»Du klingst wie die frustrierte Mittdreißigerin in einer Rom-Com, kurz bevor sie den Mann ihrer Träume trifft.«
Jordan stieß Sasha den Ellbogen in die Seite. »Ich bin erst dreißig, herzlichen Dank auch. Und die meisten Kerle aus diesen Rom-Coms würde ich nicht mal geschenkt haben wollen.«
Sasha lachte. »Du sagst es, Bruder. Du sagst es.«
Der Wagen sprang an, die Warnleuchten flammten auf und erloschen eine nach der anderen wieder. Doch erst, als auch die letzte schwarz wurde, schlug Phoenix triumphierend auf das Lenkrad. »Hah! Geht doch!«
Jetzt noch eine Testfahrt und er konnte ihrer steinalten Kundin hoffentlich sagen, dass sie ihren nicht ganz so alten, aber ähnlich hinfälligen Toyota Camry doch noch einmal über den Berg gebracht hatten.
Phoenix war zufrieden. Gleich in seiner ersten Woche Ersatzteile beschaffen zu können, die normalerweise ein Vermögen gekostet hätten, hatte ihm bei den neuen Kollegen einen Stein im Brett verschafft. Dass er sich trotz seiner beruflichen Laufbahn nicht sträubte, sich die Finger dreckig zu machen, ebenfalls.
So sollte es sein. Er brauchte diesen Neuanfang und er wollte, dass er so glatt wie möglich verlief. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass es ihm tatsächlich guttun würde, wieder in einer Werkstatt zu arbeiten.
Wie sehr hatte er nach seinem Schulabschluss getobt, als sein Dad darauf bestanden hatte, dass er ihr Handwerk von der Pike auf lernte, bevor er sich einen Platz in der Geschäftsführung des Familienkonzerns erhoffen durfte. Und wie schwer hatte er es den Jungs in der ersten Werkstatt gemacht.
Er hatte verdammt lange gebraucht, um zu kapieren, dass er sich mit seinem Benehmen etwas verdarb, das ihm eigentlich Spaß machte. Insofern sollte es ihn wahrscheinlich gar nicht wundern, dass er zwischen Kompressoren, Reifen und Ölwannen einmal mehr zeitlich begrenzten Frieden fand.
Er schaltete die Automatik auf D und ließ den Camry behutsam auf den Hof rollen. Tatiana, die sich gerade mit einem Kunden über dessen verunfalltes Motorrad unterhielt, stieß einen Jubelruf aus. »Da geht sie ab, die alte Gurke! Gute Arbeit!«
Phoenix winkte ihr zu und gab vorsichtig Gas. Der Motor schnurrte und auch in den folgenden Minuten, in denen er den Camry durch das Industriegebiet und ein Stück über die Landstraße lenkte, stieß er auf keine Probleme.
Zurück in der Werkstatt ging er zum Büro. Die Tür stand offen, aber er klopfte dennoch kurz an den Rahmen. Randy saß mit langem Gesicht auf seinem Schreibtischstuhl, Josephine hatte sich neben ihm aufgebaut und hielt ihm eine Gardinenpredigt. Die anderen hatten Phoenix bereits erzählt, dass Jo eher aus Notwendigkeit als aus Überzeugung ihr Hausdrache war; in erster Linie deshalb, weil Randy Büroarbeiten aus tiefster Seele hasste und sich nur dann damit befasste, wenn man ihn rigoros antrieb.
Entsprechend hellte seine Miene sich auf, sobald er Phoenix entdeckte – jede Ablenkung war ihm recht. »Was gibt's?«
»Einen fahrenden Camry, bei dem endlich alle Warnanzeigen aus sind. Und bevor du fragst: Nein, ich habe sie nicht einfach abgeklemmt«, antwortete Phoenix grinsend.
