Christian Maiwald
Bewegungswissenschaft in 60 Minuten
UVK Verlag · München
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„Bewegungswissenschaft in 60 Minuten“ führt kompakt und verständlich in die Problemstellungen und Methoden dieser Teildisziplin der Sportwissenschaft ein.
Alle Titel „in 60 Minuten“: Sportpädagogik, Sportgeschichte, Sportsoziologie, Sportökonomik, Sportmedizin, Sportpsychologie, Bewegungswissenschaft und Trainingswissenschaft.
Prof. Dr. Christian Maiwaldleitet den Arbeitsbereich Forschungsmethoden und Analyseverfahren in der Biomechanik am Institut für Angewandte Bewegungswissenschaften der TU Chemnitz. Seine Forschung befasst sich vorwiegend mit methodologischen Aspekten der Analyse biomechanischer Daten. christian.maiwald@hsw.tu-chemnitz.de
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ISBN 978-3-7398-3079-7 (ePDF)
ISBN 978-3-7398-8079-2 (ePub)
Bewegungswissenschaft in 60 Minuten
Da die körperliche Bewegung des Menschen als konstituierendes Merkmal des Sports aufgefasst wird, stellt die Bewegungswissenschaft des Sports eine der zentralen und genuinen Teildisziplinen der Sportwissenschaft dar (Mechling & Munzert, 2003, S.20; Olivier, Rockmann & Krause, 2013, S.19–21; Roth & Willimczik, 1999, S.11; Göhner, 1992, S.9–10). Die Bewegungswissenschaft vereint unterschiedliche wissenschaftliche Perspektiven, Grundpositionen und Zugangsweisen zum Gegenstand der menschlichen und sportbezogenen Bewegung. Diese thematische Vielfalt und inhaltliche Breite der Bewegungswissenschaft des Sports zeigen beispielhafte, exemplarische Fragestellungen, z. B.: Wie lässt sich die Bewegungsausführung eines Turmspringers oder Turners beschreiben und analysieren? Welche Teilbewegungen sind für das Erlernen des Kippaufschwungs am Reck notwendige Voraussetzung? Haben professionelle Radsportler einen runderen Tritt als Amateure? Welche Methoden sind geeignet, derartige Bewegungen und die dabei auftretenden Belastungen und Beanspruchungen des menschlichen Körpers zu analysieren? Wie verändert sich die Belastung des Bewegungsapparats durch eine Modifikation der ausgeführten Bewegung? Führen bestimmte Bewegungsausführungen kurz- oder langfristig zu einem erhöhten Verletzungsrisiko? Welche Rolle spielen dabei die Wahrnehmung und die koordinativen und sensorischen Fähigkeiten des Athleten? Wie läuft die Regulation sportlicher Bewegungen überhaupt ab, wie kann eine Bewegungsausführung beeinflusst werden?
Der vorliegende Beitrag bezeichnet die verschiedenen Perspektiven, Grundpositionen und Zugangsweisen als unterschiedliche Ansätze der Bewegungswissenschaft . Insofern ist die Bewegungswissenschaft ein heterogenes und vielseitiges Gebilde, ein „Sammelbecken für alle wissenschaftlichen Aussagen über den Problemkomplex der sportlichen Bewegung und des Bewegens im Sport“ (Roth & Willimczik, 1999, S.11). Deshalb existieren zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, die Bewegungswissenschaft, Bewegungslehre, Sportmotorik oder Verwandtes zum Thema haben und umfassende Darstellungen des Forschungsgebiets auf Basis unterschiedlicher Ansätze, Grundpositionen und Paradigmen vornehmen. Wie unterschiedlich die wissenschaftlichen Zugangsweisen zu diesem Problemkomplex ausfallen können, welche Fragestellungen im jeweiligen Kontext relevant werden und mit welchen Methoden diese Fragestellungen analysiert werden, ist in diesem Kapitel in kompakter Form dargestellt.
