Der Baron führte oftmals so sonderbare Reden, und wenn sie ihn dann bat, deutlicher zu sprechen, brach er ab und meinte geheimnisvoll, alles würde ihr eines Tages klar werden.
Sie hatte für morgen nachmittag wieder eine Zusammenkunft verabredet, und dachte, es war gar nicht gut, dass ihr Mann in nächster Zeit wieder mehr an dem Bilde malen wollte.
Er malte in einem der Schlosseingänge, dessen Decke das Bild der Grävenitz, der sogenannten „Landverderberin“ trug.
Er malte dort mit offizieller Erlaubnis der Schlossverwaltung und ein kleiner Petroleumofen wärmte sein merkwürdiges Atelier.
Nur musste sie immer fürchten, er machte nach seiner Arbeit einmal einen Spaziergang ins Freie und traf sie dann — mit dem anderen.
Wenn er, wie letzthin, oft in Stuttgart gewesen, fühlte sie sich sicherer.
Sie musste jedenfalls sehr vorsichtig sein, denn wenn es zur Scheidung kam, wollte sie nicht der schuldige Teil sein.
Sie wusste ja zu genau, wie sehr ihr Mann die Scheidung wünschte, und deshalb gedachte sie ihn zu beeinflussen, er sollte der Schuldige sein.
Als Alfred von Bassing einsah, seine Frau würde vorläufig doch keine Notiz mehr von seiner Gegenwart nehmen, verliess er die Wohnung, lief dann kreuz und quer durch die Strassen, um schliesslich in einer einfachen Wirtschaft zu landen, wo er sich ein Nachtessen bestellte.
Und während er ohne besonderen Genuss ass, dachte er müde, wie quälte ihn die Frau, deren Schönheit ihn einmal berauscht, doch Tag für Tag. Wie ein Bleigewicht hängte sie sich an die Flügel seiner Künstlerschaft, riss ihn, wenn er sich aufschwingen wollte, immer wieder herab.
So manchen Sehnsuchtstraum, den er geträumt, hatte er im Bilde festhalten wollen, aber ihre ewige Unzufriedenheit, ihr Nörgeln und Spotten beraubte ihn immer mehr seiner besten Schaffenskraft.
Er starrte in sein Weinglas und sann, wenn zwei reine graue Augen, wie die dieses halben Kindes in Stuttgart, ihm auf seinem Weg geleuchtet, dann besässe er inneren Frieden.
Glücklich der Mann, dem sich Traute Overmans einmal zu eigen geben würde!
Sie war ja noch so jung, so blutjung, und wusste noch nicht, was die Liebe war.
Eines Tages aber würde auch ihre Stunde schlagen.
Glühend zu beneiden war der Mann, dem diese Augen einst in Liebe leuchten würden!
Er zahlte. Er wollte doch lieber wieder heimgehen, sich zur Ruhe begeben, alle törichten und alle traurigen Gedanken verschlafen.
Denn törichter gab es wohl nichts, als dass er schon jetzt den Mann beneidete, den sich Traute Overmans einmal zum Lebensgefährten erwählen würde.
Er wanderte dann wieder langsam heim durch die stillen Strassen und dachte dabei, obwohl er sich innerlich selbst verspottete, nur an das junge Mädchen, das von einem reichen alten Mann, der sich solche Versuche erlauben durfte, an einen Platz gestellt worden war, den eigentlich nur ein erprobter, gewiegter Kaufmann hätte ausfüllen müssen. Den die Sechzehnjährige aber mit solcher Begeisterung und angeborener Geschäftstüchtigkeit ausfüllte, dass es staunenswert war. Und der ihre Vorzugsstellung nichts von der frischen Natürlichkeit zu nehmen vermocht hatte, die sie so entzückend kleidete, dass sie jedermann lieb haben musste.
Er erschrak vor sich selbst.
War der Gedanke nicht wie ein heimliches Geständnis gewesen?
In der nächsten Sekunde ertappte er sich dabei, dass er mit leiser Sehnsucht und einem ganz eigenen Frohgefühl an das nächste Wiedersehn mit Traute Overmans dachte.
Jetzt riss er sich aber gewaltsam zusammen. Was durfte ihn das reiche, verwöhnte Mädchen kümmern, ihn, den fast unbekannten Maler, der verheiratet war und im Joch dieser in toller Verblendung geschlossenen Ehe seines Weges trottete, wie ein armes, müdes Zugtier, das zu schwere Last hinter sich herziehen muss.
