Marie Louise Fischer
Bleib doch, liebes Hausgespenst
SAGA Egmont
Bleib doch, liebes Hausgespenst
Bleib doch, liebes Hausgespenst (Band 5)
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, ( www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de)
Originally published 1979 by F. Schneider, Germany
All rights reserved
ISBN: 9788711719671
1. e-bogsudgave, 2017
Format: EPUB 3.0
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Lindhardt og Ringhof Forlag A/S, et selskab i Egmont
Sacht trommelte ein warmer Frühlingsregen gegen die Fensterscheiben des Klassenzimmers. Die Schüler und Schülerinnen lauschten mäuschenstill, was Frau Hübner, die Biologielehrerin, von den Wundern der Tierwelt zu berichten wußte. Die meisten waren enttäuscht, als sie aufforderte: „Ich habe euch vom Urvogel erzählt“, sagte sie, „wie sah er aus?“
Die Finger flogen in die Höhe.
„Ingrid!“
Ingrid, ein großes Mädchen mit braunen Augen und einem braunen Wuschelkopf, als einzige Tochter eines Gymnasiallehrers immer eine Spur zu fein gekleidet – heute trug sie an einem ganz gewöhnlichen vorfrühlinghaften Schultag einen hellgrauen Faltenrock mit einem weichen, langärmeligen rosa Pullover – fuhr auf. „Halb Vogel, halb Eidechse!“
„Sehr richtig! Und woher wissen wir das?“
Diesmal durfte Norbert antworten – Norbert, ein blondgelockter Junge, dessen Eltern erst vor einem halben Jahr aus Norddeutschland nach Bayern zugezogen waren, und deres sich noch nicht ganz abgewöhnt hatte, ein spitzes „St“ zu sprechen. Noch immer wurde er manchmal deswegen ausgelacht, und obwohl er es tapfer ertrug, war er bemüht, diese Eigenart abzulegen. „Man hat …“ Er machte eine kleine Pause und sagte dann betont: „Ver-schteinerungen im Fränkischen Jura gefunden.“
Die Klasse lachte auch über dieses bemühte „Scht“ – nur Monika nicht. Obwohl sie Frau Hübner mit weit geöffneten grünen Augen scheinbar aufmerksam anstarrte, war sie mit ihren Gedanken doch weit, weit fort.
„Ssch-timmt!“ lobte Frau Hübner, und unwillkürlich betonte auch sie das „St“ wie eine Lokomotive, Den Lacher, den sie damit erntete, nahm sie nicht übel, sondern schmunzelte dazu. „Andere Ablagerungen der Erdgeschichte verrieten uns noch mehr. Die Zahl der Versteinerungen, die man erforscht hat, ist so groß, daß man sich schon ein ganz gutes Bild des Erd-Mittelalters machen kann. Wer waren damals die Herren der Erde?“
Viele Arme flogen hoch. Frau Hübners Blick überflog die Klasse. Sie stellte fest, daß Monika sich nicht gemeldet hatte.
„Monika“, fragte sie freundlich, „das mußt du doch auch wissen. Ich habe es ja gerade erst erzählt!“
Monika war erwacht, als sie ihren Namen hörte, und ihr hellhäutiges Gesicht war rot geworden. „Wa-a-as?“ stotterte sie.
„Ich habe vom Erd-Mittelalter gesprochen, Monika!“ versuchte Frau Hübner ihr zu helfen. „Wie hießen die Tiere, die damals am verbreitetsten waren? Inzwischen sind viele von ihnen schon ganz ausgestorben!“
Unvermittelt brach Monika in Tränen aus.
Die Klasse hielt den Atem an.
„Aber, Monika, warum weinst du?“ fragte Frau Hübner verblüfft. „Wegen der ausgestorbenen Reptilien? Oder weil du nicht aufgepaßt hast?“
„Ich … nein, gar nicht …“ stammelte Monika schluchzend, „… ich weine, weil …“ Unfähig, eine vernünftige Erklärung abzugeben, stürzte sie aus dem Zimmer.
Frau Hübner sah die Klasse an. „Was ist los mit Monika? Ist sie krank? Oder hat sie zu Hause Kummer? Ingrid?“
Ingrid war aufgestanden. Aber statt einer Erklärung hatte sie eine Gegenfrage: „Darf ich ihr nach … sie beruhigen?“
„Ja, lauf nur.“
Monika und Ingrid waren Freundinnen, und das wußte Frau Hübner.
