Endlich höre ich Papas Schlüssel im Schloss. Perfekt! Dann komme ich auch drum herum, dem kleinen Monster nachzuwischen.
„Ich bin wieder Zuhauseeee“, singt Papa im Flur. Malthe lässt das Besteck fallen und flitzt ihm entgegen.
Noch eine neue SMS auf meinem Handy. Von Julie. Surprise, surprise. „Komm schnell!!!”
„Wie siehst du denn aus?“ Helena zieht mich ins Haus. Ich bin durchnässt vom Regen. In dem Augenblick, in dem ich aus der Tür war, begann es wie aus Eimern zu gießen.
Der Eingangsbereich bei Helena ist weiß mit weißen Möbeln und weißen Gemälden. Weiß wie Helenas Zähne, weiß wie ihre Nägel. Ihre Haut aber ist schon sehr gebräunt, bestimmt Selbstbräuner, so viel hat die Sonne auch noch nicht geschienen.
Ich tropfe nasse Spuren durch das ganze Haus, bis Helena ein paar Handtücher für mich findet. Aber das macht nichts, sagt sie, dafür hätten sie ja das Au-pair. Und zum Kusmi-Tee und Erdbeeren servieren.
„Waren die Jungs da?“, fragt Julie und schlürft aus der dampfenden Tasse. Sie meint, ob ich sie gesehen habe, als ich am Skaterpark vorbeigefahren bin. Der liegt auf meinem Weg. „Im Regen?“ Helena zieht die Augenbrauen hoch. „Man kann nicht auf nassen Rampen skaten. Das hat Kasper selbst gesagt.“
Kasper, Kasper, Kasper. Ich will nichts von ihrem Kasper hören, wenn ich selber nicht so von ihm reden darf…
„Apropos“, grinst Julie. „Wir haben schon ein Vor-Geburtstagsgeschenk für dich.“
Helena klatscht sich in die Hände. Julie nimmt einen großen weißen Beutel hervor und zieht das Päckchen raus. Wir haben ein Schummelpäckchen gepackt; also das wirkliche Geschenk ist noch in einem anderen Geschenkkarton eingepackt. Vielleicht ist das kindisch, aber es ist auch sehr lustig.
„Nein, was kann das nur sein? Was ist es?“ Helena reißt das Papier ab. Sie hat rote Flecken am Hals und beißt sich auf die Zunge, so aufgeregt ist sie. Im Inneren ist ein weiteres Päckchen.
„Oh, ihr seid gemeine Schummler, da ist bestimmt gar nichts drin.“
„Doch, ein paar Bonbons“, sagt Julie.
„So eklige, wie die, die sie am letzten Schultag immer umherschmeißen“, sage ich.
„Verdammt, was ist denn das?“ Helena ist an das Innere des letzten Päckchens gekommen. Es ist noch in Zeitungspapier gewickelt, in den Sportteil. „Ihr seid doch verrückt, ich liebe euch!“, sagt sie, obwohl sie noch gar nicht weiß, was es ist.
„Wir lieben dich auch“, sagt Julie. „Nicht wahr, Cille?“
„Ja, klar“, sage ich und meine es auch. Helena ist zusammen mit Julie meine beste Freundin. Aber trotzdem kann es halt manchmal kompliziert sein.
Helena zieht das grüne T-Shirt aus dem Papier und runzelt die Stirn.
„Häh?“
Das T-Shirt ist ganz schön zerknittert, aber es kommt ihr schon irgendwie bekannt vor. Auf dem Rücken steht „Celtics“ und ganz groß die Nummer fünf. Jetzt geht ihr ein Licht auf. Sofort breitet sich eine rote Färbung über ihrem ganzen Gesicht aus und sie muss erstmal schlucken. Ihre Augen strahlen.
„Das habt ihr nicht getan!?“, flüstert sie und riecht am Shirt.
Julie lacht über’s ganze Gesicht. Ich versuche, mit zu lachen.
„Es riecht nach ihm. Riech mal“, flüstert Helena und streckt mir das T-Shirt entgegen. Ich halte meine Nase an den Stoff und selbst wenn es auch ein wenig nach Schweiß riecht, ist da ein Geruch, den nur Kasper hat. Alle anderen Jungs stinken nach alten Socken, aber Kasper duftet. Er riecht so unglaublich gut, ich muss direkt an das Meer, an blaue Wellen und weiße Strände mit Palmen denken. Nicht, dass ich jemals an so einem Ort gewesen wäre…
Julie holt eine Schere.
