Ich habe schlechte und dumme Menschen gesehen, und ich glaube, daß sie beide am Ende bezahlen müssen. Aber die Dummen vor allen.
Kapitel XV
Der Bursche mit dem Silberknopf: Auf der Insel Mull
Inhaltsverzeichnis
Der Boden von Mull, den ich nun betreten hatte, war ebenso holperig und unwegsam wie der meiner Insel, die ich eben verlassen hatte, voll Sumpf und Gestrüpp und großen Steinen. Für jene, die das Land genau kannten, mag es dort vielleicht Wege gegeben haben, aber ich für mein Teil hatte keinen besseren Führer als meine eigene Nase, und keinen anderen Wegweiser als den Ben More.
Ich ging so gut ich konnte, auf den Rauch zu, den ich so oft von meiner Insel aus gesehen hatte und kam trotz aller Müdigkeit und Schwierigkeit des Weges gegen fünf oder sechs Uhr abends zu einem Haus am Grunde eines kleinen Tales. Es war niedrig und länglich, das Dach mit Moos bedeckt und die Mauern aus roh aufgeschichteten Steinen ohne Mörtel. Vor der Tür saß ein alter Herr in der Sonne und rauchte seine Pfeife.
So wenig Englisch er auch konnte, es genügte, um mir begreiflich zu machen, daß meine Schiffsgenossen heil ans Land gekommen wären und in diesem selben Hause einen Tag später mit ihm das Brot gebrochen hätten.
»War einer unter ihnen,« fragte ich, »der wie ein Herr gekleidet war?«
Er sagte, daß sie alle große, grobe Mäntel anhatten, aber der erste von ihnen, der eine, der allein gekommen war, trug allerdings Breeches und Strümpfe, während die anderen lange Matrosenhosen anhatten.
»Ah,« sagte ich, »und der hatte wahrscheinlich auch Federn auf dem Hut?«
Er sagte mir, nein, er wäre barhäuptig gewesen wie ich.
Zuerst dachte ich, Alan habe vielleicht seinen Hut verloren, aber dann kam mir der Regen in den Sinn, und ich hielt es für wahrscheinlicher, daß er ihn, wohl um ihn zu schonen, unter seinen großen Mantel genommen hätte.
Da mußte ich lächeln, erstens weil mein Freund gerettet war und zweitens über seine Eitelkeit in bezug auf Kleidung.
Dann schlug sich der alte Herr mit der Hand an die Stirn und rief, ich müsse wohl der Bursche mit dem Silberknopf sein.
»Ja, freilich,« sagte ich einigermaßen verwundert.
»Nun,« sagte der alte Herr, »dann habe ich eine Nachricht für euch: nämlich, daß Ihr eurem Freund in das Land Torosay folgen sollt.«
Dann erkundigte er sich, wie es mir ergangen sei, und ich erzählte ihm meine Geschichte. Ein Südländer hätte sicherlich gelacht. Aber dieser alte Herr (ich nenne ihn so wegen seines Benehmens, denn was seine Kleider anbelangte, so hingen sie ihm tatsächlich in Fetzen von den Schultern) hörte mich bis zum Schluß mit Ernst und Würde an. Als ich fertig war, nahm er mich an der Hand, führte mich in seine Hütte (es war nichts anderes) und stellte mich seiner Frau vor, als wäre sie die Königin und ich ein Herzog.
Die gute Frau setzte mir Haferbrot vor und kaltes Birkhuhn, klopfte mir freundlich auf die Schulter und lächelte mir immerfort zu, denn sie konnte nicht englisch. Und der alte Herr wollte nicht zurückstehen und braute mir einen starken Punsch. Ich konnte all die Zeit über, während des Essens und auch nachher, als ich den Punsch trank, kaum an mein Glück glauben. Und das Haus, obwohl es voll Rauch war von der Braunkohle und voll Löcher, wie ein Sieb, schien mir ein Palast.
Der Punsch brachte mich stark in Schweiß und machte mich sehr schläfrig. Die guten Leute ließen mich niederlegen und es war beinahe Mittag, als ich mich am nächsten Tag wieder auf den Weg machte. Mein Hals war bereits viel besser, und ich war frischen Mutes ob der guten Nachrichten und meines Wohlbefindens. Der alte Herr wollte trotz allem Drängen kein Geld nehmen und schenkte mir noch eine Mütze, die ich – ich muß es gestehen – sobald ich nur außer Sehweite war, eifrigst in einem Bache wusch.
