Ich lege das Handy weg und nehme den Toast aus dem Ofen. Das Brot dampft. Ich umwickle es mit Küchenpapier in mehreren Schichten und esse es in langen, schnaufenden Bissen. Jedes Mal beim Schlucken tut es mir weh. Ich zwinge das Essen herunter, während ich in die Stille horche. Vor mir sehe ich immer noch das kleine Stückchen Banane, Jannicks Lächeln. Das Tequilaglas, das nach hinten in seinen Mund gekippt wurde.
Das Handy klingelt wieder. Das Display leuchtet auf und blinkt lange. Dann wird der Schirm schwarz.
Ich esse den Rest vom Toast und werfe das Küchenpapier in den Abfall, konzentriere mich darauf, nicht an die Jungen an der Bushaltestelle zu denken. Ich wasche mir die Hände. Der Wasserstrahl spült die Seife weg, und das Ganze verschwindet in einer Spirale durch den Abfluss.
Im Küchenschrank finde ich ein großes Glas, das ich mit Wasser fülle. Ich leere es, während ich mir vorstelle, dass mein Körper eine Spirale ist, die alles verschwinden lässt.
Das einengende Gefühl im Hals ist noch da.
Seufzend stelle ich das Glas weg und gehe aus der Küche. Das Haus ist ganz still. Ich schleiche durch den Flur zum Schlafzimmer meiner Eltern. Die Tür ist angelehnt. Beide Betten sind leer. Die Decken liegen auf jeder Bettseite zusammengeknüllt, zwei Kellerasseln, die auseinander gerollt sind.
Ich kehre dem Schlafzimmer den Rücken und gehe hoch in mein Zimmer. Das Handy lege ich unter das Kopfkissen.
Ich ziehe mich aus und lege die Kleider auf einen Stuhl. Den Slip werfe ich in den Papierkorb.
Ich setze mich aufs Bett, so dass ich aus dem Fenster schauen kann. Es ist bewölkt, und es ist kein einziger Stern am Himmel. Schwere, weiße Wolken liegen quer zum Himmel, zusammengeklebt und entfernt.
Ich erblicke eine Gestalt im Garten. Ich lege die Stirn gegen das Fenster und schaue hinaus. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit.
Es wird mir merkwürdig kalt, als ich ihn wiedererkenne. Papa steht im Garten hinter dem Haus und betrachtet seinen großen Vogelkäfig. Er hat die Hände in die Hüfte gestemmt und den Rücken zum Haus hin. Sein Körper zeichnet einen unbeweglichen Schatten in das sonst überall Schwarze.
Vorsichtig öffne ich das Fenster und lehne mich hinaus. Der milde Nachtwind duftet nach Jasmin und feuchtem Gras. Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, aber alle Worte sind weg. Langsam lasse ich das Fenster zugleiten und krieche unter die Decke mit dem Kopf auf meinem schweigenden Telefon.
Christina leert ihre Cola mit einem lang gezogenen Schlürfen. Der gestreifte Strohhalm formt ihre glänzenden Lippen zu einem Schmollmund.
„Ach, habe ich einen Kater!“ seufzt sie. „Die perfekte Entschuldigung für die totale Fressorgie.“ Sie lehnt sich nach vorne und schüttelt die Tüte mit Pommes. „Hattet ihr zu Hause einen guten Sonntagsbrunch?“
„Es war gut. Es wurde kaum etwas gesprochen.“ Ich nehme einen Bissen vom Burger, kaue langsam und schlucke. „Mein Vater hatte Smoothies aus Wassermelone gemacht.“
„Nice.“
„Was ist mit dir? Hattest du einen schönen Abend?“
„Er ist so wunderbar, Maria. Das gibt es gar nicht.“
„Hattet ihr ... du weißt?“
„Was zum Teufel hätten wir sonst machen sollen?“
Ich lege den Burger aus der Hand und wische den Mund ab. Der Lärm der Kassen und der anderen Gäste schwirren um uns wie Fliegenflügel.
Christina hört auf zu lachen. Sie setzt sich ein wenig auf und sieht mich an.
„Ist bei dir zu Hause wirklich alles in Ordnung?“
Ich zucke mit den Schultern.
„Bevor meine Eltern sich haben scheiden lassen, haben sie monatelang nicht mehr miteinander gesprochen. Es war so krank, Maria. Wenn ich fragte, ob sie sich trennen wollten, sagten sie einfach: Frag deine Mutter, frag deinen Vater. Dafür hielten sie keine lange Reden mehr, wenn ich zu einer Party und solche Sachen wollte.
