Verena Rank
Im Sternbild des Zentauren
© dead soft verlag, Mettingen 2020
http://www.deadsoft.de
© the author
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode.com
Coverbild: © MysticArtDesign
1. Auflage
ISBN 978-3-96089-422-3
ISBN 978-3-96089-423-0 (epub)
Als Ben versehentlich ein Portal in die mystische Welt „Mytherra“ öffnet, wird ihm klar, dass hier die Antworten auf all seine Fragen liegen. Seit jeher kann er mit Pflanzen kommunizieren, lässt sie wachsen und heilen. Seine Augen sind so grün wie der Smaragd, der alles ist, was er von seiner Mutter hat. Die Begegnung mit dem stolzen Zentauren Hektor, der die Menschen abgrundtief hasst, ist der Beginn einer aufwühlenden Reise. Mit jeder Auseinandersetzung knistert die Luft zwischen ihnen noch mehr. Am Ende müssen beide erkennen, dass das Schicksal längst für sie entschieden hat …
Diesen Roman widme ich meinen „Fantastic Four“ Katrin, Saskia, Sabrina und Claudia!
Euch als Testleserinnen zu gewinnen, war wie ein Sechser im Lotto! Danke, dass Ihr mit mir durch das Portal nach Mytherra gegangen seid.
Die Welt Mytherra, im Schimmerwald …
Die Nacht hüllt den Wald in ihren schwarzen Schleier, Fetzen aus Nebelschwaden wabern über die moosbedeckte Erde. Das Getrampel unserer Hufe und schweres Atmen durchbrechen die Stille, als ich meinem besten Freund folge. Die Augen der Zentauren passen sich jedem Lichtverhältnis an, sodass ich Nox’ dunkles Fell auch im fahlen Schein des Vollmondes immer wieder aufschimmern sehe.
„Sag mir doch erst mal, was los ist!“, rufe ich ihm mit trockener Kehle zu. „Was ist mit Kreon?“ Die Angst um meinen älteren Bruder macht mich fast wahnsinnig.
„Er steht vor dem Hohen Rat, sie werden ihn verurteilen, Hektor!“ Nox verlangsamt seine Schritte, bleibt schließlich stehen und dreht sich nach mir um. Er atmet schwer und mustert mich sichtlich bestürzt. Ich halte direkt vor ihm inne und blicke ihn entsetzt an.
„Was? Aber wie …“
„Kreon soll ein Portal benutzt haben … in die Welt der Menschen!“
Ich bin für einen Moment wie erstarrt. Dass Kreon von der Idee, in die Menschenwelt zu gelangen, fasziniert, ja fast schon besessen ist, weiß ich. Doch würde er so weit gehen, ein Portal zu benutzen? Und wie hätte er das ohne einen Portalstein anstellen sollen? Aufkommende Panik schnürt mir die Kehle zu und mein Herz rast schmerzhaft, als wir weiter eilen. Tausende von Gedanken schießen mir durch den Kopf, während ich fieberhaft überlege, ob an den Anschuldigungen etwas dran sein könnte. Kreon und ich sind nicht wie die anderen Zentauren. Wir sind Wandler, können menschliche Gestalt annehmen, wie schon unser Vater und Großvater davor. Der Umstand macht uns zu Geächteten im Clan der Zentauren – wir sind nur geduldet und dazu verdammt, in einer Gemeinschaft zu leben, die uns nicht will. Es gibt nicht mehr viele Wandler und unseren wahren Ursprung kennen wohl nur die Titanen.
„Das würde Kreon niemals tun!“, stoße ich hilflos hervor, während wir unseren Weg zum Ratsplatz fortsetzen. In Wirklichkeit bin ich mir gar nicht so sicher, ob mein Bruder nicht doch dazu fähig wäre. Er verhält sich in letzter Zeit seltsam. Immer öfter schleicht er sich heimlich davon, um im Wald allein zu sein. Ich weiß, dass er sich dann verwandelt, denn als ich noch jünger war, haben wir das oft zusammen gemacht. Aber jetzt bin ich kein Kind mehr und ich werde alles dafür tun, eines Tages als gleichwertiges Mitglied des Zentauren-Clans angesehen zu werden. Ich werde mich nie wieder verwandeln. Zentauren hassen die Menschen, das war immer so und wird auch so bleiben. Ich bin ein Zentaur! Für einen kurzen Moment überfällt mich heftiger Zorn, weil Kreon alles zerstört, wofür ich kämpfe.
Wenn sich die Vorwürfe gegen ihn tatsächlich bewahrheiten sollten … nein!
Ich schüttle heftig den Kopf und ermahne mich selbst. Mein Bruder ist unschuldig. Er muss es einfach sein.
