Nachdem Sandra wieder von dannen gezogen war, schüttelte Rosi den Kopf über sie. Als sie meinen fragenden Blick bemerkte, meinte sie: »Noch so ein Problemfall. Aber glauben Sie mir, das wollen Sie nicht hören.«
Doch, das würde mich sehr interessieren, hätte ich fast gesagt. Aber dann wurde mir klar, dass Rosi nicht über Sandra reden wollte. Und ich wollte nicht neugierig erscheinen und mich da in etwas einmischen, was mich vermutlich überhaupt nichts anging. Daher entschied ich mich, den Faden unseres Gespräches wieder aufzunehmen, bevor wir so unfreundlich unterbrochen worden waren.
»Sie meinen also, ich soll bei Kirsten einfach warten? Ich möchte sie ja auch nicht bedrängen. Aber sie war am Montag zu mir ins Kaufhaus gekommen. Das hätte sie nicht tun müssen.«
Ein feines, verständnisvolles Lächeln umspielte Rosis Mundwinkel. »Ist das denn nicht schon mal ein gutes Zeichen, dass sie zu Ihnen gekommen ist?«
Ich stutzte. Das stimmte natürlich. Aber umso mehr verwirrte mich das auch. »Sie haben sicherlich recht. Ich sollte wohl wirklich nicht so ungeduldig sein.«
Rosi nahm einen letzten Schluck aus ihrer Kaffeetasse. »Also ich kann Ihre Ungeduld durchaus verstehen. Gefühle machen davor nun mal nicht halt.« Schmunzelnd stand sie auf. »Leider muss ich langsam mal wieder raus in meine kleine Bude, so gern ich auch noch weiter mit Ihnen plaudern würde.«
»Natürlich.« Ich erhob mich hastig von meinem Stuhl. Hatte ich doch total die Zeit vergessen. Schnell kam ich um den Tisch herum, denn diesmal wollte ich Rosi zumindest in die Jacke helfen. Dadurch, dass ich nun hinter ihr stand, konnte ich wenigstens mein Gesicht vor ihr verstecken. Denn ich hatte das Gefühl, rot angelaufen zu sein, so heiß, wie sich meine Wangen anfühlten.
»Vielen Dank, Fanny.« Rosi blinzelte mich über ihre Schulter hinweg spitzbübisch an.
Ach, meinen Namen kennt sie also auch schon. Sollte mich das wirklich noch überraschen? Nein, wohl eher nicht.
Auf dem Weg nach draußen verfolgten mich Sandras Blicke. Ich konnte es spüren, ohne es zu sehen. Fröstelnd kuschelte ich mich noch tiefer in meinen Mantel, als mir die kalte Winterluft entgegenschlug. Die Geschenktüte baumelte wieder an meiner Hand und wirkte wie ein Fremdkörper auf mich.
»Was hat Sandra nur für ein Problem mit mir?«, fragte ich Rosi.
Die blieb mitten auf dem Hof stehen und drehte sich zu mir um. Fragend zog sie die Augenbrauen hoch.
Mein Arm wies hilflos in die Richtung, aus der wir gerade gekommen waren. »Ich meine, sie kennt mich doch gar nicht. Aber aus irgendeinem Grund scheint sie mich zu hassen.«
Rosi neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Es schien, als dachte sie nach. »Sie sollten das nicht zu persönlich nehmen«, sagte sie dann.
»Nicht persönlich nehmen ist gut. Wenn Blicke töten könnten, läge ich wahrscheinlich schon längst unter der Erde«, grummelte ich.
Ein Lächeln huschte über Rosis Lippen. Sie kam wieder einen Schritt auf mich zu und fasste mich am Arm, der schlaff an meinem Körper herunterhing. »Sandra ist meine jüngste Tochter, und sie ist Teilinhaberin des Cafés«, ließ sie mich wissen.
Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, Rosi auf Sandra anzusprechen?
