»Also keine weiteren Überlebenden?«
»Njet. Nur wir zwei.«
»Wie hieß Ihr Schiff?«
»Lady Marmalade.«
»Wie buchstabieren?« Er schrieb sich den ganzen Unsinn tatsächlich auf. Der Typ blickte echt gar nichts.
»L-A-D-Y M-A-R-M-A-L-A-D-E.«
»Wie lang?«
»Ungefähr 100 Fuß – oder 200. Schwer zu sagen. Ich bin kein Schiffsexperte, und Orlando ist nicht gerade die Hochburg der Jacht-Szene, wissen Sie? Liegt ja mitten in Florida, und da gibt's nur ein paar stinkende Seen in den Orangenwäldern.«
»Was ist mit Jacht passiert? Feuer? Explosion?«
»Ich kapier's immer noch nicht. Wenn mich nicht alles täuscht, hat uns 'ne fette Welle zum Kentern gebracht. Das Schiff ist umgekippt und nicht mehr hochgekommen.«
»Sie viel Glück, heil davonzukommen.«
»Finden Sie? Schließlich mussten Sie nicht in dem elenden Zeltboot hocken, Captain.«
»Also gut, Sie sollten jetzt ein wenig schlafen, Mr. Beef. Ich melde meiner Firma über Funk, dass wir Sie in Sicherheit bringen.«
»Ist nicht nötig«, stellte Paddy klar, indem er den kurzen Revolver unter seiner Decke herauszog. »Wir wollen noch nicht in Sicherheit gebracht werden.«
»Was … was wollen Sie dann?«, fragte der Kapitän mit weit aufgerissenen Augen.
Auf Paddys Nicken hin stand Leo Kapitsa von seinem Stuhl auf, ging zur Tür der Kajüte und verriegelte sie. Dann stellte er sich hinter den Stuhl des Japaners. Er legte beide Hände so an seinen Kopf, dass sie die Schläfen bedeckten. Langsam übte er Druck darauf aus, zuerst wenig und zusehends ein wenig mehr, bis der Schmerz schlimm wurde, praktisch unerträglich.
Paddy griff die Frage auf: »Was wir wollen? Unsere Arbeit erledigen und dann nach Hause zurückkehren, das wollen wir. Zuerst hängen wir uns aber an die Strippe und lassen ein Rettungsboot fahrbereit machen.«
»Ein Rettungsboot?«
»Die Sache gestaltet sich folgendermaßen, Skipper: Dein Boss Tommy Kurasawa hat sich auf den Kurilen mit den falschen Russen angelegt. Würdest du kurz für mich aufstehen? Hilf ihm dabei, Leo. Sachte, sachte.«
Kapitsa riss den Kapitän unwirsch am Kopf von seinem Stuhl hoch. Der Mann machte ein Gesicht wie eine Hochschwangere, deren Wehen eingesetzten.
»Wir haben dir was Kleines mitgebracht«, fuhr Paddy fort. »Schau her.«
Er hatte seinen Seesack bereits aufgezogen und eine große Metallscheibe herausgenommen, die ungefähr vier Zoll dick und im Durchmesser zwölf Zoll breit war, mattgrau und mit einer Digitalanzeige versehen, die rot blinkte. Er stand auf, ging hinüber und legte die Scheibe auf die Sitzfläche des Schreibtischstuhls.
Das Ding war schwerer, als es aussah. Es wog bestimmt 25 Pfund, wovon die explosive, himmelblaue Knetmasse fünf vereinnahmte.
»Setz ihn wieder hin«, verlangte Paddy, woraufhin Leo den Kopf des Skippers losließ, sodass er auf die Scheibe sackte. Paddy hielt ihm die Pistole vor die Nase und sprach leise weiter: »Greif dir jetzt das Telefon zur Brücke und ordne an, ein Rettungsboot startklar zu machen, Captain. Wir hauen jetzt ab.«
»Sie verlassen das Schiff auf einem Rettungsboot?«
»So ist es«, bestätigte Paddy, während er dem Japaner zwischen die Beine langte, um eine Zahlenkombination an der Scheibe einzutippen, die den Zündmechanismus aktivierte. »Zur Erläuterung: Der Teller, auf dem du sitzt, ist jetzt, nachdem ich ihn scharfgemacht habe, extrem druckempfindlich. Aus dem Grund liegt Mr. Lenins Hand auf deinem Kopf. Solltest du deinen Arsch von der Druckplatte hochheben, knallt's. In dem Ding steckt genug Sprengstoff, um dieses Schiff in Stücke zu reißen, also bist du gut beraten, äußerst vorsichtig zu sein, okay?«
»Bombe?«
»Bombe. Sie ist so eingestellt, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft in die Luft fliegt. Das passiert aber umso schneller, wenn du deinen Allerwertesten bewegst. Verstanden? Gut. Jetzt nimm den Hörer. Ruf auf der Brücke an und organisiere uns das Rettungsboot. Mr. Lenin-san hier ist ein erfahrener Seefahrer, also braucht ihr euch keine Sorgen darüber zu machen, dass wir vielleicht nicht sicher von hier wegkommen ja?«
»Ich darf nicht aufstehen?«, fragte Noboru. »Stuhl nicht verlassen?«
»Davon würde ich abraten, ja. Tu's auf keinen Fall.«
»Was wird aus mir?«
»Falls du brav bleibst und dich nicht rührst, bis wir weit genug von eurem Schiff weg sind, schalte ich die Bombe mit dieser Fernbedienung hier ab. Dann darfst du aufstehen. Falls du nicht artig bist … tja, dann kann ich dir keine körperliche Unversehrtheit garantieren.«
Die Gesichtsfarbe des Kapitäns, der von Natur aus einen gelben bis grauen Teint hatte, tendierte nun deutlich zu letzterem.
