Herbert ist sich seiner Abhängigkeit mehr als bewusst. Der monatliche Scheck erlaubt es ihm, nur ein paar Stunden in der Woche zu arbeiten, sodass genug Zeit für das Studium, für die Schauspielgruppe, und seit Neuestem, für Aaron und dessen verrückte Eskapaden bleibt. Herbert wird von verzerrten Bildern umnebelt, Aaron, der schönste Mann, der ihm je begegnet ist und der sich ausgerechnet für ihn interessiert, sein Lachen, sein Selbstbewusstsein. Valentin, Regisseur der Theatergruppe, Kommunist ohne Wenn und Aber, ein Vorbild, streng und doch gerecht. Seine Professoren, die Vorlesungen, das Wissen, dass jede Staatsform unbestechliche Reporter braucht, die sich nicht beirren lassen und sich nur der Wahrheit verpflichtet fühlen. Herbert fühlt sich umarmt, wie viel Liebe, Zuneigung, Interesse wird ihm entgegengebracht. Eine innere Ruhe erwächst auf einmal aus ihm heraus.
»Vati.« Er sucht nach den richtigen Worten, ist sich darüber im Klaren, dass er viel verliert, wenn er sich für die Wahrheit entscheidet. Wie wäre es mit ein bisschen Wahrheit? Seine Augen finden sich in denen von Tante Klara wieder, die ihm sagen, dass er hierbleiben kann, was auch geschieht.
»Ich studiere Zeitungswissenschaften. Es tut mir leid, aber ich habe gespürt, dass mein Interesse für etwas ganz Neues gewachsen ist. Als Reporter kann ich die neue Sache mit vorantreiben. Kommunisten kämpfen für eine große Veränderung in der Gesellschaft. Menschen hungern, sind arbeitslos, werden von Vermietern auf die Straße gesetzt. Glaubst du, da kann ich mein Leben demütig Gott widmen, meine Augen verschließen vor all der Not?« Bleib ruhig, ruft sich Herbert zur Ordnung, seine Stimme zittert, sein scheinbares Selbstbewusstsein ist ihm kurzzeitig abhandengekommen, muss noch mal hervorgekramt werden. »Wenn es losgeht, bin ich ganz vorne mit dabei!« Herbert hat sein Ideal herausgeschrien, mit kräftiger Stimme. Sein Herz rast, aber sein Kopf ist wie befreit. Jedes Wort, das seinem Mund entsprungen ist, ist wahr. Es sollte reichen, mehr will er nicht erzählen, nichts von seiner großen Liebe.
Eddy hört und will es nicht glauben, sieht dabei in das entschlossene Gesicht seines Sohnes, beinahe zwanzig Jahre laufen vor seinen inneren Augen ab. Er allein hat ihn aufgezogen, gegen alle Widrigkeiten. Er will es nicht und dennoch rutscht ihm die Hand aus. »Herbert verzeih«, will er sagen, doch die Worte bleiben im Hals stecken. Erschrocken zieht er die Hand zurück, die auf der Wange seines Jungen einen Abdruck hinterlässt hat.
Herbert hat nicht mit der Ohrfeige gerechnet. Sein Vater hatte ihn doch nie zuvor geschlagen. »Vati, es war dein Traum, den ich dir erfüllen sollte ... ich kann das nicht, es tut mir leid.«
Sie sehen sich an, fremd sind sie sich in diesem Moment, und wissen es, unausgesprochen. Liebe ist manchmal nicht genug.
»Du mit deiner Kirche ...!«, Herbert schlägt verbal um sich. »Ich scheiße auf das ganze Getue, ich will nichts mehr damit zu tun haben, nur dass du es weißt!«
»Junge, so kannst du nicht mit mir reden!« Eddy stürmt aus dem Esszimmer, nimmt seinen Mantel vom Garderobenhaken, schreit: »Deine Beleidigungen treffen mich nicht so sehr wie die Lügen, die du mir seit Langem in deinen Briefen an mich schreibst.«
Noch bevor die Wohnungstür zuschlägt, ruft Herbert ihm hinterher: »Frag doch den Thälmann, der könnte dir schon sagen, wie es um unsere Sache steht!«
Eddy hört den Satz an der Wohnungstür zerschellen. Er steht auf dem Hausflur, ist durchzogen von Traurigkeit. Er dreht sich um, will die Klingel betätigen, lässt es, weiß, dass jetzt kein Gespräch möglich ist.
Das Zuknallen der Tür lässt Klara zusammenzucken, sie seufzt, schaut auf den Hund in seinem Korb, welcher schon eine Weile nicht mehr gebellt hat, und die Ohren hängen lässt.
»Nun«, seufzt sie, »warum muss ich es so nebenbei erfahren, dass du nicht mehr Theologie studierst? Du kannst doch mit mir reden, ich habe dir doch noch nie den Kopf abgerissen.« Klara wirkt nachdenklich. »Natürlich kannst du so lange hier wohnen bleiben, wie du möchtest. Ist doch sowieso nur eine vorübergehende Phase bei dir mit den Kommunisten. Alle, die nach Berlin kommen, spielen erst einmal verrückt. Das ist das Tempo dieser Stadt, jeder Neue will da mithalten. Ich nenne es immer das ›Berlin-Delirium‹, irgendwann geht das von ganz allein vorbei.«
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