Norbert meldete sich, nahm all seinen Mut zusammen und bat: „Ich auch?“
Die anderen – besonders die Schüler – lachten schallend, denn es schien ihnen überaus komisch, daß ein Junge ein Mädchen zu trösten versuchen wollte. Aber Norbert hatte es ganz ernst gemeint, denn zwischen ihm und Monika bestand eine Freundschaft, in die auch Ingrid einbezogen war.
Auch Frau Hübner war es nicht entgangen, daß die drei ständig zusammensteckten, dennoch gab sie ihre Erlaubnis nicht. „Du nicht, Norbert“, sagte sie statt dessen, „du wirst früh genug nach Schulschluß hinter das große Geheimnis kommen!“
„Was für ein Geheimnis?“ fragte Norbert und tat so erstaunt, wie er nur konnte.
„Versuch nicht, mir etwas vorzumachen! Glaubst du nicht, ich hätte längst bemerkt, wie du und die beiden Mädchen immer miteinander tuscheln? Ihr habt ein Geheimnis zusammen … aber keine Angst, ich will es gar nicht wissen. Aber ich möchte wetten, daß Monikas unmotivierte Tränen mit diesem Geheimnis Zusammenhängen!“
„Ich weiß gar nicht, was Sie meinen“, murmelte Norbert, aber er wagte nicht, der Lehrerin dabei in die Augen zu sehen, denn er wußte nur zu gut, daß sie recht hatte. Monika, Ingrid und er hatten ein Geheimnis miteinander, und es war nur zu wahrscheinlich, daß Monikas Tränen mit diesem Geheimnis im Zusammenhang standen.
Draußen, auf dem hellen, breiten Gang des modernen Hauses, das eine sogenannte Mittelpunktsschule beherbergte, hatte Ingrid den Arm um Monikas Schultern gelegt. „Heul dich nur aus“, sagte sie verständnisvoll, „was raus muß, muß raus! Und nachher erzählst du mir dann, was los ist, ja?“
Die beiden standen vor einem riesigen bunten Wandmosaik, das die „Kunst“ an dem Schulbau vertrat, aber keine von ihnen hatte Augen für die blau-grün-rot-gelb-goldene Farbenpracht.
Monika befolgte nicht den Rat der Freundin, ihren Tränen erst einmal freien Lauf zu lassen, sondern sie rang um Beherrschung. „Ich muß immer an Amadeus denken“, brachte sie schluchzend hervor, „er … er tut mir ja sooo leid!“
„Aber warum denn?“ fragte Ingrid ganz erstaunt.
„Ja, hast du denn in Relix nicht aufgepaßt?“ Monika versuchte mit den Fäusten, ihre Wangen zu trocknen. „Wie der Herr Pfarrer uns von unserer unsterblichen Seele erzählt hat?“
„Schon. Aber das ist doch eine alte Geschichte.“ Ingrid holte ein blütenweißes, zart duftendes und sorgsam zusammengefaltetes Tuch aus der Innentasche ihres Faltenrockes und reichte es Monika. „Da, putz dir die Nase!“
Monika tat, wie sie gesagt hatte. „Aber was ist dann mit Amadeus? Was ist mit seiner Seele?“
„Wahrscheinlich hat er gar keine“, meinte Ingrid gelassen.
„Waaas?“ Entsetzt riß Monika die Augen auf, und auch ihre letzten Tränen versiegten von einer Sekunde auf die andere. „Wie kannst du so etwas sagen?“
„Ich denk’s mir eben. Weil Norberts Vater doch meint, daß Amadeus ein Kobold ist.“
„Aber wie kann Norberts Vater das wissen? Er kennt Amadeus doch gar nicht.“
„Ich nehme an, Norbert hat ihm eine Menge erzählt.“
„Trotzdem! Wissen kann er es nicht! Und wenn Amadeus nun doch das ist, was er selber sagt? Wenn er doch als kleiner Junge vor zweihundert Jahren im Seerosenteich hinter unserem Haus ertrunken ist? Und wenn er nun für immer und alle Zeiten gespenstern muß?“
„Ja, dann …“, Ingrid legte den Finger an die Nase und dachte nach, „… kann ich ihm auch nicht helfen“, sagte sie endlich.
„Wie kannst du nur so herzlos sein!“ Schon wieder wurden Monikas Augen feucht.
„Reg dich bloß nicht auf! Soll ich dir mal sagen, was mit dir los ist? Du hast einfach zu wenig Schlaf.“
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