Ich habe ein spontanes Stechen im Bauch. Eigentlich finde ich nicht unbedingt, dass Helena das Buch haben sollte.
„Was kostet es denn?“, frage ich.
„99, 99 Euro, aber weil ihr es seid, 70 Euro.“
„Hier gibt es ein Rezept für Liebeskuchen“, kichert Julie.
„So viel habe ich aber nicht“, flüstere ich und zupfe Julie am Ärmel. Die Frau kann es natürlich trotzdem hören.
„In Ordnung. Obwohl es wirklich ein gutes Angebot ist“, sagt sie und klappt das Buch vor Julies Nase zu. „Aber ich habe auch gerade dieses Creme zum Selbermachen-Set reinbekommen.“
„Aha, ok“, sagt Julie. „Damit kann man seine eigene Creme machen?“
„Das ist wirklich gut und man kann sowohl Gesichtscreme als auch Bodylotion machen und selbst bestimmen, wie sie riechen soll. Kostet 32, 90 Euro.“
Es ist nicht einmal die Hälfte vom Buchpreis und obwohl es immer noch eine Menge Geld für mich ist finde ich, es wäre endlos peinlich, wenn ich schon wieder sage, es ist zu teuer.
„Hast du 17 Euro?“, fragt Julie und holt ihre Visa-Karte aus der Tasche.
„Ja, ja“, sage ich schnell, dabei stimmt es gar nicht. Ich habe nur 10 Euro von Mama für das Geschenk bekommen. „Du kannst ja erstmal auslegen.“
Julie streckt auch noch ein Softeis vor. So etwas essen wir nicht, wenn Helena dabei ist. Nicht wegen dem Geld, sondern weil Helena solche Sachen nur zu bestimmten Anlässen isst. Sie achtet auf ihre Figur, sagt sie. Besonders seitdem sie diese Modellbilder hat machen lassen.
„Uh, mir kommt gerade die weltbeste Idee überhaupt“, sagt Julie mit dem Mund voller Eis.
„Mmm. Was denn?“ Ich denke immer noch an das Buch aus dem Kult und höre nicht richtig zu. Wenn wir nur etwas mehr Zeit gehabt hätten, es anzusehen, also das Buch. Es sah unglaublich spannend aus. Wenn ich doch nur genug Geld hätte, es für mich selbst zu kaufen. Aber das ist undenkbar. 70 Euro habe ich überhaupt nicht und das nächste Taschengeld schulde ich jetzt schon Julie.
Auf eine Art bin ich ganz froh, dass Helena das Buch nicht von uns bekommt. Dann hätte sie nur schon wieder eine supercoole Sache mehr, die ich nicht haben kann.
„Hey, hör mir doch mal zu!“ Julie zupft an meinem Ärmel. „Cecilie?“
„Ja, ja, ich höre zu.“
„Es ist einfach eine grandiose Idee! Wir klauen Klamotten von Kasper und packen sie für Helena ein. Für ihre Liebespuppe!“ Julies Augen strahlen vor Begeisterung über ihren eigenen Erfindungsgeist. Mir rutscht das Eis beinahe in den falschen Hals.
„Wie bitte? Das können wir doch nicht machen.“
„Doch, und wie wir das können“, sagt Julie. Sie kann gar nicht mehr still stehen und tanzt ein paar eigenartige Schritte hin und her. „Das ist ein mordsmässiges Geschenk! Verstehst du das nicht?! Helena traut sich ja nicht, selbst etwas zu klauen. Aber wenn wir das für sie machen und es ihr als Geburtstagsgeschenk geben, dann kann sie es in ihre Liebespuppen tun. Und dann kann sie bei der Party sehen, ob es klappt.“
„Dann hätten wir 32,90 Euro sparen können“, murre ich.
„Hör auf, so geizig zu sein. Helena kauft immer riesige Geschenke für uns.“
Sie hat ja recht. Aber das ist es ja gerade, was es so verflixt mit Helena macht. Eigentlich ist sie super lieb und deshalb kann man nicht wirklich sauer auf sie sein. Aber sie bekommt halt immer alles und nun sollen wir ihr obendrein auch noch dabei helfen, Kasper zu kriegen.
„Wir haben morgen Sport. In der großen Pause, wenn die Jungs an der Rampe sind, stibitzen wir Kaspers benutztes T-Shirt“, fährt Julie fort.
„Dann ist es auch voller Kasper-Schweiß“, flüstere ich so leise, dass ich es fast selbst nicht hören kann. „Dann klappt es bestimmt noch viel besser.“
„Ich bin einfach genial, wenn ich mir nur etwas Mühe gebe“, feiert sich Julie selbst und tanzt noch ein paar weitere bizarre Ballettschritte in Richtung H&M.
