Drei Minuten vor dem verabredeten Termin kam ich in mein Arbeitszimmer. Ich bezog die Liege neu, weil ich von Kollegen gehört hatte, daß die Finanzprüfer auf eine unbenutzte Liege Wert legen. Sonst würde ja der Verdacht entstehen, man würde schlafen, statt zu arbeiten, oder daß man dort, wo man arbeitete, auch schlafen konnte, wodurch sich der Arbeitsraum in einen Schlafraum verwandeln würde, und Schlafräume sind nicht absetzbar.
Es läutete an der Tür. Ich ließ es noch einmal läuten, etwas ungeduldiger, bevor ich mir die Brille aufsetzte, einen Schreibstift zwischen die Zähne klemmte und den Türöffner betätigte. Ich ließ ein bißchen schadenfroh meine Tür offenstehen und konnte hören, wie sie die steilen und schmalen Treppen hinaufschnaufte. Dann stand sie vor mir. Ein Riese. Mindestens 180 Zentimeter hoch und mit sehr breitem Gesicht, in dem Stirn und Kinn ähnlich herausragten, wie man es von unseren frühen Vorfahren kennt.
Mir schwante sofort Übles. Mit ihr würde ich nicht fertig werden. Schwanger war sie auch, vermutlich im sechsten oder siebten Monat, und es war bereits offensichtlich, daß sich ein weiterer Gigant in ihrem riesigen Bauch verbarg. Als wir uns die Hand gaben, stand ihr Bauch im Wege, und ich mußte mich auf die Zehen stellen und mich gewaltig strekken. Es war ein Händeschütteln wie über einen Fluß.
Ich fragte sie, ob sie Kaffee wolle, und sie bejahte, bat mich aber, meine Unterlagen herzurichten, damit keine Zeit verlorenginge. Ich holte einen Stoß von Rechnungen, Ausgaben, Einnahmen, Reisen, Werbungskosten, Taxiquittungen etc. Dann zog ich mich in die kleine Kochecke zurück, und dort erreichte mich ihre erste Frage.
«Pflegen Sie hier im Arbeitszimmer Ihr Mittagessen einzunehmen?»
Ich versuchte, die versteckte Absicht dieser Frage zu ergründen, aber es gelang mir nicht.
«Nein, man kann hier nicht kochen. Höchstens eine Tasse Kaffee oder so was...»
«Ich sehe, daß Sie eine Liege haben!»
«Sie sehen ganz richtig!»
«Welche Länge hat das Ding?»
«Die Liege?» fragte ich und lachte.
«Wieso lachen Sie?» fragte sie. «Ach nichts!» zog ich mich zurück. «Ich habe an etwas ganz anderes gedacht.»
«Tja, als Schriftsteller hat man so seine Phantasien!» stellte sie fest.
Ich brachte ihr den Kaffee. Sie trank ihn ohne Zucker, und zu meinem Erstaunen holte sie ein Päckchen der langen, englischen Dunhillzigaretten hervor und machte kräftige Lungenzüge. Vielleicht war sie nicht sonderlich begeistert von dem schlafenden Riesen in ihrem Bauch. Bella, die Kettenraucherin, hat damals sofort aufgehört, als sie mit Vittorio schwanger war.
«Wie sieht es mit meinen Unterlagen aus?» erkundigte ich mich.
«Nichts zu beanstanden! Aber da ist einiges, was mir merkwürdig vorkommt.»
«Aha?...»
«Zum Beispiel, warum arbeiten Sie nicht zu Hause? Sie wohnen doch in einer Villa, oder? Da gibt es sicher Platz genug! Dieser Arbeitsraum ist außerdem eingerichtet wie eine Wohnung. Sie haben eine Liege, die Sie zudem frisch bezogen haben, so etwas sieht eine Frau, die Liege ist so lang, daß man durchaus darauf schlafen kann, Sie haben eine Kochecke und eine Dusche, wenn ich mich nicht irre.»
«Ab und zu schreibe ich nachts, weil ich tagsüber eine andere Arbeit habe!» antwortete ich. Da kommt es vor, daß ich ein Nickerchen mache. Ist das verboten?»
«Verboten ist es nicht, aber es ist nicht absetzbar. Wie groß ist diese Wohnung?»
«Ich weiß nicht genau, etwa dreißig Quadratmeter.»
«Sagen wir also dreißig. Rechnet man die Kochecke, die Dusche, die Liege und den Flur ab, bleiben zwölf bis fünfzehn Quadratmeter, die Sie für Ihre Arbeit benutzen! Sie können mit anderen Worten nur die Hälfte der Miete absetzen. Die andere Hälfte gilt als Wohnung. Das war das eine...» sagte sie drohend.
«Und das andere?»
«Das andere bezieht sich auf mein Schreiben. Uns wurde mitgeteilt, daß Sie in Griechenland eine größere Geldsumme geerbt haben. Sie müssen dieses Geld angeben.»
«Von wem stammt die Mitteilung?»
«Darauf kann ich nicht antworten!»
«Wissen Sie es, oder wollen Sie es nicht sagen?»
«Ich brauche auf keinerlei Fragen zu antworten.»
«Warum soll ich dann auf Ihre Fragen antworten?»
«Weil ich eine Beamtin bin!»
«Aber Sie haben gar keine Mütze auf!» scherzte ich unter Anspielung auf eine der schönsten Szenen bei Hamsun, aber die Beamtin lachte nicht.
«Haben Sie noch etwas Kaffee?» frage sie statt dessen.
Ich schenkte Kaffee nach, und sie zog eine neue Dunhill heraus.
«Nun, dann wiederhole ich meine Frage. Uns wurde mitgeteilt, daß Sie in Griechenland eine größere Geldsumme geerbt haben. Wie hoch ist der Betrag?»
«Ich antworte nicht auf idiotische Fragen!»
«Sie behaupten demnach, ich sei ein Idiot!»
«Ich behaupte, daß die Frage idiotisch ist! Haben Sie an die Möglichkeit gedacht, daß jemand sowohl Ihnen wie mir einen Streich spielen will?»
«Sie antworten also nicht. Sie lassen mir keine andere Wahl, als Sie einzuschätzen!» sagte sie mit haarsträubender Logik.
«Sie können tun, was Sie wollen! Ich werde mich beschweren!»
«Tun Sie das!» sagte sie ruhig, als wüßte sie, wie sinnlos das sein würde.
Dann saßen wir eine Weile schweigend da, und sie ging meine Unterlagen noch einmal durch, ohne etwas daran aussetzen zu können. Damit erhob sie sich und streckte mir die Hand hin. Aber ich tat so, als hätte ich sie nicht bemerkt.
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