„Jetzt müssen wir einfach ein Stück abschneiden und in deine Puppe stecken.“
„Nee, wir können es doch nicht kaputt machen“, sagt Helena. „Er liebt dieses Shirt.“
„Wie willst du es denn sonst in die Puppe hineinbekommen?“
„Vielleicht…“ Helena krempelt das Innere des Shirts nach außen. „Hm, es sind keine Pflegehinweise drin… Aber vielleicht können wir was vom Rand abschneiden, da wo der Stoff umgenäht ist.“
„Ist es nicht ganz egal?“, fragt Julie. „Er bekommt es ja doch nicht wieder.“
Das macht Helena schrecklich wütend. Sie findet, Kasper soll sein T-Shirt wiederhaben, wenn er es doch so mag. Und so fangen Julie und sie richtig an, zu streiten.
Ich lege mich aufs Bett während die Beiden diskutieren, ob Kasper nun sein T-Shirt wieder haben soll oder nicht. Es sind ganz kleine Sterne an der gesamten Decke verteilt. Das ist eine Deckentapete, die Helenas Eltern in New York gekauft haben, und sie ist voll mit glitzernden Steinen, die in dem Muster des richtigen Sternenhimmels angeordnet sind. Das sind echte Swarowski-Kristalle, hat Helena uns erzählt. Sie sehen aus wie Diamanten.
„Hallooo? Liegst du mit deinen nassen Sachen in meinem Bett?“ Helena guckt mich genervt an. „Dann ist doch alles klatschnass, wenn ich schlafen will!“
„Ich habe halt nichts anderes“, sage ich und setzte mich hin.
Wenn wir Zuhause bei mir gewesen wären und Helena wäre so durchnässt gewesen, hätte ich ihr trockene Sachen von mir gegeben. Aber Helena verleiht nie ihre Klamotten. Wenn erst jemand anderes etwas von ihren Sachen anhatte, dann mag sie es selbst nicht mehr anhaben. Julie und ich verstehen auch nicht, warum wir nicht ihre alten Sachen kriegen, so oft, wie sie aussortiert. Vielleicht gefällt es ihr nicht, wenn wir in nicht mehr so ganz angesagten Sachen rumlaufen. Obwohl wir das ja trotzdem machen, nur in unseren eigenen. Vielleicht hat sie auch Angst, dass wir wie sie werden, wenn wir ihre Sachen anhaben. Dass wir ihren Glanz bekommen könnten.
Eigenartig ist nur irgendwie, dass die Sachen, die an einem Tag noch an ihr strahlten, am nächsten im Second-Hand Laden hängen und irgendwie staubig aussehen.
„Du kannst das T-Shirt anziehen“, Julie wirft mir Kaspers T-Shirt ins Gesicht.
Helena reißt es mir aus den Händen. „Das ist meins!“
„Ich dachte, du willst es gar nicht haben“, sagt Julie und kneift die Augen zusammen.
„Ich möchte nur, dass Kasper es zurückbekommt.“
„Ist dir klar, wie schwer es war, das Shirt zu stehlen?“
„Ja, aber du musst es genauso heimlich zurück bringen, wenn ich einen Streifen abgeschnitten habe.“
„Auf gar keinen Fall“, sagt Julie. „Das mache ich nicht. Das mache ich einfach nicht. Ich habe es schon für dich besorgt. Das ist ja wohl genug. Dann muss Cille es halt zurücklegen.“
Sie sehen beide zu mir rüber und warten darauf, dass ich einwillige, den Mist freiwillig auszubaden. Von wegen!
„Mag ja sein, Julchen, dass du es geholt hast, aber es war auch deine Idee“, sage ich. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt eingewilligt habe. Wenn ich mich recht erinnere, sagte ich, ich fände es eine richtig doofe Idee.“
„What?“, Julie sieht wirklich verärgert aus.
„Also Julchen, wenn es deine Idee war und du es geklaut hast, dann bist wohl auch du diejenige, die es zurückbringen muss.“
Helena unterstützt mich. Herrlich. Aber ich kann gerade eigentlich nicht so genau sagen, was das Recht und Unrecht ist. Gibt es überhaupt ein Rückgaberecht bei Sachen, die man geklaut hat? Kann Helena uns dazu zwingen, es zurück zu bringen? Eigentlich ist es auch fast egal. Solange ich drum herumkomme, es zu machen. Helena ist jetzt dabei, einen ganz feinen Streifen an der untersten Kante des T-Shirts abzuschneiden. Man kann beinahe gar nicht sehen, dass sie etwas weg schneidet.
„Können wir es jetzt nicht einfach wegwerfen?“, frage ich leise. „Nein“, sagt Helena mit fester Stimme. „Das T-Shirt geht zurück zu Kasper. Da gibt es nichts zu diskutieren.“ Sie ist fertig mit dem Streifen und wirft das T-Shirt zu Julie. „Da Julie!“
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