„Kommst du mit rein? Ich will nur mal gucken, ob sie noch diese silberne Bluse haben, die ich mir wünsche.“
Wir spielen Basketball im Sportunterricht. Natürlich macht Helena bei den Mädchen die meisten Körbe, während es Kasper bei den Jungs ist. Ich selber treffe den Korb kein einziges Mal. Auch weil ich so müde bin. Die ganze Nacht musste ich an Julies Idee denken. Wenn Helena Kaspers T-Shirt in ihre Liebespuppe tun kann, will ich das auch. Alles andere wäre total unfair. Nur weil sie laut gesagt hat, dass sie auf ihn steht, hat sie doch nicht mehr Anspruch auf ihn als ich, oder?
Jetzt sitzen wir mit nassen Haaren im Biologieunterricht bei Hinkeheiner alias Herr Hain. Er fabelt wie gewöhnlich über das wilde Tierreich in Deutschland und macht dabei auch vor dem kleinsten Insekt nicht halt. Er will uns schon wieder klar machen, dass unsere Natur genauso beeindruckend und wild ist, wie die Afrikas, auch wenn wir keine Elefanten und Löwen haben – wir müssen nur einzoomen. Gerade geht es um die Feldmaus.
Helena, Julie und ich machen gleichzeitig unsere Mathehausaufgaben. Heimlich. Dann brauchen wir uns darum am Wochenende nicht mehr kümmern. Obwohl Julie irgendwie nicht die Aufgaben macht. Sie malt T-Shirts in mein Matheheft.
„Was ist das denn?“, flüstert Helena. Sie glaubt, wir haben ihr ein T-Shirt gekauft und hört gar nicht mehr auf damit, Marken zu raten. Sie ist unerträglich neugierig.
„Abercrombie&Fitch, Esprit, Dolce & Gabana, oder eins aus dem Skateladen in der Stadt?“
„Können sich die Damen vielleicht dazu bewegen, zuzuhören?“, meckert Hinkeheiner.
Wir sitzen in der einen Ecke der U-Anordnung der Tische. Auf der anderen Seite sitzen Kasper und die anderen Jungs und machen Blödsinn. Ab und an streift uns sein Blick, dann lacht er und wirft mit Radiergummies und Kreide. Mir ist aufgefallen, dass Helena sich den Kram in die Tasche steckt. Sie sammelt ihn, um ihn in ihre Liebespuppe zu tun, da bin ich mir ganz sicher. Ich konnte nur ein einziges Stückchen einstecken.
„Die Herren sind natürlich auch herzlich eingeladen, mitzumachen“, sagt Hinkeheiner. „Kasper, kannst du uns vielleicht sagen, was du über die Feldmaus weißt?“
„Äh“, sagt Kasper. „Naja, es ist die gewöhnlichste Maus bei uns, aber ganz harmlos. Und die können ganz viele Jungen kriegen. Ich glaube, so sieben Würfe im Jahr, mit jeweils ungefähr fünf Jungen.“
Hannes klopft Kasper auf den Rücken, lacht laut und macht das Sex-Zeichen mit den Fingern.
Fast alle fangen an zu lachen. Kaspers Wangen werden etwas rot. Es steht ihm.
„Ja, die müssen sich ranhalten“, sagt Hinkeheiner.
„Was ist eigentlich ihr Lieblingstier, Herr Hein?“ unterbricht ihn Helena. Das ist so eine Taktik, die sie hat, um die Lehrer dazu zu kriegen, über andere Sachen zu reden.
„Meins? Ja, also ich war schon immer schwer vom Zaunkönig fasziniert. Er ist eigentlich ein recht unscheinbarer kleiner Vogel, aber doch irgendwie sehr besonders. Er singt ganz herrlich und baut beeindruckende Nester. Ja, wir ihr wisst, habe ich meine Abschlussarbeit über ihn geschrieben und…“
Ich merke Julies Mund an meinem Ohr und lege eine Hand über mein Heft. Ich saß da und habe Herzen und Skateboards gezeichnet, ohne es richtig zu bemerken.
„Guck mal, Kaspers Sportsachen…“ Sie nickt rüber zu Kaspers ReWe-Beutel auf dem Boden. Er sieht dreckig und schon recht mitgenommen aus und Kaspers Basketballsachen fallen fast schon raus. „Wenn du Helena in der Pause ablenkst, dann schnappe ich sein T-Shirt.“
Ich klappe mein Heft zu und seufze. Sie will es tatsächlich stehlen?
„Oder andersherum?“, flüstert Julie. „Du kümmerst dich um das T-Shirt und ich mich um Helena.“
„Nee, ist schon ok“, sage ich schnell. Ich werde auf keinen Fall etwas klauen, erst recht nicht, um es dann Helena zu geben! Soll ich denn die Drecksarbeit für sie machen, nur damit sie es noch leichter hat, als einzige bei Kasper zu landen? Nein danke, da habe ich keine Lust drauf.
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