In der Zeit seiner Recherchen, die heute im Großen und Ganzen abgeschlossen waren, leistete er dem Rockstar wiederholt Lebenshilfe im eigentlichen Sinne des Wortes. Mehrfach war von ´Unbekannt´ der Versuch unternommen worden, Stella zu ermorden, auch wenn es stets so raffiniert geplant worden war, dass er bis heute dafür keine handfesten Beweise hätte vorlegen können. Die Täter blieben unerkannt, unsichtbar. Von deren Auftraggebern gar nicht zu reden. Es hatte drei Tote im Umkreis der Henderson gegeben. Fälle, die die Polizei nicht lösen konnte. Personen, die den Rockstar bedroht hatten und auf nicht zu klärende Weise selbst getötet worden waren. Franco war inzwischen klar, wer dahintersteckte. Er kannte nun die Gruppe, von der Stella damals gesprochen hatte, recht genau und wusste schon einiges über sie. Die Machtclique hinter der sichtbaren Macht auf der Erde arbeitete daran, die positiven Leader der jungen Generation zu diskreditieren, wenn man sie nicht für sich gewinnen konnte. Das war eine Facette in ihrem Spiel. Die Elite der Eliten war erhaben über jeden Angriff von außen und kein Gericht der Welt würde gegen sie vorgehen, selbst wenn Beweise für die konkrete Beauftragung von Morden vorliegen würden. Weil ihnen nicht nur die Regierungen, sondern – natürlich – dadurch auch die Gerichtsbarkeit gehört.
In fast jedem Land unserer Erde.
Fast jeder Richter, Staatsanwalt.
Es lag Franco nichts daran, die Mittelsmänner der Mittelsmänner an den Pranger zu stellen. Das würde nichts verändern. Es vergingen Tage, Wochen, Monate, die Franco auf indirekte Weise näher an Stella heranführten, auch wenn seine Beziehung zu ihr einseitig und rein platonischer Natur war. Die – letztlich nicht vorhandene – ´Beziehung´ wurde on top durch ihre fast täglichen Amouren, ihre Ficks mit fremden Männern, extrem getrübt. Auch dafür hatte sich Franco inzwischen sein eigenes Überlebenskonzept zurechtgebastelt, um an Stellas Eskapaden nicht vollends kaputtzugehen. Klar, alles, was er sich als Hilfe aufgebaut hatte, waren kranke, krude Krücken voll von unhaltbaren Widersprüchen. Aber wer kennt die Liebe nicht! Sie ist voller Widersprüche. Und wer war nicht schon so unsterblich verliebt, dass er sich nicht die schrägsten Dinge zurechtbog, um vor sich selbst seine Liebe zu einer Person zu rechtfertigen. Das funktioniert. Sich Schlechtes schön denken. Liebe kann bis zur Auflösung des eigenen Ichs gehen, selbstzerstörerisch Abartiges, Widersinniges, Gemeines, Widerliches erklären, verteidigen. Jeder Trick gegen sich selbst war Franco recht, ihr die Ficks zuzugestehen, wenn er dafür wieder einen Tag irgendwie ohne allzu starken Liebesschmerz überleben konnte. Er war sich in klaren Momenten bewusst, dass er keinen Grund hatte, Stella ihr außergewöhnliches Liebesleben vorzuwerfen – Stella kannte ihren platonischen Liebhaber ja bis zum heutigen Tage nicht.
Sie ahnte nicht einmal etwas von seiner Existenz. Er wusste das nur zu genau.
Stella tickt total ungewöhnlich. Ihr Gehirn arbeitet stets auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig; unterschiedlichste Schubladen sind geöffnet, die sich ihr in Farben zeigen. Nach Prioritäten sortiert. Es fällt ihr schwer, sich zeitgleich mit nur einer Sache zu beschäftigen. Während sie ihre Suite im Breidenbacher Hof mit Meerbold betritt, ihr Körper bereits im siebten Himmel der Erotik schwebt – blaue Schublade –, gehen ihr parallel dazu die verbrecherischen Illuminaten durch den Kopf – graue Schublade – ... Russisch Roulette, aber hoppla! Gestern mit wenigen Einzelnen, dann mit ein paar Millionen, heute mit der ganzen Welt. Der Kick kann nicht groß genug sein. SIE, die Clans der wirklichen Macht, sind das wahre Übel des Planeten Erde. Gegen SIE sind die großen Mafia-Bosse, die Bin Ladens, die uns präsentiert werden, damit wir, die Ameisen, glauben, sie sind das Unkraut auf Erden, nichts weiter als der unwichtige Dreck unter dem Fingernagel. Sie sind nichts weiter als lumpige, winzige Arbeitsbienen, die uns ablenken sollen, die den Drohnen dienen, die wiederum der Königin die Füße lecken, die ihrerseits den Gurus, dann den Obergurus, den „spirituellen Meistern des 33. Grades der Hochgradeingeweihten“ berichten müssen, die dann die Angehörigen der wirklich herrschenden Clans mit Fakten bedienen. RT. Ganz oben. RT – das Tribunal. Wer ist heute RT? Ich glaube, ich weiß es. Dollarpyramide. Schau dir die Ein-Dollar-Note an. Sie zeigt dir alles. Das „Allsehende Auge Luzifers“. Kopf der Pyramide. Luzifer. Schielend. Der Teufel. Das RT. Alles Spekulation? Ich bin mir nicht sicher. Und unter RT der Rat der 13, dann der Rat der 33, das Committee der 300 und so weiter ...