Randy erwiderte sein Lächeln. »Großartig. Hatte ich nicht zu hoffen gewagt. Ich rufe Mrs. Dixon sofort an. Sie wird erleichtert sein. Stell dich schon mal darauf ein, dass wir morgen mehr selbst gebackenen Kuchen hier stehen haben werden, als wir essen können. Macht sie immer, wenn wir ihr noch mal erspart haben, einen neuen Wagen zu kaufen.«
Jo schmunzelte. »Wahrscheinlich wird ihr die Karre eines Tages genau deshalb zusammenbrechen: weil sie ihn als Kuchenschwerlasttransporter verwendet. Eine meiner Schwiegertöchter wohnt bei ihr in der Straße und sagt, es vergeht kein Tag, ohne dass eine Springform auf dem Fensterbrett auskühlt.«
Phoenix hatte nichts gegen Kuchen einzuwenden, egal, ob er einer Massenproduktion entsprang. Sein Speiseplan war derzeit etwas dürftig. Teils, weil der von Randy angekündigte Kühlschrank doch nicht funktioniert hatte, teils, weil Phoenix zu faul war, um sich in der Personalküche etwas zu kochen, und zu geizig, um auswärts zu essen. »Solange sie die Rechnung nicht auch in Naturalien begleichen will, kann ich damit leben.«
»Na, das fehlte uns noch«, stöhnte Josephine, zwinkerte ihm jedoch zu. »Wo wir gerade dabei sind, Chef…«
Randys Lächeln erlosch wie eine Kerze unter Feuerlöschschaum. »Ja, ich weiß. Zu viele Außenstände, zu viele Kunden mit niedrigen Ratenzahlungen.«
Phoenix zog sich eilends zurück. Von Geld und ausstehenden Rechnungen wollte er nichts hören. Er war schon halb den Flur hinunter, als Randys Stimme hinter ihm her donnerte: »Ach, Kleiner?«
Er blieb stehen, den Blick auf die Wand mit alten Nummernschildern aus aller Welt gerichtet. »Ja?«
»Mach mal Feierabend! Wenn du weiter so viele Überstunden kloppst, bin ich in einer Woche pleite!«
Phoenix seufzte. »In Ordnung.« Er hätte lieber diskutiert oder geflucht. Es gab mehr als genug Arbeit, um Überstunden zu rechtfertigen, und natürlich würde Randy nicht Pleite machen, wenn Phoenix weitere Stunden einbuchte. Immerhin kam mit zusätzlicher Arbeit auch mehr Geld ins Haus. Randy wollte einfach verhindern, dass Phoenix vierzehn Stunden am Tag malochte. Wahrscheinlich hätte er sich mies gefühlt, dabei zuzusehen, wie der Sohn eines alten Freunds sich den Rücken krumm arbeitete.
Letztendlich war es dieser Gedanke, der Phoenix widerwillig nachgeben ließ. Er rief den Kollegen zu, dass er für heute fertig sei, dann ging er langsam hinauf in seine Unterkunft. Dort hatte sich im Verlauf seiner ersten Woche in Melbourne-Altona nicht viel verändert. Er hatte lediglich seine Koffer auf den Schrank gelegt und in einer Ecke stand nun ein altes Regal, in dem er ein paar Lebensmittel verstaut hatte. Darüber hinaus war alles beim Alten geblieben.
Vermutlich war es ein Fehler, nicht für ein Mindestmaß an Gemütlichkeit zu sorgen. Sich keine Topfpflanze aufs Fensterbrett zu stellen und sich keines der zahlreichen Poster von ihren Zuliefererfirmen an die Wand zu pinnen. Aber irgendwie war Phoenix noch nicht so weit. Dies war nicht sein Zuhause. Es war eine Bleibe, nicht besser als ein Motelzimmer, und die gestaltete man schließlich auch nicht um.
Er duschte, schrubbte sich den Schmutz von den Fingernägeln und ließ sich gerade so viel Zeit, wie es ihm der Warmwasserboiler erlaubte. Anschließend rasierte er sich übertrieben gründlich, schlüpfte in frische Kleidung und dann…
… stand er da. Mitten im Zimmer. Mit leerem Magen und noch leererem Kopf. Ohne eine Aufgabe, ohne einen Plan, wie er den Abend verbringen könnte. Ohne etwas, worauf er sich freuen konnte oder das ihm das Gefühl gab, ein Ziel zu haben.
All die Überlegungen, Sorgen, Schuldgefühle, die ihm die Werkstatt zuverlässig nahm, kehrten mit einem Schlag zurück. Er stand nicht länger auf fleckigem Linoleum, sondern schwamm in einem Meer, das ihn zu verschlingen drohte. Ob es jenseits der brachialen grauen Wellen Land gab, wusste er nicht. Er wusste nicht einmal, ob es Nacht war oder ob der Sturm einfach die Sonne verschluckt hatte.
Phoenix kniff die Augen zusammen. Das Wanken war nicht echt. Sein Kreislauf war stabil, das Gebäude erst recht. Das Gefühl niederschmetternder Haltlosigkeit existierte einzig in seinem Kopf. Niemand mehr, der von ihm abhängig war. Niemand, der ihm Kleinigkeiten wie Wäschewaschen oder Fensterputzen abnahm. Niemand, der zu ihm aufsah.
Und all das war eine Erleichterung, denn es bedeutete, dass er auch niemanden mehr ins Unglück reißen konnte. Aber Gott, sein altes Leben fehlte ihm. Sydney. Die vertrauten Kreise. Die Sorglosigkeit. Sogar die Notwendigkeit, für andere Entscheidungen zu fällen, selbst wenn sie ihn dafür hassten.
Ich kann das nicht, ging ihm auf. Ich kann hier nicht sitzen und darauf warten, dass es Zeit zum Schlafengehen ist. Ich muss irgendetwas tun.
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