neues Schuljahr und damit eine neue Saison in unserem Jugendclub. Das ist eine gute Gelegenheit, ein paar ernsthaftere Aktivitäten in Angriff zu nehmen. Wir wollen Bibelgruppen gründen, aber andere als die, die wir sonst kennen. Wir gründen einen Bibelgruppenring, und ich möchte ihn ‹Kreuzritterbruderschaft› taufen. Alle Kreuzritter bekommen eine Liste mit den Namen aller Mitglieder, die müssen sie immer und überall bei sich tragen. Wir legen ein Kreuzrittergelübde ab. Wir versprechen, jeden Tag für mindestens zehn andere Kreuzritter zu beten. Und eins sage ich euch: Alle, die mitmachen, werden die Macht des Gebetes kennenlernen!»
«Nein, Magnus! Das ist einfach zuviel! Bei der Konfirmation irgend etwas versprechen, ohne den Mund aufzumachen, na gut! Aber jeden Abend zehn Namen von einer Liste aufsagen, und das auch noch schwören? Und wofür sollen wir denn überhaupt beten? Daß alle gute Noten kriegen und keiner von einem Bus überfahren wird? Himmelarsch, wenn es irgendwo Heuchelei gibt, dann doch wohl hier! Niemals mach ich da mit.»
«Dann laß es bleiben! Du hast verdammtes Glück, daß du nein sagen kannst. Ich kann’s nicht. Ich muß da mitmachen, bei dieser ... Bruderschaft. Mein Vater zwingt mich bestimmt dazu, ich hab gar keine Wahl ...»
«Aber, er kann dich doch nicht zwingen, wenn du nicht willst. Weiger dich doch einfach!»
«Doch, er kann. Du weißt, wie’s bei uns zu Hause zugeht. Wahrscheinlich hat er uns schon angemeldet, alle sechs. Ach, Yngve, ich würde so gerne ...» Er fiel mir um den Hals und schluchzte heftig.
«Magnus, Magnus, ich liebe dich doch. Junge, was ist denn bloß los mit dir?»
«Ich habe solche Angst, Yngve. Ich hab Angst vor Vater, und vor allen anderen auch. Die sind nicht ... so wie wir. Sie wollen mich festbinden!»
«Magnus! Hör zu! Du darfst keine Angst haben. Du hast doch mich. Ganz und gar und für immer. Niemand kann uns etwas tun, solange wir zusammen sind. Ich komm auch mit zu den Kreuzrittern!»
«Nein, Yngve. Das brauchst du nicht. Ich schaff das schon ... wenn wir nur zusammenhalten. Du darfst mich nicht verlassen, Yngve!»
«Nie, Magnus. Nie!» Dieses Versprechen hielt ich. Lange.
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