Ich durfte alles. Wenigstens darüber wirst du dich freuen können.“
„Meine Eltern werden sich nicht scheiden lassen.“
„Nein, nein, das war auch nicht so gemeint. Übrigens werden sie nachher doppelt so besorgt sein. Meine Mutter lässt mich bei Jungen nicht mehr übernachten. Ich muss erzählen, dass ich bei dir übernachte, wenn ich die ganze Nacht bei Mick bleibe.“
„Was? Das hast du mir noch nie erzählt.“
„Ruhig bleiben. Sie wird es nicht herausfinden. Sie glaubt, dass ich die Unschuld in Person bin. Sie weiß nichts von Mick.“
„War Mick eigentlich nicht mit dieser aus der 10. Klasse zusammen? Die, von der wir immer sagten, dass sie große Brüste hätte?“
„Nicht mehr. Sie hatten keinen Sex, deswegen ging er.“
„Nur deswegen?“
„Der Mann ist 17 Jahre alt, nicht 7.“
Ich nehme das kleine Paket mit Ketchup und schwinge es zwischen zwei Fingern schnell hin und zurück. Ich denke an Jannicks nackten Oberkörper. Das Herz aus Schlagsahne auf seiner Brust. Das Lächeln auf seinen Lippen.
Christina legt den Kopf schief. „Hey“, sagt sie. „Wollen wir sehen, wer von uns die meisten Pommes auf einmal im Mund haben kann?“
Ich fächle das Ketchup. Ich denke an Jannicks warmen Hals und an meine bekloppte Art, die Party zu verlassen.
„Ein, zwei, drei, JETZT!“ Christina drückt eine ganze Hand voller Pommes in den Mund, und ich muss einfach lachen. Ich lege das Ketchup weg und werfe mich in den Wettbewerb.
Mit beiden Händen stopfen wir uns den Mund voll, und kauen so viel und schnell, wie wir können.
Sie zeigt auf mich mit einem Pommes. „Winner!“
Ich reiße das Pommes von ihr und stopfe es in den Mund.
Sie reißt die Augen auf und legt noch mehr Pommes bereit. „Warte nur!“ Sie quetscht jetzt beide Hände voll auf einmal ein und muss durch ihre aufgeblähten Nasenlöcher atmen.
Ich treffe ihren Blick und fange an zu kichern. Dann huste ich. Schnell knalle ich beide Hände vor den Mund.
Christina unterdrückt einen Lachanfall. Ich betrachte meine Handflächen und schneide eine Grimasse. Dann huste ich wieder.
Christina bricht in Gelächter aus, so dass die Pommes aus ihrem Mund fliegen. Ich huste und lache auf einmal. Die Tränen laufen aus meinen Augen.
Christina greift über den Tisch und nimmt meine Hände. Wir lachen weiter, während wir quer über den Tisch unsere Hände fest halten. Christinas Wimperntusche ist verlaufen, aber ihr Blick strahlt. Sie drückt meine Hände noch einmal.
„Christina?“
„Ja?“
„Hast du manchmal Angst?“
„Nö.“
„Ich berühre ihre Fingerringe. Drehe sie, so dass sie richtig sitzen.
Ich habe Angst, dass das Ganze aufhört. Das Gute. Verstehst du, was ich meine?“
Sie zieht ihre Hände zurück und trocknet sich unter den Augen. Sie nimmt ihren Lipgloss aus der Tasche und trägt eine neue glänzende Schicht auf.
„Es ist blöd, Angst zu haben“, sagt sie. „Ich habe beschlossen, mich nie vor etwas zu fürchten. Die Dinge passieren trotzdem, oder? Ihnen ist es scheißegal, ob man sich fürchtet oder nicht.“
Ich nicke. Christina legt ihren Lipgloss in die Tasche zurück. Ich sitze eine Weile und betrachte ihr Gesicht. Die elegante Nase, die leicht zu großen Lippen, die Stirnfransen, die immer wieder in die Augen fallen.
Ich falte meine Serviette zu einer kleinen harten Kugel zusammen und drücke sie fest in die Handfläche. „Glaubst du, dass Jannick eine andere findet, wenn er im Gymnasium anfängt?“
Christinas Blick gleitet kurz über mich. Dann zuckt sie mit den Schultern. Die Bewegung ist ganz klein, aber eine Kälte breitet sich in mir aus.
„Glaubst du?“
Sie zuckt wieder mit den Schultern.
„Aber ...“ Ich spreche lauter. „Er liebt mich ja. Das sagt er auch selbst. Wir sind ja fast vier Monate zusammen.“
Читать дальше