Monika gähnte. „Ich bin schrecklich müde!“
„Immer, wenn ich mit dir reden will, bist du müde“, schmollte Amadeus.
„Weil du dir die unmöglichsten Zeiten aussuchst.“
„Wäre es dir lieber, ich würde morgen mit dir an Deck Spazierengehen?!“
Monika erschrak. „Nur nicht! Du hast mich so schon ganz schön in Verlegenheit gebracht!“
„Dieser Brian ist ein fanfaron! Ein Prahlhans!“
„Da kannst du schon recht haben! Aber, bitte, dreh dich jetzt um. Ich muß mich ausziehen.“
Amadeus gehorchte, und Monika empfand in diesem Augenblick, daß er doch recht lieb war. Rasch zog sie sich aus, wusch sich die Füße und kletterte in das schmale Bett.
„Darf ich?“ fragte Amadeus, das Gespenst.
„Ja, bitte.“
Er drehte sich um und lächelte so vergnügt, daß Monika ein Verdacht kam.
„Sag mal, kannst du etwa auch nach hinten sehen!“
„Natürlich kann ich.“
„Warum hast du mir das nicht gesagt?!“
„Ich kann, aber ich tue es nicht immer. Wenn du … une jeune demoiselle, nicht möchtest, daß ein junger Herr ihr beim Ausziehen zusieht, dann respektiere ich das … parole d’honneur!“
„Danke, Amadeus!“ Monika stopfte sich ein Kissen hinter den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Also … über was wolltest du mit mir reden?“
„Ich finde, daß wir beide das eben sehr gut gemacht haben, Monique. Wir haben diesem Brian eine Lehre erteilt.“
„Ja, das haben wir. Aber du darfst so etwas nicht wieder tun, Amadeus, hörst du? Du machst mich sonst auf der Wassermann unmöglich! Brian hält mich jetzt schon für eine Hexe.“
„Soll er doch! Hauptsache, er macht sich nicht mehr an dich heran.“
„Wäre das denn so schrecklich?“
„Ich mag ihn nicht! Und ich mag nicht, wenn du dich mit fremden garçons abgibst!“
„Auf einem Schiff kommt man nun mal auch mit fremden Leuten zusammen. Das läßt sich nicht vermeiden.“
„Du hast also vor, ihn encore une fois … ihn wieder zu treffen?!“
„Nein, aber es könnte doch sein. In der Disko zum Beispiel.“
„Was ist das? Disko?“
„Eine Diskothek. Ein Restaurant, wo Schallplatten aufgelegt werden und die Leute tanzen.“
„Du willst mit diesem Brian tanzen?!“
„Nein, Wahrscheinlich traut er sich gar nicht mehr an mich heran.“
„Das ist gut so! Ich … moi … werde nämlich mit dir tanzen.“
Monika richtete sich kerzengerade auf. „Bist du verrückt? Das geht doch nicht!“
„Sehr gut sogar. Ich war schon in deiner Disko. Da unten ist es so dunkel, daß ich bestimmt nicht auffalle.“ Er nahm seine weiß gepuderte Perücke ab, so daß sein feines blondes Haar zum Vorschein kam. „So sehe ich doch aus, wie jeder andere garçon, n’est-ce pas? Vielleicht ein bißchen hübscher …“
„Aber dein Anzug!“
„Die tragen da unten alles mögliche!“
„Nein, das geht nicht“, erklärte Monika entschieden.
„Du magst mich nicht mehr!“ sagte Amadeus beleidigt.
„Das ist nicht wahr. Natürlich mag ich dich. Du bist mein bester Freund. Von mir aus kannst du auch mitmachen. Aber du mußt unsichtbar bleiben.“
„Dann macht es keinen Spaß.“
„Doch. Natürlich macht es Spaß. Bitte, Amadeus! Du sagst doch, daß du mich magst! Also bring mich auch nicht in Schwierigkeiten.“
„Wir werden sehen.“
„Bitte, Amadeus, versprich es mir!“
Aber wie immer, wenn Amadeus ein Thema unangenehm war, hatte er keine Lust zuzuhören; er begann zu flackern, und Monika wußte, daß er gleich verschwinden würde.
„Noch einen Augenblick!“ rief sie. „Amadeus! Sag mir, wie gefällt dir die Kreuzfahrt?“
„Très bien!“
„Bist du mir nicht dankbar, daß ich dich mitgenommen habe?“
Die Konturen des Gespenstes begannen sich aufzulösen.
„Du mußt mir dankbar sein, Amadeus“, beschwor Monika ihn, „und deshalb darfst du auch keinen Unfug mehr machen! Bitte, bitte, bitte, sei vernünftig!“
Aber der Klapptisch, auf dem Amadeus eben noch gesessen hatte, war leer.
