Ich denke oft, was passieren würde, wenn die Modeproduzenten nur Kleidsames, Ästhetisches und Elegantes in die Läden bringen würden – Businesstaugliches, das den Namen verdient. Die Auswahl könnte viel kleiner sein. Wenn alle Teile gut sind, braucht man nicht unendlich viele Varianten, bis man endlich etwas Passendes findet. Man käme viel schneller und sicherer zum Resultat, es wäre eine wahre Freude. Jeder würde sich mit schönen Dingen eindecken und wäre gut angezogen. Und was er im Schrank hat, könnte er jahrelang immer wieder voller Freude und Stolz und mit Erfolg anziehen.
Weshalb ist das nicht der Fall? Warum wird wider besseres Wissen Massenramsch in die Regale gestapelt, damit die Käuferschaft meint, das sei nun das, was man haben müsse, sonst würde es ja nicht verkauft und von all den anderen auch gekauft? Wer hat daran ein Interesse?
Und wer kommt auf die abstrusen Design-Hits? Nein, nein, es sind nicht die Jungen, wie uns die Trendgurus glauben machen wollen. Kein Jugendlicher geht von sich aus in ein Geschäft und fragt nach Hosen, die im Schritt bis zu den Waden runterhängen, ohne dass er sie nicht vorher irgendwo angepriesen oder an jemandem gesehen hat und daraus ableitet, das sei cool. Kein Erwachsener verlangt aus einer plötzlichen Eingebung heraus ein violettes Jackett mit hängenden Schultern oder Anzugshosen ohne Bügelfalten. Niemand hat das Verlangen nach Teddybären auf der Krawatte oder nach mausgrauen Hemden. Übrigens galten graue und gar schwarze Hemden bis anhin als typische Arbeits- und Uniformhemden, und sie werden durch die Mode nicht salonfähiger, sondern nur modisch. Der sie kauft, meint aber, er müsse sie haben, weil sie jemand zum Trend gemacht hat. Dabei sollte er eigenständig sein und sich davor bewahren. Es ist wie im Frühjahr mit den geschmacklosen Erdbeeren. Niemand wünscht sie sich, sie werden lediglich gekauft, weil sie da liegen und Lust auf (reife, gute) Erdbeeren machen.
Der Einwand ist so nahe liegend wie berechtigt, dass ja niemand gezwungen werde, dieses oder jenes zu kaufen, jede(r) habe die Wahl. Hat man die wirklich? Oft läuft die viel gepriesene Konsumfreiheit nur darauf hinaus, sich für das kleinere oder das größere Übel entscheiden zu können. Wie soll ich wählen können, wenn es das, was ich gerne hätte, gar nicht gibt, oder wenn ich das, was es gibt, niemals wollen könnte?
«Nun gut», mögen Sie denken, «auf die Massenware mag das ja alles zutreffen. Aber was ist mit den berühmten Labels wie Akris, Armani, Boss, Cerutti, Genny, Valentino, Zegna und wie sie alle heißen? Das kann man doch gut tragen, auch im Business!» Ja und nein. Zugegeben, die renommierten Modeschöpfer und -schöpferinnen schneidern zum Teil wunderschöne Sachen, und manches hat Klasse. Aber aufgepasst: es genügt nicht, wenn Sie sich einfach auf diese Namen verlassen und sich sagen: «Wenn das schon so teuer ist, muss ja etwas dran sein und gut aussehen.» Der hohe Preis ist kein Garant. Es bleibt Ihnen auch hier nicht erspart, bewusst mit verlässlichen Kriterien zu selektionieren. Diese Couturiers machen trotz allem hauptsächlich Mode, im doppelten Sinne des Wortes, und sehen sich beim Prêt-à-porter immer auch zu Konzessionen gezwungen, weil mit dem Mainstream das große Geld zu machen ist.
Wenn Sie aber wissen, worauf es ankommt, kann Ihnen nichts passieren, Sie finden fast überall etwas Gutes und Erfreuliches – etwas mit Klasse – für Business wie für Gesellschaft, und sogar für die Freizeit – und es muss gar nicht teuer sein. Wahlfreiheit haben bedeutet nicht nur, wählen zu können, sondern wählen zu wissen. Das macht Sie zur Instanz.
Es geht um Ihre Glaubwürdigkeit
Im Sommer 1999 trug jeder zweite Mann ein blaues Hemd mit einer gelben Krawatte. Ein Jahr später waren schwarze und graue Hemden mit schwarzen und grauen Krawatten an der Reihe, und im Herbst 2000 kam der Einheitslook aus dunkelroten Hemden mit dunkelgrauen Krawatten auf den Plan. Es ist unwahrscheinlich, dass all denen, die wie auf einen Schlag anfingen, schwarze, graue und dunkelrote Hemden zu tragen, diese Hemden gefielen plötzlich so viel besser als noch vor ein paar Monaten. Denn gegeben hat es sie schon immer, nur waren sie nicht Mode. Aber sobald etwas als modisch gilt, machen es alle nach. Wer mitmacht, was die Mode vormacht, hat es schwer, als Identifikations- und Integrationsfigur Vorbildfunktion für sich zu beanspruchen. Er sollte eigene Kriterien haben, sonst ist es mit seiner Glaubwürdigkeit nicht weit her.
