Otto Ulrich
Utopie einer lobbaren Zukunft
Zeitfelder 1921 – 2021 – 2121
ISBN E-Book 978-3-95779-139-9
ISBN gedruckte Version 978-3-95779-135-1
Diesem E-Book liegt die Erste Auflage 2021 der gedruckten Ausgabe zugrunde.
© Info3 Verlagsgesellschaft Brüll & Heisterkamp KG
Frankfurt am Main, 2021
Lektorat Jens Heisterkamp, Frankfurt am Main
Umschlag: Frank Schubert, Frankfurt am Main
(Foto: Shutterstock)
E-Book-Erstellung: CPI books GmbH
Wenn von Zukunft die Rede ist, kommt heute meist nur der technologische Fortschritt zur Sprache. Otto Ulrich nimmt eine andere Perspektive ein: Drei jahrhundertübergreifende „Zeitfelder“ werden in den Blick gerückt auf der Suche nach Ideen und Impulsen, die sich bereits als zukunftsbildend erwiesen haben oder noch erweisen werden.
Aus einer verblüffenden Perspektive – aus dem Jahr 2121 – fällt schließlich der Blick auf unsere Gegenwart zurück. Dabei zeichnen sich Erneuerungsimpulse ab, die den Umriss einer nachhaltigen, humanen und spirituellen Kultur erkennbar werden lassen, samt einem neu begrünten Kontinent, der in der Phantasie des Autors entsteht. Provokante Voraussagen wie die Überwindung der Digitalisierung oder die künftige Breitenwirksamkeit der Anthroposophie fordern zum Mitdenken auf.
Otto Ulrich, 1942, (Dr. rer. pol.), Physikingenieur, hat als Politikberater viele Jahre im Bundeskanzleramt und als Diplomat in Brüssel die Innenseite der politischen Macht kennen gelernt. Er ist Autor von Büchern, Essays – etwa in Die Zeit, Geo, Scheidewege, Universitat, Die Drei, etc. Er ist Entwickler des von der UN zertifizierten Weltklima-Konferenzspieles „Cooling down“.
Einleitung
1. Kapitel 1921: Die Vergangenheit unserer Gegenwart
2. Kapitel 2021: Unsere Zeit
3. Kapitel 2121: Die Zukunft unserer Gegenwart
Literatur und Anmerkungen
Oswald Spenglers „Der Untergang des Abendlandes“ als biologistischer Ansatz
Auf der Suche nach Jahrhundert-Themen
Das vorliegende Buch will einen Dreisatz von und zwischen den Jahren 1921, 2021 und 2121 versuchen. Es will vor- und zurückblicken zugleich, will nachvollziehen wie vor hundert Jahren vorausgeblickt wurde und eine Zukunft beschreiben, aus der heraus sich nach hundert Jahren auf unsere Jetztzeit zurückblicken lässt.
Vor hundert Jahren war es insbesondere Oswald Spengler, der eine Zukunftsvision beschrieb, eine pessimistische zwar, aber eine weit vorausblickende. Deshalb kommen wir um Spengler nicht umhin, auch wenn sein Werk zurecht umstritten ist und der Autor seine Ansichten keineswegs teilt, was noch zu begründen ist.
Heute wird die Zeit zwischen 1450 und 1620 gerne als „Geburtszeit der Moderne“ angesehen, als Zeit, in der ein neues Großkapitel der europäischen Geistesgeschichte aufgeschlagen wurde. Ob später einmal die Zeit zwischen 1921 und 2121 wiederum als Zeit eines Epochenwechsels angesehen werden kann, soll hier geprüft werden. Was wichtig ist, gerade weil Oswald Spengler (1880–1936) in seinem Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes behauptet, dass zwar immer wieder neue Kulturen entstehen und eine Blütezeit erleben, um sich dann aber durch eine Phase des Verfalls zu vollenden und unterzugehen. Das wurde als Zyklentheorie bekannt.