Endlich erreichen wir die Lichtung, die der Vollmond silbern erhellt. Die hohen Tannen rings um den Platz gleichen undurchdringlichen Burgmauern, aus denen es kein Entkommen gibt. Die Jäger und Wächter der Zentauren haben sich kreisförmig um den hohen Rat formiert. Einige halten brennende Fackeln in der Hand, um der Dunkelheit zu trotzen. Hier werden der Zentaurenrat abgehalten und Bestrafungen durchgeführt. Auf der Suche nach meinem Bruder sehe ich mich panisch um und entdecke ihn in der Mitte des Platzes. Bei seinem Anblick stockt mir der Atem und mein Magen krampft sich zusammen. Ich will schreien, aber aus meiner trockenen Kehle kommt nur ein ersticktes Geräusch. Kreon hat seine menschliche Gestalt angenommen, nackt und schutzlos ist er dem Clan ausgeliefert. Er kniet auf dem Boden, seine Handgelenke liegen in Ketten, die an zwei Holzpflöcken befestigt sind. Über Kreons breite Brust und seine Oberarme ziehen sich blutige Striemen von Peitschenhieben. Er hält den Blick gesenkt, sein langes, rot-goldenes Haar verdeckt das Gesicht und streift die Erde. Zu seiner Bewachung wurde einer der bösartigsten Jäger abgestellt, Thurius. Die Peitsche noch in der Hand, spuckt der dunkelhäutige Hüne mit der Narbe auf der Wange, auf den Boden vor Kreon.
„Verräter!“, brüllt Rigorus, der Anführer der Zentauren und ich zucke erschrocken zusammen. „Wie kannst du es wagen, die Rasse der Zentauren so zu beschmutzen?“ Das bronzefarbene, graubärtige Gesicht ist vor Hass und Wut zu einer grässlichen Maske verzerrt. In dem Moment erwache ich aus meiner Starre.
„Bindet ihn sofort los!“ Meine Beine zittern und gehorchen kaum, als ich auf das grausame, unwirkliche Szenario zustürze, um meinen Bruder zu beschützen. Ich komme nicht weit, denn sofort versperren mir zwei Wächter den Weg und drängen mich zurück. Kreons Kopf schießt in die Höhe, sein Blick sucht rastlos umher, bis er mich endlich entdeckt. Als ich sein Gesicht sehen kann, keuche ich auf und automatisch schießen mir Tränen in die Augen. Von seiner Unterlippe läuft Blut aus einer Platzwunde an seinem Hals hinunter. Ein Auge ist völlig zugeschwollen und die Haut über dem Wangenknochen aufgerissen. Kreon zerrt an den Ketten und trotz der Dämmerung leuchtet das Türkis des unverletzten Auges wie ein Stern am Firmament.
„Nicht, Hektor!“ Er schüttelt den Kopf, seine Schultern beben. Einer der Wächter packt mich unsanft am Arm.
„Das hier ist nicht deine Angelegenheit, Kleiner. Zurück mit dir!“ Er schnaubt und wirft einen Blick über die Lichtung, zum Oberhaupt des Clans. Rigorus kommt erhobenen Hauptes auf Nox und mich zu, während er seinen Sohn mit argwöhnischem Blick straft. In diesem Moment bin ich unendlich dankbar für dessen unerschütterliche Loyalität und Freundschaft. Mein Bruder ist die einzige Familie, die ich noch habe. Ihn zu verlieren, wäre das Schlimmste, was mir je passieren könnte. Seit ich denken kann, hasst Rigorus Kreon und mich, doch Nox hat diese Tatsache nie sonderlich beeindruckt. Als einziger im Clan hat er uns nie verurteilt. Nach dem Tod unserer Eltern haben wir es in der Gemeinschaft der Zentauren nicht leicht gehabt, aber er war immer an unserer Seite.
Rigorus baut sich vor mir auf, seine kalten Augen blicken starr auf mich herab. Das ergraute Haar und der spitz zulaufende Bart bedecken seine breite Brust.
„Dein Bruder hat ein schweres Verbrechen begangen und wird dafür bestraft werden. So will es unser Gesetz und so haben es auch die Götter vor langer Zeit anerkannt.“
„Seit wann schert ihr euch um die Götter?“ Mein Herz rast in wildem Stakkato. „Kreon hat nichts Unrechtes getan! Lasst ihn frei!“
„Sei still, Hektor!“, zischt Kreon, worauf er sich von Thurius einen Faustschlag ins Gesicht einhandelt. Er spuckt Speichel und Blut und funkelt den Jäger zornig an. Ich will mich losreißen, doch einer der Wächter versetzt mir so unvermittelt einen Hieb in den Magen, dass es mir die Luft aus den Lungen presst. Ich krümme mich zusammen und ringe nach Atem.
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