Die Dunstein Chroniken
Teil 5:
Splitter einer vergangenen Zukunft
(von Eckhard Bausch)
Deutsche Erstausgabe
2020
© Mystic Verlag
Text: Eckhard Bausch
Umschlagskonzept: Hans-Martin Knerr
Umschlaggestaltung:
Hans-Martin Knerr
Claudia Gornik
unter Verwendung von Fotos
Shutterstock / iStock
Satz: Helga Sadowski
Korrektur: Annika Bausch
ISBN: 978-3-947721-21-4
Interessierte Leser und Autoren finden weitere Informationen auf unserer Website
www.mysticverlag.de
sowie auf der Website des Autors
www.eckhard-bausch.de
Für Christine,
Annika und Leonard
Hinweis des Autors
Dieses Buch ist die Fortsetzung der in den Episoden 1 bis 4 der Dunstein Chroniken („Die Spur der weißen Kreise“, „Das versteinerte Grauen“, „Die Artefakte der Macht“ und „Die Toten von Rabenstein“) begonnenen Geschichte eines kleinen, fiktiven Kontinents während einer schicksalhaften Epoche. Um jederzeit einen schnellen Überblick und den Zugriff auf Namen und Zusammenhänge zu ermöglichen, gibt es im Anhang eine Karte des Kontinents und eine als „Orientierungshilfe“ bezeichnete Kurzbeschreibung der wichtigsten Handlungsorte und Personengruppen mit den ihr jeweils zugehörigen Protagonisten.
Ich wünsche den Lesern viel Spaß und Spannung!
Prolog
Kapitel 1 – Die Verfolgten
Kapitel 2 – Die Suche nach der Wahrheit
Kapitel 3 – Der Beginn einer Katastrophe
Kapitel 4 – Die gefrorene Flamme
Kapitel 5 – Auftakt zu einer Jagd
Kapitel 6 – Der andere Weg
Kapitel 7 – Der Traum der Ovaria
Kapitel 8 – Der Fremde
Der weißhäutige Mann betrachtete liebevoll die vier Säuglinge, die friedlich in ihren Wiegen lagen. Dabei wusste er, dass sie sein Verhängnis sein würden.
„Sie haben die gleichen Fenster zur Seele wie du“, sagte die Prinzessin, deren eigene Augen fast schwarz wirkten, gerade so als würden sie das Licht nicht nur einlassen, sondern vollständig verschlucken. Die Augen der Kinder hatten hingegen eine auffallend gelbe Färbung wie die des weißhäutigen Mannes, dessen Haare gleich flüssigem Gold auf seine Schultern herabwallten.
„Ich werde dich verlassen müssen“, kündigte er traurig an.
„Warum tust du uns das an, Dorothon?“, stöhnte die Prinzessin verzweifelt.
„Du kannst mir nicht sagen, wo der Stein ist, alsomuss ich ihn selbst suchen. Er könnte unsere letzte Retung sein“, erwiderte der Mann. Dabei sah er sie forschend an, obwohl er wusste, dass sie den Aufbewahrungsort nicht kannte.
Sie hatte ihm verraten, dass ihr eigener Vater, der König, den Stein bereits vor Wochen aus Charak Dun gestohlen hatte und zu den Sterzen des Nordens geflüchtet war. Nun rückte eine riesige Armee aus dem Norden gegen Tirk Modon vor, die Hauptstadt der Dun nahe der heiligen Stätte Derfat Timbris. Charak Dun war bereits gefallen. Die Prinzessin zweifelte nicht daran, dass auch Tirk Modon fallen würde, falls sich ihr Vater tatsächlich mit dem Feind verbündet hatte. Der König kannte jeden Zugang zu den Verteidigungsanlagen der Dun.