Ich sagte mir: »Wenn das die wilden Hochländer sind, so könnte ich nur wünschen, daß meine Landsleute wilder wären.«
Ich begegnete vielen Leuten, die entweder in elenden, kleinen Feldern arbeiteten, von denen keine Katze hätte leben können oder kleine Kühe, ungefähr von der Größe eines Esels, hüteten. Sie schienen in großer Armut zu leben und die Straßen waren von Bettlern belagert. Nur wenige Leute verstanden Englisch und diese wenigen (außer wenn es Bettler waren) fand ich nicht allzu bereit, mir ihre Kenntnisse zur Verfügung zu stellen. Ich wußte, daß Torosay mein Ziel war und wiederholte ihnen diesen Namen und deutete fragend dazu. Aber anstatt zur Antwort wieder zu deuten, riefen sie mir einige Worte in gälischer Sprache zu, die mich verrückt machten. So war es kein Wunder, daß ich ebenso oft fehl ging als richtig.
Endlich kam ich gegen acht oder neun Uhr abends, schon sehr müde, zu einem einsamen Haus, wo ich Einlaß erbat und abgewiesen wurde, bis ich mich der Macht des Geldes in einem so armen Lande entsann und eines meiner Guineestücke zwischen Zeigefinger und Daumen in die Höhe hielt. Daraufhin fing der Herr des Hauses, der bisher kein Englisch zu verstehen vorgab, und mich durch Zeichen von der Tür gewiesen hatte – plötzlich an, sich ganz gut zu verständigen, willigte ein, mir für fünf Schillinge ein Nachtquartier zu geben und mich nächsten Morgen nach Torosay zu führen.
Ich schlief die Nacht nicht gut, denn ich fürchtete, ausgeraubt zu werden. Aber ich hätte mir die Sorge ersparen können, denn mein Wirt war kein Räuber, nur jämmerlich arm und ein großer Betrüger. Er war nicht allein in all seiner Armut. Denn des anderen Tages mußten wir fünf Meilen weit zu dem Hause eines – wie er sagte – reichen Mannes gehen, um eines meiner Guineestücke zu wechseln. Das war vielleicht für Mull ein reicher Mann, im Süden wäre er kaum dafür angesehen worden. Denn es nahm seinen ganzen Besitz in Anspruch, das ganze Haus mußte umgedreht werden, auch ein Nachbar mußte noch beisteuern, ehe er zwanzig Schillinge in Silber zusammenkratzen konnte. Einen Schilling behielt er für sich, unter dem Vorwande, daß er nicht in der Lage wäre, eine so große Summe Geldes zu »versperren« und liegen zu lassen. Immerhin war er sehr höflich und manierlich, lud uns beide ein, mit seiner Familie zu speisen und braute in einem schönen Chinasilberkessel einen Punsch, was meinen Schelm von einem Führer in so gute Laune versetzte, daß er sich weigerte aufzubrechen.
Ich wollte eben zornig werden, und wandte mich an den reichen Mann (Hector Maclean war sein Name) um Hilfe, der Zeuge unserer Abmachung und meiner Bezahlung der fünf Schillinge gewesen war, daß er mich unterstütze.
Aber Maclean hatte auch sein Teil gehabt am Punsch und beteuerte, daß keiner seinen Tisch verlassen dürfe, nachdem die Bowle gebraut war. Da war denn nichts zu machen, als sitzen bleiben und Jacobiten-Toaste und gälische Lieder anzuhören, bis alle benebelt waren und zu ihren Betten oder in die Scheune wankten, um auszuschlafen.
Am nächsten Tag, dem vierten meiner Reise, waren wir vor fünf Uhr auf. Aber dieser Lump, mein Führer, machte sich sofort über die Flasche her, und ich brauchte drei Stunden, ehe ich ihn aus dem Hause brachte und auch dann nur (wie Ihr gleich hören sollt) zu meiner noch größeren Enttäuschung.
Solange wir einen Heideabhang vor Herrn Macleans Haus hinuntergingen, war alles ganz schön. Nur schaute mein Führer immerfort über seine Schultern zurück und grinste nur, wenn ich ihn nach der Ursache fragte. Kaum hatten wir jedoch einen Hügel hinter uns und konnten von den Fenstern des Hauses nicht mehr gesehen werden, da sagte er mir, Torosay liege geradeaus und zeigte mir einen Hügel, nach dem ich mich am besten orientieren könnte.
»Das ist mir ziemlich gleichgültig,« sagte ich, »da Ihr ja mit mir geht.«
Der unverschämte Lump antwortete mir in gälischer Sprache, daß er nicht englisch verstünde.
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