»Ich habe drei . . . drei Mädchen, stellen Sie sich das mal vor«, setzte Rosi schmunzelnd fort, obwohl ihr meine Reaktion sicherlich nicht entgangen war.
»Es . . . tut mir leid«, stammelte ich. »Ich . . .«
»Was, dass ich drei Töchter habe?« Rosi lachte herzlich. »So schlimm ist das nun auch wieder nicht.«
Am liebsten hätte ich mir vor Scham die Hände vors Gesicht gehalten. »Nein, das meinte ich nicht. Es ist nur, ich wusste ja nicht, dass Sandra Ihre Tochter ist.« Ich zog eine gequälte Miene.
»Natürlich nicht. Woher sollten Sie das auch wissen?« Rosi lächelte mir aufmunternd zu. »Und Sie haben ja nicht ganz unrecht damit, dass meine Jüngste zuweilen ihre gute Erziehung zu vergessen scheint. Aber Sandra und Kirsten . . .« Sie ließ meinen Arm los und schwang ihre Hand ziellos durch die Luft. »Ach, das ist eine ganz andere Geschichte.«
Ich hätte die Geschichte gern gehört. Nun, wohl nicht gerade gern. Ich konnte nichts dagegen tun, dass schon wieder eine leichte Eifersucht in mir hochkroch. Aber Rosi schien ohnehin nicht weitersprechen zu wollen, denn sie begab sich eilig zu ihrem Verkaufsstand. »Vielleicht wollen Sie ja doch noch einen leckeren Glühwein?«, rief sie mir zu.
Ich grinste schräg und schüttelte den Kopf. Trotzdem ging ich noch mal zu ihr an den Stand, weil ich mich wenigstens ordentlich von ihr verabschieden wollte. Es war sehr angenehm gewesen, mit Rosi zu reden. Und ein Stück weit hatte mir unsere Unterhaltung die Augen geöffnet, auch wenn ich derzeit noch nicht wusste, wie es weitergehen sollte.
Ich lehnte mich gegen den Tresen und sah Rosi dabei zu, wie sie den Glühweintopf auffüllte.
»Ich dachte, dein Bedarf an Glühwein ist bis auf weiteres gedeckt?«, raunte es hinter mir.
Wie vertraut die Stimme mir inzwischen schon war. Meine Nackenhärchen stellten sich prompt auf, noch bevor eine Gänsehaut meinen ganzen Körper erfasste. Ich riss die Augen auf, nahm noch schemenhaft Rosis Grinsen wahr und schwang mich herum.
»Schön, dich zu sehen«, krächzte ich. Mich räuspernd fügte ich hinzu: »Und um deine Frage zu beantworten, ich möchte keinen Glühwein trinken, auch wenn Rosi mir hartnäckig einen unterjubeln wollte.«
»He«, hörte ich Rosi sagen. »So ist das ja nun nicht.« Ihre Entrüstung war nur gespielt. Das wusste ich. Dafür brauchte ich mich nicht umzudrehen.
Kirsten lächelte. Aber es war ein zurückhaltendes Lächeln, als ob sie sich nicht sicher wäre, ob sie unser Wiedersehen an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt auch schön fand. Dann fiel ihr Blick auf die Tüte in meiner Hand. Eine Weile starrte sie darauf, ohne etwas zu sagen. Meine Finger krampften sich um die Henkel. Wenn es ein Unsichtbarkeitsserum gegeben hätte, dann hätte ich jetzt die ganze Flasche ausgetrunken.
Auf einmal fasste Kirsten nach meiner anderen Hand und umschloss sie ganz fest, als wollte sie sie nie wieder loslassen. »Komm«, flüsterte sie. Und schon zog sie mich mit sich.
Ich war völlig perplex und wusste gar nicht, wie mir geschah. Ich schaffte es nicht mal, Rosi noch auf Wiedersehen zu sagen. Ich ließ mich einfach treiben. Es war wie ein Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.