»Du kannst mich mal kreuzweise«, brummelte ich.
Kurz darauf hatte ich beschlossen, die Freundschaft zu meinem zweiten Ich vorübergehend auf Eis zu legen. Aber ein solches Verhalten konnte ich nun wirklich nicht ungestraft lassen. Ich blickte dabei in den Spiegel und zog eine Grimasse.
»Ich bin verrückt geworden«, stellte ich nach einer Weile fest. Kopfschüttelnd wandte ich mich von meinem Spiegelbild ab.
Aber vielleicht war die Idee, mal so ganz zufällig im Lesecafé vorbeizuschauen, gar nicht so schlecht. Ich hob warnend den Zeigefinger in die Luft, als sich die Stimme in meinem Kopf erneut mit einem unqualifizierten Kommentar zu Wort melden wollte. »Sei bloß still«, knurrte ich.
Alle Bedenken beiseiteschiebend warf ich mir den Mantel über und verließ die Wohnung. Ich steuerte direkt auf den Weihnachtsmarkt zu. Dort drehte ich ein paar Runden, ohne dass ich mich meinem eigentlichen Zielort entscheidend näherte. Stattdessen blieb ich an dem mir schon bekannten Stand mit den Mützen, Handschuhen und Schals hängen.
Die Verkäuferin erkannte mich anscheinend sofort wieder, denn statt einer Begrüßung sagte sie: »Die rote oder doch die schwarze Mütze?« Dazu blinzelte sie mich wissend über die Ränder ihrer Brille hinweg an.
Allmählich fragte ich mich, ob ich es hier mit einer eingeschworenen Gemeinschaft zu tun hatte, die streng darüber entschied, ob sie neue Mitglieder in ihren Kreis aufnahm oder nicht.
Ich verzog meinen Mund zu einem schiefen Grinsen. »Wenn ich das wüsste . . .«, sagte ich.
Ein bisschen hatte ich ja gehofft, dass die Frau mir bei meiner Entscheidungsfindung behilflich sein würde. Da dem aber offensichtlich nicht so war, griff ich nach der schwarzen Schirmmütze, die Kirsten so unverschämt gut gestanden hatte. Anscheinend hatte sich noch keine andere Käuferin dafür gefunden, als wäre die Mütze ausschließlich für Kirsten bestimmt. Ich drehte sie in meinen Händen und fühlte den weichen Stoff.
Als ich mich schon entschieden hatte, schob mir die Verkäuferin noch eine ähnliche Mütze zu, nur eben in Rot. Sie gefiel mir sehr, und ich stellte mir vor, wie verführerisch sie zu Kirstens blondem Haar passen würde. Je nachdem, wie das Licht fiel, hatte ich nämlich auch schon einen leichten Rotschimmer darin entdeckt.
Doch ehrlich gesagt fühlte ich mich jetzt ein wenig überfordert. Mir war natürlich klar, dass die Frau hinter dem Tresen hier eine clevere Verkaufstaktik an den Tag legte. Unentschlossenen Kunden, die aber nicht mit leeren Händen vor der Dame ihres Herzens aufkreuzen wollten, konnte man so natürlich hervorragend das Geld aus der Tasche ziehen.
Ich zwinkerte ihr verschmitzt zu. Was soll’s, dachte ich mir. »Wissen Sie was, ich nehme einfach beide.«
Die Frau lächelte glücklich. »Gute Wahl«, zwitscherte sie, und schwupp landeten beide Mützen in einer Papiertüte mit kleinen Weihnachtsengeln drauf.
Na großartig! Sollte ich etwa mit dieser Tüte zu Kirsten gehen? Gab es denn keine kleinere Größe? Doch auch mein missbilligender Blick half nicht. Schon im nächsten Augenblick tauschten Geld und Tüte ihre Besitzer. Und außerdem schien nur ich mir Gedanken darüber zu machen, denn die Verkäuferin strahlte mich so herzlich durch ihre Brillengläser an, dass es mir ganz automatisch ein Schmunzeln entlockte.
Als ich ihr noch einen schönen Tag wünschte und mich schon zum Gehen wandte, sagte sie noch: »Damit machen Sie ihr bestimmt eine große Freude.«
Überrascht hielt ich in meiner Bewegung inne. »Nun, ich hoffe sehr, dass Sie recht behalten«, erwiderte ich schließlich. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich endgültig weiter.
Während ich nun doch zielorientierter den Weihnachtsmarkt verließ und durch die Einkaufspassage schlenderte, unternahm ich ein paar klägliche Versuche, die Papiertüte irgendwo an meinem Körper und unter meinem Mantel zu verstauen. Doch das war natürlich aussichtslos, wenn ich nicht wie eine aufgeblähte Weihnachtskugel aussehen wollte, die auch noch bei jeder Bewegung raschelte.