Immer wieder spricht er vom „Erlöschen der Zivilisation“, vom „Ende des Abendlandes“ – und hat dabei das „Ende der Antike“ im Auge: Er begründet, wie er meint, eine „Philosophie der Zukunft“, um dieser aber auch zugleich eine Zukunft abzusprechen, weil diese wohl kaum „aus dem erschöpften Boden des Abendlandes hervorgehen kann.“ 1Es gehe letztlich um ein „Ausharren bis zum Ende“. „Die Zeit lässt sich nicht anhalten, es gibt keine weise Umkehr, keinen klugen Verzicht“, so Spengler. 2
Sein Pessimismus seiner Gegenwart gegenüber bot sich damals demokratiefeindlichen und rechtsextremen Kräften als Ansatzpunkt. Rudolf Steiner dagegen bezeichnet den Untergang des Abendlandes schlicht als ein „furchtbares Buch“. 3Er sieht in Spengler einen Mathematiker am Werk, der – ganz Positivist und Fatalist – „eine „naturwissenschaftliche Theorie des Untergangs“ geschrieben habe. 4„Spengler bezieht sich stets auf Goethe, allerdings geht es ihm nicht um das Leben, das dieser so intensiv studierte, sondern um den Tod“, wie es Karen Swassjan betont. 5
Wer war Oswald Spengler? Als Sohn eines Postsekretärs in der Provinz geboren, galt er als ein einsames und kontaktarmes Kind. Als Jugendlicher interessierte er sich stark für Geschichte und Geografie, besonders befasste er sich mit der Neuordnung Europas und der übrigen Welt. Nach dem Studium von Mathematik und Naturwissenschaft promovierte er über die Heraklitische Philosophie. Er galt als arrogant und egozentrisch, auch wird er als depressiv und menschenverachtend beschrieben, als „ein Mensch ohne Liebe“, wie Ricarda Huch ihn sah.
Mit dem Untergang des Abendlandes legte Spengler – so beschreibt es Peter Selg – eine „verblüffende Philosophie der Geschichte“ vor 6, bestimmt von der Behauptung, am Ende der abendländischen Kultur stehe der zivilisatorische „Gehirnmensch“: „Der reine Gehirnmensch, für den die Welt restlose Beute seiner intellektuellen Fähigkeiten ist, erscheint mit dem 3. und 19. Jahrhundert“ 7– was Folgen hat, eine „mechanische Naturanschauung“, und dazu führt, „Kultur und Zivilisation als erstarrt, als Mechanismus“ zu verstehen. 8
Entlang dieser Aussagen, wonach wir in einer von „Mechanik bestimmten Gesellschaft leben“ und dem prophezeiten „Tod der abendländischen Zivilisation“ entgegengehen, soll in dem vorliegenden Buch versucht werden, die Ausblendungen und Verkürzungen von Oswald Spengler zu überwinden – was nicht ausschließt, seine zeitkritische Zivilisationsanalyse in Teilen auch zu bestätigen. Wo Spengler etwa von „Morphologie“ spricht – was für ihn ein Schlüsselwort darstellt – sollte eigentlich von „Metamorphose“, also einer am Lebendigen orientierten Vision von Zukunft gesprochen werden, und zwar mit neuen Impulsen, die bereits „unterwegs“ sind; Impulse nämlich, die sich gerade in unserer Zeit weiter und weiter entfalten, auch deshalb, weil sie schon gereift sind und die Phase des Papiers verlassen haben. Es soll hier dargestellt werden, warum ein „Wiederaufstieg des Abendlandes“, oder, Spenglers Formulierung überwindend, eine „lobbare Zukunft“ durchaus erkennbar wird. Es geht darum, den längst angelegten Weg hin zu einer zukunftstauglichen, nachhaltigen Gesellschaft dem Fatalismus des „Untergangs“ entgegenzustellen.
Dies setzt voraus, den aktuell laufenden Versuch, die Geschichte der Menschheit als Geschichte des Fortschritts zu erzählen, als Reduktionismus zu entlarven. Denn zumeist wird Fortschritt heute nur als Beschleunigung der Eroberung des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch die Technik – insbesondere durch Digitalisierung – erzählt. Dies bestätigt die alte, aber ungebrochen weiterhin hochaktuelle Prognose, die schon Helmholtz 1869 formuliert hat und die da lautet: „Das Endziel aller Naturwissenschaften ist, die allen Veränderungen zugrundeliegenden Bewegungen und deren Triebkräfte zu finden, sich also in Mechanik aufzulösen.“ Heute, so wird uns glauben gemacht, sollte Fortschritt außerdem verstanden werden als Möglichkeit, durch harte Arbeit zu einem Aufstieg innerhalb der Leistungsgesellschaft zu kommen – ein verbreitetes, aber höchst problematisch werdendes Verständnis von Fortschritt, was zu begründen sein wird.
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