Der lösungsorientierte Teil Jordans – namentlich sein Magen – wollte zustimmen. Letztendlich war es nicht wichtig, wo sie redeten. Das Ergebnis würde auf dasselbe hinauslaufen. Und wenn er bei der Gelegenheit noch eine Mahlzeit einschieben konnte, würde er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aber er wollte Henry nicht zumuten, ihre überfällige Unterhaltung in einem vollen Restaurant zu führen; gezwungen, seine Gefühle für sich zu behalten, damit kein Gast und auch niemand vom Personal merkte, was in ihm vorging.
»Ich glaube, wir sollten lieber hier reden.« Ohne es zu wollen, schaute Jordan zu der kleinen Bühne am anderen Ende des Raums. Dort hatte er vor nicht allzu langer Zeit am Andreaskreuz gestanden, aller Sinne beraubt, und Henry vor ausgewählten Gästen erlaubt, ihn zu quälen. Anschließend waren sie zu ihm nach Hause gefahren, Henry hatte ihn umsorgt wie einen Kranken, ihn festgehalten und ihm immer wieder zugeflüstert, wie stolz er auf ihn war. Es war befreiend und befriedigend gewesen, berauschend und belebend.
Aber es hatte sich nicht in das tägliche Leben übertragen lassen.
»Oh.« Der Barhocker unter Henry knirschte, als er sein Gewicht verlagerte. »Ich nehme an, das bedeutet, dass du zu einer Entscheidung gekommen bist. Und dass sie mir nicht gefallen wird.«
»Ich hoffe, dass sie dir langfristig schon gefällt. Wenn alles nicht mehr so frisch ist. Wir… wir sind nicht richtig füreinander, Henry«, sagte Jordan behutsam. Es kam ihm dennoch vor, als hätte er mit glühenden Schürhaken um sich geschlagen.
Ein kaum merkliches Nicken, gefolgt von einem Flackern in den ausdrucksstarken Augen. »Du hast das einmal anders gesehen.«
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Jordan hatte gehofft, dass sie gut zueinanderpassen würden. Er hatte es sich gewünscht. Und er war genauso enttäuscht wie Henry, nur dass er seinen Teil an Trauerarbeit bereits hinter sich hatte.
»Ich habe dir nie etwas vorgemacht.« Jordan war es wichtig, diesen Punkt zu betonen. »Ich dachte, es könnte funktionieren. Dass wir in jeder Hinsicht andocken würden, falls du verstehst, was ich meine.« Wie sagte man jemandem, dass man ihn heiß fand, aber keine tieferen Gefühle entwickelt hatte? Dass man merkte, dass etwas Entscheidendes zwischen ihnen fehlte, etwas, das nichts mit Sex oder BDSM oder beidem zu tun hatte? »Es tut mir leid.«
»Ja«, entgegnete Henry schlicht. Jordan wünschte sich weit weg. »Ja, das glaube ich dir. Du bist alles Mögliche, aber kein Blender.« Es klang dennoch nach einem Vorwurf. Dann reckte er das Kinn und legte mit hörbarem Knacken den Kopf schief. Auf einmal traf sein Blick Jordan von oben herab. »Aber was, wenn ich es dir einfach befehle? Was, wenn ich jetzt und hier von dir verlange, dass du dich hinkniest und mir alle Entscheidungen überlässt, wie es sich für einen guten Sub gehört?«
Jordans Kehle verengte sich. Dasselbe galt für sein Herz, das sich in seiner Brust auf einmal winzig klein anfühlte. Oh, dieser Tonfall, dieser Blick. Er konnte das Verlangen nicht leugnen. Er reagierte mit jeder Faser seines Körpers. Nur sein Verstand zog nicht mit.
»Dann würde ich sagen, dass genau das einer der Gründe ist, warum wir nicht füreinander geschaffen sind«, sagte Jordan mit gesenkter Stimme, aber deutlich. »Weil du wissen müsstest, dass ich niemand bin, der Spielchen spielt, um dich oder ein Gespräch zu manipulieren.«
»Dann bin ich jetzt also nicht nur ein mieser Freund, sondern auch noch ein schlechter Dom?«
Es war ein Um-sich-schlagen, eine Unbeherrschtheit, die Jordan verstehen konnte. Aber sie verärgerte ihn. Er hatte sich Mühe gegeben, die Situation für sie beide so erträglich wie möglich zu gestalten. Er hatte versucht, anständig zu sein. Und er konnte es auf den Tod nicht leiden, wenn man ihm die Worte im Mund verdrehte oder versuchte, ihn passiv-aggressiv zum Zurückrudern zu bringen.
Weil es funktionierte. Fast jedes Mal.
»Du bist weder ein mieser Freund noch ein schlechter Dom. Und das wirst du mich auch nie sagen hören. Können wir uns einfach darauf einigen, dass du super bist, aber trotzdem nicht der Richtige für mich? Und dass das überhaupt nichts über irgendeine deiner Eigenarten aussagt?«
Scheiß Harmoniesucht, glaubte Jordan Katy in seinem Kopf kichern zu hören.