Lernziele
Die Leser erfahren, mit welchen Phänomenen sich die Bewegungswissenschaft beschäftigt und welche Themen aus ihrer Sicht relevant sind.
Sie erkennen, wie die Bewegungswissenschaft entstanden ist, wie sie sich bis zum heutigen Stand entwickelt hat und welche Verbindungen zu ihren Mutterwissenschaften bestehen.
Sie lernen wissenschaftliche Zielsetzungen und Aufgaben der Bewegungswissenschaft kennen und reflektieren, mit welchen Theorien sich die Bewegungswissenschaft den für sie relevanten Phänomenen und Themen nähert, welchen Problem-/Fragestellungen sie sich widmet und welche Methoden dabei typischerweise zum Einsatz kommen.
Sie erfahren, in welchem Verhältnis die Bewegungswissenschaft zur Sportpraxis steht, insbesondere welche Bedeutung die Sportpraxis ihren Forschungsergebnissen beimisst.
1 Einführung – Charakterisierung der Bewegungswissenschaft
Die Bewegungswissenschaft ist eine, gemessen an traditionellen, etablierten Wissenschaften wie etwa der Physik, noch relativ junge Wissenschaftsdisziplin. Als integrative Disziplin vereint sie Erkenntnisse und Methoden aus anderen Disziplinen und ist für ihre Arbeit auch auf diese angewiesen. Die Beschreibung der Bewegungswissenschaft geschieht üblicherweise durch die Definition ihres Gegenstandsbereichs, ihrer Forschungsfragen, ihrer theoretischen Grundpositionen und ihrer Methoden. Als integrative Wissenschaftsdisziplin besteht für die Bewegungswissenschaft sowohl auf der Ebene der Theorien als auch der Methoden eine große Schnittfläche zu anderen Wissenschaftsdisziplinen, insbesondere zur Physik, zur Biologie, zur Psychologie und zur Medizin.
Die Charakterisierung der Bewegungswissenschaft ist insofern mit der Entwicklung der gesamten Sportwissenschaft in Deutschland verbunden, als dass es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, ob die Bewegungswissenschaft als eine Teildisziplin der Sportwissenschaft aufgefasst werden sollte, oder ob Teilbereiche der Sportwissenschaft nicht eher einer übergeordneten Bewegungswissenschaft zugeordnet werden sollten (Zschorlich, 2000). Die Bewegungswissenschaft wird insofern als Teilgebiet der Sportwissenschaft aufgefasst, als die menschliche Bewegung mit all ihren Facetten einen Kernbereich des Sports darstellt (Roth & Willimczik, 1999, S.11). Innerhalb der deutschen Sportwissenschaft ist die Bewegungswissenschaft historisch eng verbunden mit der (pädagogisch inspirierten) Bewegungslehre des Sports . Der Begriff Bewegungswissenschaft verweist heute – vor allem im internationalen Kontext – allerdings weniger auf eine aus sportpädagogischer Tradition heraus entwickelte Wissenschaftsdisziplin, sondern impliziert einen naturwissenschaftlichen Zugang zur Analyse menschlicher Bewegung, insbesondere auch in Kontexten abseits des Sports wie beispielsweise in der (Patho-)Physiologie oder der Ergonomie (Mechling & Munzert, 2003, S.13–14).
Im angelsächsischen Sprachraum wird Bewegungswissenschaft oftmals mit den Begriffen human kinetics , kinesiology , motor control and learning, (sport) biomechanics oder etwas allgemeiner als human movement science bezeichnet. Diese Begriffsvielfalt deutet bereits an, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, welche theoretischen Perspektiven und Methoden innerhalb einer im deutschen Sprachraum als Bewegungswissenschaft bezeichneten Wissenschaftsdisziplin zur Anwendung kommen, und wie sie im Kanon anderer (sport-)wissenschaftlicher Disziplinen verortet wird. Diese Vielfalt an theoretischen Zugängen zur Analyse menschlicher Bewegung wird im Abschnitt 3 näher thematisiert.
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