Ursprünglich wollte Julian Assange sechs bis zwölf Monate unter dem diplomatischen Schutz Ecuadors ausharren. Daraus sind mehrere Jahre geworden. „Ich sehe weniger Sonnenlicht als Gefängnisinsassen“, klagt er.
Hin und wieder empfängt er Journalisten und spricht Kommentare in die Kameras. Häufig lässt er durchblicken, dass er – nach nunmehr fast drei Jahren auf der Flucht – gern nach Hause reisen würde.
Julian Assange weiß jedoch: So schnell wird das nicht passieren.
Ob als Star gefeiert oder als Staatsfeind verflucht, Bradley Manning ist sein Platz in der Geschichte der Informationsgesellschaft sicher. Durch seine Enthüllungen wurde deutlich, dass im Zeitalter von Big Data auch die Spionagedienste der Supermächte verwundbar sind. Mit relativ schlichten technischen Mitteln können sich Einzelpersonen wie Manning oder Assange Hunderttausende von geheimen Dokumenten unter den Nagel reißen und in die Weltöffentlichkeit zerren.
Sie brauchen dazu nicht – wie früher – die Mitwirkung einer großen Zeitung.
Das geht auch so.
Über das Internet.
Manning hat der Weltöffentlichkeit gezeigt, wie das geht.
Er war aber nicht der Einzige.
Es geht um die NATIONALE SICHERHEIT!“, empört sich der junge Blogger und hämmert seinen Text mit Versalien und Ausrufungszeichen in die Tastatur.
„So einen Mist schreibt man nicht in der Zeitung!!“
Gemeint waren Enthüllungen der New York Times , dass US-Geheimdienste das Atomprogramm Irans heimlich sabotieren wollten. Die Veröffentlichung war – aus der Sicht des Bloggers – ein Riesenskandal.
„Oder soll die New York Times in Zukunft unsere Außenpolitik bestimmen“, resümierte der Blogger, der im Chat unter dem Namen TheTrueHoohah auftrat.
„Ich hoffe, sie gehen bald pleite.“ 3
Das war im Januar 2009.
Wenige Jahre später würde der junge Mann, der sich so empörte, selber US-Geheimdokumente an die New York Times leiten – und zwar tausendfach. Ein Regierungssprecher würde seine Person später als „Desaster für die nationale Sicherheit“ beschimpfen, die National Security Agency NSA seine Taten als „zweites Pearl Harbor“ werten.
Genauso wie bei Bradley „Chelsea“ Manning würde er mit den Mitteln von Big Data gegen die Mächtigen im Staat vorgehen. Und die Weltöffentlichkeit erschrecken. Bei ihm war der Schock erheblich größer. Seine Taten machten klar, dass Big Data zu einer Bedrohung für die freie Gesellschaft geworden war.
Sein Name war Edward Snowden.
Geboren wurde Snowden am 21. Juni 1983 in einer Kleinstadt an der Küste von North Carolina. Sein Vater war Marineoffizier bei der Küstenwache, seine Mutter Gerichtsdienerin. Seine Eltern ließen sich scheiden, als Edward noch ein Kind war. In der Schule hatte er Probleme. Unter anderem fehlte er häufig wegen Krankheit. Den regulären High-School-Abschluss schaffte er nicht.
Mit achtzehn verließ er die Schule – ohne Abitur, ohne Studienplatz, ohne Job. Der schlaksige Teenager mit dem aschblonden Haar hatte aber ehrgeizige Pläne. Er wollte etwas Besonderes werden. In Fernkursen schaffte er einen Ersatzabschluss, der ihn für Seminare an der Universität von Liverpool qualifizierte. Die Kurse, die er belegte, beendete er jedoch nicht.
Genauso verlief sein Militärdienst.
Der Schulabbrecher träumte von einer Karriere bei der US-Elitetruppe Special Forces . Er lernte Kung-Fu, meldete sich 2004 bei der Army und hoffte, bald das prestigeträchtige Green Beret zu tragen.
Doch kaum hatte er die Grundausbildung angefangen, musste er sie abbrechen. Er selbst erklärt seinen frühzeitigen Ausstieg mit einem „Trainingsunfall“, bei dem er sich beide Beine brach. Journalistische Recherchen konnten den Vorfall nie bestätigen. Die Pressestelle des Pentagon beschränkt sich auf die Aussage, dass Snowden beim Militär keine Ausbildung abgeschlossen und keine Auszeichnungen erhalten habe.