Stella kam, während sie im Bad stand und ein verführerisches Parfüm – nach Feige und Mandel duftend – dezent über gewisse Partien ihres gepflegten Körpers sprühte, das Meerbold noch mehr anmachen sollte, eine Mitteilung in den Kopf, die sie mal beim Surfen im Internet entdeckt hatte. Sie konnte sich sogar noch an das Datum erinnern, weil der Tag für sie damals eine ganz besondere Bedeutung hatte: „... Bulgarian Freemasons jubilize the 200 anniversary of founding the Old and Accepted Scottish Rite in Charlston, South Carolina. The celebrations started yesterday and will last till October 4. Petar Kalpakchiev, Sublime Consul of the Bulgarian Freemasons, leads the delegation. It’s one of the most numerous. Traditionally, the Old, Free and Accepted Masons keep in secrecy the names of the rest of the delegation members. Representatives of all states, including the Arab World, are attend the celebrations. For the first time in the history of Bulgaria, however, our delegation attends such a high-level forum. Yesterday a representative of the Supreme Council, 33rd degree of Bulgaria, read the official welcoming speech to the participants in the Jubilee conference ...“ Eine kurze Information, aufgegriffen im Internet, als ich den vierten Oktober Revue passieren ließ! Wer hatte sie wohl freigegeben? Warum ein Bulgare? Ist das nicht ein kleines, unwichtiges Land? – fragte sie sich seitdem immer wieder und auch jetzt in diesem Augenblick, als sie sich für den Deutschen aufhübschte. Das gab ihr zu denken und sie flüsterte, während sie ihren Körper genüsslich streichelte und mit feinsten Essenzen salbte, um sich auf das exotische Liebesspiel mit dem geilen Galan entsprechend einzustimmen, alles um sich herum vergessend, in sich hinein: Die Freimaurer, die freundlichen Herren von nebenan, die immer hilfsbereit sind ... Ziemlich weit unten in der Kette der existenten und weltweit arbeitenden Geheimlogen angesiedelt. Ihre Hochgrad-Eingeweihten jedoch dürfen beim 200-jährigen Großfest des Schottischen Ritus in Charleston, einer US-Hochburg des Klüngels, ihren Senf abgeben. Interessant. Bulgarien und die Logen – welch eine Verbindung! Da machte der russische Geheimdienst einen Herrn zum König und Ministerpräsidenten, der auf den ersten Blick so ausschaut, als läge er politisch ganz weit rechts außen. Der feine Herr wird aber geführt durch Altkommunisten, die angetreten sind, die Welt glauben zu machen, dass sie Kreide gefressen haben. Dick und fett Kreide. Sein Agentenführer – also der des Königs mit deutschen Vorfahren, von dem das Volk in dem Balkanländchen glaubte, er liebe es, so wie sie ihn – führt derweil ein beschauliches Leben in New York. Mit einem gekauften Professorentitel und gestützt von seinen Logenbrüdern. Dann gibt es auf der anderen Seite in dem Land einen Außenminister, der noch stärker mit den Rotchinesen flirtet, als man es gemeinhin annehmen möchte. Dazwischen die Brüder, die sich als Hochgrad-Eingeweihte bei den Freimaurern entpuppen. Die Typen, die den Politikern sagen, was sie zu tun haben. Wie hat das nur im Kommunismus funktioniert, wenn nicht mit Wissen und Einwilligung – oder Aufsicht der damaligen Machthaber – also der so genannten Kommunisten? Sie stellte ein silbernes Cremedöschen ab, ohne den Blick von sich zu wenden. Putzig, nicht? Bulgarien. Ein kleines, armes Land auf dem Balkan. Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass ab einer gewissen Qualität der Zugehörigkeit in Geheimbünden die nach außen gezeigten Zwiste und Unterschiede zwischen den Religionen billige Scharade sind, stellte Stella wütend für sich fest. Denn es geht nur um das eine, Weltherrschaft. Macht, Geld und Kontrolle ... Nachdenklich stand sie vor dem Spiegel, hielt unhörbare Selbstgespräche, nur ein Lippenspiel. Wie eine vereinsamte, schon leicht senile, ältere Dame, der die tägliche Ansprache fehlt. Und Stella vergaß die Zeit und ihren Hunger.
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