Ich war so sehr damit beschäftigt, dass ich gar nicht merkte, dass ich inzwischen auf dem Hinterhof angelangt war. Kurz durchzuckte mich noch der Gedanke, schnell wieder kehrtzumachen, bevor mich noch jemand bemerkte.
Doch es war bereits zu spät. Rosi hatte mich schon gesehen und winkte mir lächelnd zu. Ich hob die Hand und grüßte zurück. Unruhig blickte ich mich in alle Richtungen um und ertappte mich dabei, dass ich erleichtert aufatmete, weil ich weder Kirsten noch Lotta entdecken konnte. Und das, obwohl ich doch nur aus einem einzigen Grund hierhergekommen war. Aber ich hätte mir vorher mal eine Strategie überlegen sollen, anstatt hier einfach so aufzukreuzen.
Ich stieß einen stillen Fluch aus, dann setzte ich einen Fuß vor den anderen. Nun war ich einmal hier, und so erwartungsvoll, wie Rosi mir entgegenblickte, wäre es verdammt unhöflich, einfach wieder zu gehen.
»Wie geht es Ihnen, Hüterin des Arabella ?«, fragte Rosi mich augenzwinkernd, als ich an ihrem Stand angekommen war.
Meine Lippen kräuselten sich zu einem leichten Schmunzeln. Rosi schien eine wahre Frohnatur zu sein. »Na ja . . .« Ich blickte kurz zum zweiten Verkaufsstand hinüber und stellte zu meiner Überraschung erst jetzt fest, dass anstelle von Sandra heute ein junger Mann die Bücher feilbot. Schulterzuckend wandte ich mich wieder Rosi zu. »Ganz gut«, log ich, wohlwissend, dass das nicht der Wahrheit entsprach.
Aber was sollte ich ihr darauf auch antworten? Ich konnte ihr ja schlecht mein Herz ausschütten. Dennoch fühlte ich mich der Lüge überführt, weil Rosi mich mit einem nachdenklichen Blick musterte. Das war mir unangenehm, und ich schaute beschämt nach unten auf meine Schuhspitzen.
»Oh, Sie waren Geschenke einkaufen«, überspielte Rosi mein Dilemma gekonnt, als wüsste sie ganz genau, wie es um meinen Gemütszustand bestellt war.
Dankbar schaute ich wieder auf. Ich hob die Einkaufstüte in die Höhe und ließ sie an meiner Hand baumeln. »Ja, das kann man so sagen«, erwiderte ich lächelnd. »Aber das war sehr spontan und überhaupt nicht geplant.« Wie auch mein Besuch hier, fügte ich gedanklich hinzu.
»Spontane Einkäufe sind manchmal die besten.« Rosi bedachte mich mit einem warmherzigen Lächeln, während sie für die Kundin neben mir ein paar Plätzchen in einer Schachtel verstaute. »Letztlich ergibt es trotzdem einen tieferen Sinn, warum man das gemacht hat.« Sie lachte beherzt auf und reichte der Kundin die Schachtel. Die Dame nickte zustimmend, weil sie offensichtlich derselben Meinung war.
Ich nickte ebenfalls. Rosi hatte recht. In meinem Fall wahrscheinlich ganz besonders.
Als die Kundin gegangen war, sagte sie: »Ich nehme an, Sie sind nicht wegen einer Tasse Glühwein hier?« Rosi hatte keine Miene verzogen, aber ihr Gesichtsausdruck hatte etwas Verschmitztes.
»Ähm, nein.« Ich war zu überrumpelt, um mehr zu sagen. Vielmehr musste ich daran denken, was ich Kirsten bei unserer letzten Begegnung gesagt hatte. Und nun stand ich hier, obwohl es doch hätte ganz anders laufen sollen.
Rosi wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und warf einen prüfenden Blick auf die Temperaturanzeige des Glühweinerhitzers. »Möchten Sie lieber einen Kaffee? Dann kann ich Ihnen ein Weilchen Gesellschaft leisten. Natürlich nur, wenn Sie Ihre kostbare Zeit mit einer alten Oma wie mir vertrödeln wollen.« Wieder zeigte sich dieses schelmische Lächeln auf ihrem Gesicht.
»Danke, das Angebot nehme ich sehr gern an.« Ich zwinkerte ihr mit einem Auge zu. »Und Sie sind doch keine alte Oma. Also ehrlich mal . . .«
Sie hob lachend den Zeigefinger, als wollte sie mich tadeln. »Schon gut, schon gut. Genug der Schmeichelei.« Kichernd wie ein junges Mädchen trat sie durch die Seitentür ihres Verkaufsstandes nach draußen. »Marcel«, rief sie. Der junge Mann am Bücherstand blickte zu ihr herüber. »Kannst du dich mal ein paar Minuten mit darum kümmern? Ich möchte mit der reizenden Dame hier einen Kaffee trinken.« Sie schmunzelte mich an. »Das ist übrigens mein Enkel. So viel dazu, dass ich keine alte Oma bin.«
Читать дальше