„Fliehe mit den Kindern in den Süden, in das Land Sindra“, verlangte der Mann. „Wenn dein Vater den Stein des Grauens berührt hat, sind die Dun dem Untergang geweiht.“
*
Dorothon stand vor seinen Richtern. Das Eherne Gesetz kannte keine Gnade. Er hatte gleich zweimal versagt. Selbst wenn er gewollt hätte, wäre es ihm nicht möglich gewesen, die Ketten an seinen Hand- und Fußgelenken zu zerreißen. Sie bestanden aus Torr-barakt, der gefrorenen Flamme. Dass er von zwei Replicas flankiert wurde, entsprach dem uralten Ritual des Tribunals. Larradana und Udontroth waren für Dorothon wie Geschwister und Freunde zugleich, aber auch sie hatten keinerlei Einfluss auf das Verfahren und auf das Urteil.
„Die Zeugung von Kindern mit Fremden ist ein Eingriff in die Äußere Welt, der noch schwerer wiegt als die Tötung eines Menschen“, warf Tholulh, der Bewahrer des Ehernen Gesetzes, ihm vor.
„Die Schöpfer haben uns beauftragt, den Stein der Vernichtung zu finden“, verteidigte sich Dorothon und sah mit festem Blick empor zu den drei Mitgliedern des Tribunals. Die einzige Frau unter den Dreien beugte sich vor, stützte ihre Ellbogen auf die blitzblank polierte Metallplatte und fragte tadelnd: „Hast du ihn gefunden?“
Bevor Dorothon antworten konnte, hob Tholulh die Hand und sagte verärgert zu der Frau: „Bitte, Siridindar, verspotte unseren Bruder nicht. Wir alle wissen, dass er ihn nicht gefunden hat. Und auch wenn er ihn gefunden hätte, würde das nichts ändern.“ Dann wandte er sich wieder an Dorothon: „Selbstverständlich gebührt dem Ehernen Gesetz kein höherer Rang als den Befehlen der Schöpfer. Aber dennoch ist es bei der Ausführung dieser Befehle stets uneingeschränkt zu beachten, weil die Befehle der Schöpfer niemals in Widerspruch zum Gesetz stehen.“
„Ich bin schuldig“, räumte Dorothon zerknirscht ein.
Tholulh warf jedem seiner Beisitzer einen kurzen Blick zu: „Siridindar? Rooll?“ Beide nickten stumm mit zusammengekniffenen Lippen.
„Das Urteil kann nur auf Verbannung lauten“, stellte Tholulh fest. „Aber in diesem Falle kann die Verbannung nur von diesem Tribunal aufgehoben werden, falls unabweisbare Belange der Schöpfer oder aller Menschen dies gebieten.
Kapitel 1 – Die Verfolgten
Maßloses Erstaunen spiegelte sich in den Zügen des geheimnisumwitterten Mannes, als er die vermeintliche Skulptur genauer betrachtete. Nach allem was er schon gesehen hatte, hätte Korvinag nicht gedacht, dass das Leben noch solche Überraschungen für ihn bereithalten könnte. Dem Hochkönig war die Verblüffung seines Gastes nicht verborgen geblieben.
„Selazidang hat sich also nicht geirrt“, murmelte er.
Wortlos schüttelte Korvinag den Kopf. Vor ziemlich genau fünfzig Jahren hatte er mit dem verschollenen Lehrer des Hochkönigs an derselben Stelle gestanden und sich „Die Kämpfenden“ angeschaut, eine täuschend lebensechte Darstellung zweier vorgeschichtlicher Krieger. Sie befanden sich in einem runden, aus grauem Basalt errichteten Pavillon hinter der Gruft von Kostondio in der Hauptstadt Zitaxon. Lange vor der Geburt des ersten Hochkönigs von Sindra waren sie schon hier gewesen. Damals gab es auch noch nicht die Gebäude über der Gruft. Niemand konnte das Alter der Skulptur bestimmen. Es betrug jedenfalls viele tausend Jahre.
„Die Kämpfenden“ galt als das bekannteste Kunstwerk auf dem gesamten Kontinent, obwohl nur wenige Menschen es je gesehen hatten. Der schmale Wandelgang, der zur rückwärtigen Seite der Gruft von Kostondio führte, war den höchsten Würdenträgern Sindras und auserlesenen Gästen vorbehalten.
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