»Guten Abend, Sir«, grüßte er. »Eine willkommene Überraschung, Sie hier in Bermuda anzutreffen.«
»Ach, der Eremit Lord Hawke«, erwiderte Trulove, klappte das Buch zu und blickte mit schwer zu deutendem Gesichtsausdruck zu ihm auf. Nachdem er den dünnen Band neben das Telefon gelegt hatte, stand er auf und streckte seine rechte Hand aus. Der Mann war nicht nur älter, sondern auch gut einen Zoll größer als Hawke und überdurchschnittlich gut in Form. Er hatte graues, aber fülliges Haar und ebenso dichte Augenbrauen, die ihn wild aussehen ließen. Das erste Wort, das einem bei seinem Anblick einfiel, war edel.
Heute erinnerte er mit seinem maßgeschneiderten Abendanzug und den Falten in seinem Seefahrergesicht – ganz zu schweigen von seinen Augen, die hart anmuteten wie Glasmurmeln – an einen sehr eleganten englischen Spion nach der Vorstellung eines Hollywood-Regisseurs.
»Lesen Sie eigentlich Yeats, Alex?«, fragte er, während er auf das Büchlein auf dem Tisch schaute.
»Nein, Sir. Offengestanden erschließt sich mir Lyrik selten.«
»Sie sollten unbedingt versuchen, sie zu verstehen. Ich ertrage Gedichte auch nur in Maßen, aber Yeats ist grandios – der einzig wahrlich heroische Lyriker, den wir haben, finde ich. Also, Sie wundern sich darüber, mich hier zu sehen, richtig?«
»Ein wenig. Darf ich mich setzen?«
»Bitte. Wäre es Ihnen dort genehm?«
Alex nickte und nahm in dem anderen Sessel am Feuer Platz. Das alte, abgewetzte Leder fühlte sich gut an. Als er sich in die Polster sinken ließ, bemerkte er, dass der Ältere ihn eindringlich betrachtete, und trotzte seinem Blick. So starrten sie einander an, ein Spiel mit offenem Ausgang.
»Ich habe mir einen Whiskey gegönnt, trinken Sie mit?« C schaute langsam an den Glasflaschen vorbei, die auf einer Anrichte standen, und zu den Büchern hinauf, die bis unter das oktagonale Deckenfenster reichten. Auf Höhe der oberen Etage führte ein schmaler Balkon mit Geländer herum, der nicht den Anschein erweckte, auch nur das Gewicht eines Vogels tragen zu können, geschweige denn einen Menschen mit einem Stoß Büchern im Arm.
»Nein danke, Sir.«
»Alex, ich störe Sie ungern während einer unleugbar wohltuenden Verschnaufpause in Ihrem Leben. Gott weiß, nach Ihrem letzten Einsatz haben Sie sich diese Erholung redlich verdient, doch wir kommen leider nicht umhin, über Geschehnisse zu reden, die Ihrer Beteiligung bedürfen.«
Um ihm einen Moment zur Vorbereitung zu geben, schaute der Kopf des britischen Auslandsgeheimdienstes in seine Augen. Hawke wusste genau, welche Worte C gleich über die Lippen bringen würde.
»Es gibt Arbeit für Sie.«
»Aha.« Hawke bemühte sich, nicht preiszugeben, dass sein Herz wie immer höherschlug, wenn sein Vorgesetzter diesen magischen Satz äußerte.
»Sind Sie vollständig genesen? Haben Sie das Dschungelfieber auskuriert? Keine Rückfälle?« Truloves strenger Blick ruhte auf ihm. Hawke war kürzlich am Amazonas beinahe an einer Kombination mehrerer Tropenkrankheiten gestorben, unter anderem Malaria. In Cs engem Mitarbeiterkreis bei der altehrwürdigen Behörde befürchtete mancher, dass der Agent nie wieder richtig auf die Beine käme.
»Absolut, Sir. Ich fühle mich besser als je zuvor, wenn ich das so sagen darf.«
»Gut. Ich habe einen Freund hier in Bermuda gebeten, Ihnen morgen früh einen Termin zu geben – im St. Brendan's Hospital. Er heißt Nigel Prestwick und ist Internist, ein ziemlich guter sogar. Bevor er hierher übersiedelte, war er mein Hausarzt in London.«
»Ich lasse mich gern von ihm untersuchen«, behauptete Hawke, ohne sich seine Verärgerung anmerken zu lassen. Ein Arzt, der seinen Körper besser kannte als er selbst, musste sich erst noch finden, aber C wollte offensichtlich kein Risiko eingehen. Dass man sich dermaßen um ihn sorgte, verhieß einen spannenden Auftrag.