»Nicht super genug für dich«, schoss Henry zurück. »Du kannst es drehen, wie du willst: Darauf läuft es hinaus. Und ich frage mich, auf wen du wartest. Mag sein, dass ich nicht der Hauptpreis bin, aber du bist es eindeutig auch nicht. Dein Arsch ist heiß, aber nicht so heiß.«
Jordan war beinahe dankbar. Nun, da das Gespräch unter die Gürtellinie geraten war, hatte er eine Ausrede es abzubrechen. »Ich glaube, es ist alles gesagt.« Seine Stimme kratzte vor Anstrengung und nicht zuletzt vor Enttäuschung. Da half es auch nicht, überzeugter denn je zu sein, sich richtig entschieden zu haben. »Ich gehe zurück an die Arbeit. Du tätest mir einen Gefallen, wenn du bald den Raum freigibst. Ich glaube, er ist in einer halben Stunde gebucht.«
»Oh natürlich. Der Club. Wie könnte es anders sein.«
Jordan reagierte nicht auf die Anspielung, dass er zu viel Zeit und zu viel Leidenschaft auf sein Herzensprojekt verschwendete. Sie war nicht neu für ihn und vielleicht war sogar etwas Wahres daran, aber Henry hatte definitiv das Recht verloren, sich dazu zu äußern. »Mach's gut. Falls ich noch Sachen von dir in meiner Wohnung finde, hinterlege ich sie dir am Tresen. Ich sag der Belegschaft Bescheid.«
Als Jordan seinen Platz hinter dem Tresen verließ, ging ein Ruck durch Henrys Körper, gefolgt von einer Vorwärtsbewegung, die Jordan daran erinnerte, wie viel größer und stärker Henry war als er. Das wagst du ja wohl nicht, schoss es ihm durch den Kopf. Und Henry hielt sich tatsächlich zurück. Verzichtete darauf, nach Jordan zu greifen, sei es, um ihn anzuflehen oder um ihm wehzutun. Besser für ihn.
Jordan sah sich nicht noch einmal um, bevor er den Raum verließ. Dieses Mal hörte er die Begrüßungen durch neu eingetroffene Gäste kaum, nickte nur mechanisch nach rechts und links und lächelte hölzern. Sasha erwartete ihn hinter dem Tresen und zum zweiten Mal an diesem Abend verwendete Jordan eines ihrer Barmöbel als Barriere.
»Gib mir mein Bier«, murmelte er halblaut und schubste seine Limonade klirrend gegen die Kasse.
»Du hast mir mal gesagt, dass ich dich davon abhalten soll, unter der Woche etwas zu trinken«, erinnerte Sasha ihn, ohne ihn anzusehen.
Jordan knurrte leise. »Gib mir mein Bier oder ich klemme mich an die erste Whiskeyflasche, die ich in die Finger bekomme.«
»Oh, so gut ist es also gelaufen.«
»Genau.«
Ein Bierglas rutschte auf Jordan zu und er griff hastig danach. Die ersten Schlucke dienten in erster Linie dazu, seine ausgetrocknete Zunge zu befeuchten, die danach der Hoffnung, dass ein gutes Bier selbst einen solchen Abend besser machen konnte.
Als er absetzte, war nur noch Schaum im Glas. Er unterdrückte ein Aufstoßen. »Gut, das war's.«
Sasha nahm ihm das Glas ab und stellte es neben die Spüle. Xiese dunkelbraune Augen musterten Jordan halb prüfend, halb mitleidig. Dann schlich sich ein kräftiger Arm um Jordans Taille. »Dachte ich mir schon«, sagte Sasha so leise, dass es die Gäste an der Bar nicht hören konnten. »War die richtige Entscheidung, glaub mir. Man sollte sich freuen, wenn der neue Freund anruft. Nicht genervt das Handy beiseitelegen, weil man nicht weiß, was man ihm erzählen soll.«
Jordan verlagerte das Gewicht nach hinten, froh, dass Sasha heute Abend mit ihm Thekendienst schob. Er hatte Katy und Ben genauso gern, aber Sasha kam ihm einfühlsamer vor, etwas differenzierter. Deshalb war Sasha auch die Identität, mit der er am besten reden konnte.
»Du hast mich falsch verstanden.« Jordan sah hinüber zur Tafelrunde, zu Jerry, der die Wange an Kadeks Knie schmiegte und von seinem Dom im Nacken gestreichelt wurde. »Ich bin nicht nur mit Henry durch, sondern überhaupt mit der Sucherei. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Aber in die Männer, mit denen ich spielen will, kann ich mich nicht verlieben und andersherum funktioniert es erst recht nicht. Ich habe die Schnauze voll.«
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