Herren-Einreiher haben heutzutage mehrheitlich drei Knöpfe. Obwohl korrekt nur der mittlere geschlossen wird, machen fast alle Männer die beiden oberen zu. Warum? Weil man es in den Magazinen und den Schaufenstern so sieht.
Bei 95 Prozent der Manager (und Politiker) sind die Ärmel am Jackett zu lang. Von den Verkäufern wird ihnen gesagt, dass man die Ärmel heute nach Belieben auch länger tragen kann. Dem ist aber nicht so. Tenue correcte verlangt, dass die Manschetten im Stehen als Streifen von 1,5 cm sichtbar sind. Die Auskunft in den Läden fällt auch nur so aus, weil die Verkäufer nicht in Klasse geschult sind und Ärmel kürzen zudem eine Dienstleistung ist, die sich nicht mehr rechnet. Und der Zeitgeist tut dann so, als käme es darauf nicht mehr an.
Brillen sind eine Sehhilfe und sollten die Sicht also in beide Richtungen verbessern und die Kommunikation nicht behindern. Im Moment sind jedoch Minibrillen Mode, bei denen man weder ungeschmälert raus- noch reinschauen kann. Wenn sich nun ein Tagesschausprecher eine solche Modetorheit anschafft, hat das eine fatale Kommunikationseinbuße zur Folge: Die Zuschauer am Bildschirm sehen seine Augen nicht mehr ganz, sondern vom Brillengestell angeschnitten, und er selbst muss mit leicht angehobenem Kopf in die Kamera schauen, weil er sonst selber dauernd seinen Brillenrand störend im eigenen Blickfeld hat.
Eine offene Ausstrahlung ist ein unschätzbarer Wert im Kontakt mit den Mitmenschen. Wie mächtig muss doch der modebedingte Nachahmungstrieb sein, wenn trotzdem immer mehr Männer mit Backen-, Schnurr- und Zweitagebärten ihren Gesichtsausdruck mutwillig beeinträchtigen. Man könnte meinen, es sei ihnen egal, ob sie einen professionellen Eindruck oder den eines Bohemien machen.
Als Businesslady legen Sie Wert darauf, dass man Sie in erster Linie als fachliche Kapazität schätzt und nicht als feminine Zierde. Mit Buntheit aus den dezent grau und dunkelblau gekleideten Männern herauszustechen, ist deshalb nicht das Wahre. Wenn Sie also, weil die Modesaison es so propagiert, Ihr Kostüm pink, gelb oder groß gemustert wählen, fallen Sie am Kongress oder am Meeting ganz bestimmt nicht wegen Ihrer Fachkompetenz allen auf.
Für die Mode sind die weiblichen Reize ein zentrales Thema , im Geschäftsleben nicht. Emanzipiert, wie Sie sind, besitzen Sie heute überzeugendere Durchsetzungsstrategien als die Waffen einer Frau. Es gibt also keinen Grund, ärmellos und bauchfrei im superkurzen, knallengen Rock auf hochhackigen Bleistiftabsätzen zur Arbeit zu erscheinen. Das bedeutet keineswegs, dass Sie als Karrierefrau in Sack und Asche daherkommen müssen. Achten Sie auf edle Stoffe statt auf Farbenfreudigkeit, auf die Varietät von Geweben statt laute Muster.
Wenn Sie Ihre Gesichtszüge mit Make-up betonen , ist das ganz in Ordnung, aber bitte nicht bemalen. Violette Lippen wirken morbid, pinkfarbene milieufremd, schwarz umrandete Augen machen einen unausgeschlafenen, verlebten Eindruck, und bei farbigen Spraysträhnen im Haar kommen Zweifel auf an Ihrer Fähigkeit, nein sagen zu können.
Gefragt ist Beständigkeit
Was heute modisch ist, ist morgen altmodisch. Wenn Sie mit der Mode gehen, ändern Sie unweigerlich dauernd den Stil, und es ist nicht einmal Ihr Stil, sondern der der anderen, der Mode. Und alle paar Monate wirken Sie wieder anders. Ihren Ansprechpartnern fällt es schwer, zu erkennen, mit wem sie es tatsächlich zu tun haben. Sie sind nicht fassbar, Sie machen einen ungefestigten, unverlässlichen und letztlich unsicheren Eindruck. Ihre Identität findet nicht statt. Denn in welcher Erscheinung sind Sie nun wirklich Sie?
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