»Das bezweifle ich sehr stark. Ihre Meinung über Leibärzte ist kein Geheimnis. Dennoch sollen Sie um Punkt neun bei ihm sein. Sie dürfen von Mitternacht an nichts mehr essen oder trinken. Nach der Untersuchung möchte ich mich mit Ihnen am alten Naval Dockyard treffen. Wenn Sie das Krankenhaus verlassen, steht ein Wagen mit Fahrer für Sie bereit. Ich suche Immobilien auf den Inseln und würde diesbezüglich gerne Ihre Einschätzung hören.«
»Immobilien, Sir?«
»Ja. Reden wir aber nun nicht weiter um den heißen Brei herum, wenn ich bitten darf.« Damit neigte sich C nach vorn und stützte die Hände auf seine Knie.
»Meinetwegen.«
»Es geht um die Russen.«
»Der gute alte Eiserne Vorhang hat sich wieder zugezogen, was?«
»Noch nicht. Bis jetzt herrscht unsicherer Friede, der aber nicht andauern wird. Der Umgangston ist deutlich schärfer geworden.«
»Aufgrund einer neuen Wende?«
»Wissen Sie noch, wie es war, als Mütterchen Russland als Erzfeind von Demokratie und Freiheit galt?«
»Das weiß ich noch, ja.«
»Es ist wieder auf dem besten Weg dorthin – im Stechschritt.«
»Hätte ich nicht gedacht.«
»Herrgott, haben Sie in letzter Zeit keine Zeitung aufgeschlagen, Alex, oder Nachrichten geschaut?«
»Ich besitze keinen Fernseher, und im Augenblick beschränkt sich mein Lesestoff auf die Geschichte zweier Typen: Huck Finn und Jim, ein schwarzer Sklave. Allerdings habe ich gehört, erschreckend viele Kritiker von Präsident Wladimir Rostow – Journalisten – würden umgelegt. Das ist aber alles, schätze ich.«
Sir David erhob sich, verschränkte die Hände hinterm Rücken und begann, am Kamin hin und her zu gehen wie auf dem Hüttendeck eines Schiffs, während fern am Horizont gegnerische Masten auftauchten.
»Diese politischen Morde in den letzten Wochen sind nur die Spitze des Eisbergs. Wir haben unseren guten Draht zu den Russen mittlerweile verloren. Im vergangenen Sommer unterzeichnete ihre Regierung einen milliardenschweren Rüstungsvertrag mit Hugo Chavez, dem charmanten Venezolaner, mit dem Sie neulich aneinandergerieten. Er ließ sich nicht lange bitten und unterbreitete öffentlich, sein Land werde neue Waffen einsetzen, um einen unserer Flugzeugträger zu versenken – die HMS Invincible, die momentan in der Karibik liegt. Vor acht Tagen lieferte Russland dem Iran technisch hochentwickelte Luftabwehrraketen vom Typ SA-15. Wir wissen auch warum: um die Atomstandorte des Iran zu verteidigen, eine klare Bedrohung der gegenwärtigen Machtverhältnisse.«
»Das Neue Russland verhält sich mehr oder weniger genauso wie das Alte.«
»Als sei das nicht schon genug, geben die Sowj– … Verzeihung, die Russen, Milliarden für den Bau eines Reaktors für das Kraftwerk Buschehr aus. Daraufhin wird das Land genug waffenfähiges Plutonium für mindestens 60 Bomben produzieren.«
»Und es gehört nicht zu unseren Freunden.«
»Was wissen Sie über die Graue Eminenz und die Zwölf.«
»Wen? Welche Graue Eminenz?«
»So heißt Rostow Kreml-intern. Sagt einiges über sein Ansehen aus.«
»Ich weiß nicht sonderlich viel, Sir. Er arbeitete früher für den KGB. Schweigsamer Typ, kalt wie Stein, charakterlich völlig unberechenbar.«
»Falsch. Er ist ein leidenschaftlicher, emotionaler Mensch, der seine wahren Gefühle ausgezeichnet verbergen kann.«
»Wäre gut beim Pokern.«
»Zufälligerweise liebt er das Spiel.«
»Hoffentlich verlangen Sie jetzt nicht von mir, dass ich ihn zu ein paar Partien Five Card Stud überrede. Ich hab's nicht unbedingt mit Kartenspielen, Sir.«
C lächelte kurz.
»Wladimir Rostow ist weder Demokrat noch ein Zar wie Alexander II, kein schizophrener Paranoiker vom Schlage des pockennarbigen Zwerges Stalin und auch nicht religiös nationalistisch wie Dostojewski. Er hat jedoch etwa von ihnen allen, Alex, und genau dies fordern die Russen aktuell von einer Führungskraft. Man sieht ihn als nasche an, obwohl er für gewöhnlich Cola light trinkt, keinen Wodka.«
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