Auch wenn aus seinen Plänen, als Elitekämpfer für die Streitkräfte zu wirken, nichts wurde, bewahrte sich Snowden seinen Sinn für Dramatik. Gern ließ er sich von seiner damaligen Freundin, einer Erotik-Tänzerin namens Lindsay Mills, als „Man of Mystery“ betiteln. Er hegte immer noch den Wunsch, eines Tages zur Elite zu gehören.
Nach einer Zwischenstation als Wachmann an der University of Maryland begann Edward Snowden im Jahr 2009 eine Ausbildung bei der CIA. Er wurde als IT-Techniker der US-Mission in Genf zugeteilt. Er hatte einen Job mit verschiedenen Aufgaben: Einerseits war er für die Computersicherheit zuständig, andererseits aber auch für die Wartung der Klimaanlage.
In dieser Zeit war er fleißig.
Er war verlässlich.
Er war ein Patriot.
Er war allerdings nicht beliebt. Edward Snowden hatte häufiger mit Vorgesetzten Ärger. Er entdeckte vermeintliche Sicherheitslücken im IT-System, niemand teilte jedoch seine Bedenken. Er beantragte eine Gehaltserhöhung, die aber abgelehnt wurde. Er beschwerte sich über Arbeitskollegen, was zur Folge hatte, dass ein unvorteilhafter Vermerk in seiner eigenen Personalakte notiert wurde.
Snowden ärgerte sich. Er sah sich in einem Umfeld wachsender Ablehnung. In Genf blieb er weniger als ein Jahr. Schon im Februar schied er aus der CIA aus.
Er bewarb sich bei Dell Inc. Das US-Computerunternehmen war seinerzeit Auftragsfirma für ein geheimes NSA-Outpost in der Nähe von Tokio. Snowden wollte nach Japan. Er wollte nun Cyberkrieg-Spezialist werden.
In späteren Presseberichten über den Whistleblower wurden die IT-Qualifikationen von Edward Snowden hochstilisiert. Vor allem Glen Greenwald, der seine journalistische Karriere an das Schicksal von Snowden band, beschrieb ihn als „Top-Experte für Cybersicherheit.“
Das war sicherlich übertrieben.
Sein Gehalt war für Geheimdienstverhältnisse eher bescheiden. Mit einem Jahresgehalt von 55.000 Euro (bei der CIA) und 95.000 Euro (bei Booz Allen Hamilton) 4zählte er kaum zu den Spitzenverdienern. Als Geheimnisträger befand er sich auch nicht auf Eliteebene. Etwa 400.000 andere US-Staatsbedienstete besaßen eine gleichrangige Freigabe für Top-Secret-Regierungsdokumente. 5
Er war aber mitten im Geschehen. Als Geheimnisträger von NSA und CIA gehörte er zum inneren Kreis der Sicherheitswächter. Als Systemadministrator erhielt er Zugang bis hinein in alle Ecken der Systeme, über die er wachte. Zusätzlich verfügte er über eine Genehmigung als sogenannter „Ghost-User“. Das heißt, er konnte die Geheimdienst-Netzwerke kreuz und quer durchforschen – ohne Spuren zu hinterlassen.
Weniger bekannt ist der Schwerpunkt von Snowdens NSA-Arbeit, der Schutz strategischer Rechensysteme vor chinesischen Hackerangriffen. Wie kaum ein anderer war Snowden mit der geheimdienstlichen Struktur der Chinesen vertraut. Er kannte die Methodik und die Häufigkeit, die Verbreitung und vor allem die Gefahr, die von solchen Attacken ausgeht.
Chinesische Cyber-Krieger
Snowden war außerdem Spezialist für die Cyberkrieg-Strategien des chinesischen Militärs, mit denen unsere Stromnetze, Flugverkehr, Wasserversorgung und Mobiltelefone lahmgelegt werden können. Auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Yokota nahe Tokio instruierte er japanische Sicherheitsstellen und Militär in Cyber-Abwehr gegen China.
Die Bedeutung von Edward Snowdens Spezialgebiet muss man im Zusammenhang sehen. Im Juni 2014 warnte James Clapper, Nationaler Geheimdienstdirektor der USA und Snowdens Boss *, dass Terrorismus nicht mehr die größte Gefahr für den Westen darstelle. In allen seinen Facetten sei der Cyberkrieg erheblich bedrohlicher.
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