Er erreichte den Marktplatz, der äusserlich fast derselbe geblieben ist, wie zur Zeit der Landverderberin, der stolzen Grävenitz, vor ungefähr zweihundert Jahren. Die niedrigen Häuschen mit den Arkaden, der plätschernde Brunnen, die alte Kirche, von der es eben wie ein halbverwehter Gruss aus verschollenen Tagen zehn Uhr schlug.
Es war Mondschein und das fahlbläuliche Licht des himmlischen Nachtwächters fiel schräg über den Platz, umspielte die steinerne Gestalt des einstigen Herrschers von Württemberg, der seinem Land das Geld entzogen, um seine ehrgeizige Geliebte zu schmücken und zu feiern.
Alfred von Bassings Augen suchten das Haus, in dem er wohnte.
Romantisch wirkte der altertümlich erhaltene Platz am lichten Tage, doch noch romantischer wirkte er, wenn ihn, wie jetzt, der Mondschein aus nächtlichem Schatten in bleiches spukhaftes Leben riss, fand der Maler.
Seine Künstlerseele genoss.
Kein Mensch war zu sehen.
Die Bewohner der kleinen Städte gehen im Winter früh zur Ruhe, und die wenigen Wirtshausbesucher pflegen so still und unauffällig heimzuschleichen, dass man sie gar nicht bemerkt.
Und wieder blickte Alfred von Bassing nach dem Haus hinüber, in dem er wohnte. Dort drüben herrschte Dunkelheit vor, aber ihm war es, als klinge eben leise das Schliessen eines Fensterflügels von dort herüber, als sähe er vor dem Hause, da, wo der Mondscheinstreif zu enden schien, eine dunkle Gestalt stehen.
Er schritt weiter, kam dem Hause näher und erkannte deutlich oben am dunklen Fenster des Wohnzimmers die Umrisse einer Frau. Aus dem Nebenzimmer der nach hinten gelegenen Schlafstube drang matter Lichtschein, sonst hätte er die Umrisse der Frau nicht erkennen können.
Also stand Lilli am Fenster des Wohnzimmers. Und die Gestalt, die er vorhin bemerkt, befand sich jetzt direkt unter dem Fenster und hielt etwas Weisses in der Hand.
Dicht vor seiner Haustür stiess er mit einem Herrn zusammen und stellte fest, das Weisse war Papier. Vielleicht ein Brief?
Es durchzuckte ihn, dieser Mann hing irgendwie mit Lilli und ihm zusammen, und es gab da irgendein Geheimnis, das ihn sehr anging und um das er sich kümmern musste.
Seine Vernunft warnte ihn, eine Uebereilung zu begehen.
Er durfte doch einen Herrn, den er zufällig vor der Tür des Hauses traf, darin er selbst wohnte, nicht festhalten und befragen, was er hier zu suchen habe.
Der Marktplatz war ja nicht sein persönliches Eigentum.
Der Fremde ging vorbei, aber Alfred von Bassing fiel ein starker Juchtengeruch auf, der den Kleidern des anderen entströmte.
Während er den Schlüssel ins Schloss steckte, dachte er, parfümierte Männer mochte er nicht leiden.
Juchten war spezielles Herrenparfüm, Sportsleute liebten es. Aber er fand es komisch, dass da jemand zu später Abendstunde auf dem Marktplatz herumstand und nach Juchten roch, als hätte er eine ganze Flasche davon über sich ausgeleert.
Nachdem er die Haustür aufgeschlossen, verharrte er noch minutenlang davor und gab sich seinen beunruhigten Gedanken hin.
Ueber den Mann dachte er nach, der vorhin gerade unter dem Fenster seines Wohnzimmers gestanden hatte.
Er meinte wieder das dünne Klingen eines Fensterflügels zu hören, der geschlossen wurde, und dann ein weisses Papier in der Hand des Fremden zu sehen, dessen Gesicht er, auch bei dem nahen Vorbeistreifen, nicht hatte erkennen können.
Eben wurde irgendwo in der Nähe ein Motor angekurbelt, und gleich darauf drängte sich aus einer nahen schmalen Strasse ein Auto heraus, das dort mit abgeblendeten Scheinwerfern gestanden haben musste.
Wahrscheinlich auf den Mann, der nach Juchten roch wie ein grosser Reisekoffer aus solchem Leder.
Wie ein dunkles, nächtliches Untier mit riesigen, feurigen Glotzaugen brummte das Auto fort und Alfred von Bassing betrat kopfschüttelnd das kleine Haus.
Seltsam war die Geschichte doch, sehr seltsam!
Irgend etwas stimmte nicht dabei!
Er fand seine Frau in tiefem Schlaf versunken, gar nicht zu erwecken war sie.
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