Trotzdem hoffte Monika, daß er noch anwesend war, wenn auch unsichtbar, und sie redete eine ganze Weile eindringlich auf ihn ein. Endlich aber wurde sie von Müdigkeit überwältigt, sie ließ sich herunterrutschen und war im nächsten Augenblick auch schon eingeschlafen.
Obwohl Monika in der Nacht so lange auf gewesen war, erwachte sie doch am nächsten Morgen sofort, als Ingrid Anstalten machte, aufzustehen. Sie hatte sich inzwischen daran gewöhnt, mit sehr wenig Schlaf auszukommen. Dafür war sie aber, seit Amadeus in ihr Leben getreten war, durch alle Aufregungen sehr dünn geworden, und ihre zarte Haut wirkte fast so durchscheinend wie die des Gespenstes.
Natürlich erzählte sie Ingrid gleich alles, was passiert war.
Zuerst kugelte sich die Freundin vor Lachen, dann sagte sie besorgt: „Amadeus wird immer frecher! Paß nur auf, daß er uns nicht unmöglich macht!“
Monika war dabei, sich das rote Haar zu kämmen. „Und wie, bitte, soll ich das tun?“ fragte sie.
„Du mußt ihm den Kopf zurechtsetzen!“
„Leichter gesagt als getan!“
Wenig später liefen sie nebeneinander zum Speisesaal, der auf dem gleichen Deck lag wie ihre Kabinen. Beide trugen einen ärmellosen Pulli, Monika zu Jeans, und Ingrid, die immer etwas feiner gekleidet war, zu einem weißen Faltenrock.
Norbert und seine Eltern saßen schon an einem der runden, weiß gedeckten Tische, und die beiden Mädchen begrüßten sie und setzten sich zu ihnen.
Monika verspürte plötzlich einen mächtigen Hunger. „Was kriegt man denn hier zu essen?“
„Alles, was dein Herz begehrt!“ erklärte Norbert.
Etwas verwundert sah Monika daraufhin auf das Steinsche Frühstück, das aus Brot, Butter, Marmelade, Tee und Kaffee bestand.
Frau Stein verstand ihren Blick. „Wir haben uns vorgenommen, genauso zu essen wie zu Hause … damit wir nicht dicker werden!“
Wie langweilig! hätte Monika beinahe gesagt, aber sie verbiß sich die Bemerkung, um Frau Stein nicht zu ärgern.
„Das ist nämlich die größte Gefahr auf einer Schiffsreise!“ fugte Herr Stein hinzu.
Jetzt konnte sich Monika aber beim besten Willen nicht mehr zurückhalten. „Du lieber Himmel!“ rief sie. „Und was ist mit Schiffbrüchen, Orkanen und Hurrikanen?!“
„Kommen höchst selten vor“, behauptete Herr Stein. „Und außerdem hat die Wassermann Stabilisatoren. Die werden bei hohem Seegang ausgefahren, so daß der Kreuzer dann nicht einmal ins Schaukeln kommt.“
„Klingt seht beruhigend!“ sagte Ingrid, die inzwischen die Frühstückskarte studiert hatte. „Ich nehme eine halbe Pampelmuse und Toast.“
Monika nahm ihr die Karte aus der Hand, und ihre grünen Augen wurden riesengroß, als sie die angebotenen Speisen sah. „Und ich auch eine Pampelmuse und dann … Spiegeleier mit Speck … und gebackene Leber!“ Sie ließ die Karte sinken und sah von einem zum anderen. „Oder findet ihr das unverschämt?“
„Man darf auf einem Schiff essen, soviel man will, das ist im Preis einkalkuliert“, erklärte Herr Stein.
„Und außerdem kannst du es dir erlauben“, fügte seine Frau gönnerhaft hinzu, „für dich wäre es ganz gut, wenn du ein bißchen mehr auf die Rippen bekämst.“
Der Steward – in Gedanken nannte Monika ihn immer noch „Ober“, sie mußte sich erst an die schiffsüblichen Bezeichnungen gewöhnen – lächelte nicht und staunte nicht, als Monika ihre Bestellung aufgab. „Und zu trinken?“ fragte er.
„Kakao!“ Sie las das kleine, silbern glänzende Schildchen auf seiner Jacke ab und sagte: „Bitte, Peter!“
Es schien ihn zu freuen, daß sie ihn beim Namen genannt hatte, denn jetzt lächelte er doch, bevor er enteilte. Er war ein magerer, flinker, dunkelhaariger Mann, den die kurze beige Jacke, die alle Stewards trugen, trefflich kleidete. Gleich darauf kam er mit den Pampelmusen zurück. Die Mädchen streuten sich tüchtig Zucker darüber und aßen mit gutem Appetit.
Читать дальше