»Nimm das Telefon und verständige die Brücke«, drängte Paddy erneut. »Versuch bloß keine Dummheiten dabei. Ich spreche fließend Japanisch.« Er gab dem Skipper eine schnelle Kostprobe, indem er ihn in seiner Muttersprache fragte, in welchem Schrank er den guten Sake eingeschlossen hatte.
Während Paddys Unterhaltung mit Noboru hatte Leo ein russisches MG aus seiner Tasche gezogen. Es war das Modell Bison-2, eine neue Entwicklung von Michail Kalaschnikows Sohn Viktor. Sie beruhte auf einem geradlinigen Konstruktionsprinzip mit Klappschaft, dem Pistolengriff des AK-74M und einem konischen Mündungsfeuerdämpfer am Lauf, dessen Seiten tropfenförmige Aussparungen besaßen. Das Magazin bestand aus Aluminium und fasste 64 Patronen.
Leo stemmte eine Waffe hoch. Sie war kompakt und leichtgewichtig, nur 26 Zoll lang. Er suchte den Wahlschalter und stellte ihn auf »Gruppentherapie«, wie er es nannte. Vollautomatik. Obgleich er nicht damit rechnete, dass die japanischen Fischer an Deck erheblichen Widerstand leisten würden, konnte man nie wissen. Nachdem er das Gewehr auf den Schreibtisch des Kapitäns gelegt hatte, nahm er ein tragbares Satellitentelefon aus seiner Tasche und gab es Paddy.
Als der Typ an Bord der russischen Großjacht Belarus den Anruf annahm, erklärte er ihm, sie seien hier mehr oder weniger fertig und bereit, den Kutter Kishan Maru zu verlassen. Sie würden innerhalb der nächsten fünf Minuten in das Rettungsboot steigen. Er wollte sich wieder melden, sobald sie auf See waren, doch Kapitsa, so Paddy, teile mit, dass sich die GPS-Koordinaten des im Vorfeld festgelegten Abholortes binnen einer Stunde erreichen ließen.
»Arschbacken zusammenkneifen, Captain«, sagte Paddy zu Noboru, während er vor dem größeren Russen zur Tür ging.
»Ich muss«, entgegnete der Kapitän mit erstickter Stimme. Er hielt sich so krampfhaft an den Armlehnen des Stuhls fest, dass sich die Haut über seinen Fingerknochen weiß verfärbte.
»Du musst?«, wiederholte Paddy. »Gar nichts musst du.«
»Er meint aufs Klo«, bemerkte Leo und betrat den Niedergang vor der Kajüte mit dem MG im Anschlag. »Muss sich erleichtern.«
»Schlechte Idee, Kumpel. Wirklich, eine sehr schlechte Idee. Ein Grund mehr, die Bäckchen zusammenzukneifen. Denk an was anderes.«
Paddy warf einen letzten Blick auf den Asiaten auf der druckempfindlichen Tellerbombe, bevor er hinausging und die Tür hinter sich zuzog.
Nettes Detail, dachte er bei sich, der Einfall mit der Druckplatte. Er nahm sich vor, der Organisationsleitung diesbezüglich lobende Worte zukommen zu lassen.
Bermuda
Als Hawke die Bibliothek betrat, an deren Wänden sich ein Bücherregal ans nächste reihte, saß C still am Kamin. Der Raum war achteckig und so hoch, dass sich die Sammlung ringsherum über zwei Stockwerke erstreckte. Sir David Trulove hatte einen kleinen Gedichtband aufgeschlagen auf seinem Schoß liegen und seine goldgeränderte Brille abgenommen. Er drückte seinen Nasenrücken gedankenversunken mit Daumen und Zeigefinger zusammen.
Der ehemalige Admiral, ein großer Held des Falklandkrieges, wirkte an diesem Abend bedrückt. Das war untypisch für ihn und machte Hawke stutzig.
Читать дальше