aufgezeichnet von
Stefan Krücken
Um Kap Hoorn und durch den Krieg –
die unglaubliche Reise von Kapitän Jürgens
STURMKAP
Um Kap Hoorn und durch den Krieg – die unglaubliche Reise von Kapitän Jürgens
Originalausgabe
Alle Rechte vorbehalten
© 2008 by Ankerherz Verlag GmbH, Appel
© Text: Stefan Krücken, Appel
Lektorat: Astrid Roth, Köln
Korrektorat, Dokumentation und Glossar: Reinhard Helling, Hamburg
Konzept und Gestaltung: Sandro Pezzella, Hamburg
Historische Fotografien: Privatarchiv Hans Peter Jürgens, Kiel
Titelfoto und Porträts: Jörg Klaus, Berlin
Satz: Silke Vohrer, Hamburg
Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.deabrufbar.
Ankerherz Verlag GmbH, Appel
info@ankerherz.de
www.ankerherz.de
ISBN 978-3-940138-01-9
eISBN 978-3-945877-28-9
Land in Sicht, singt der Wind in mein Herz .
Die lange Reise ist vorbei .
Morgenlicht weckt meine Seele auf .
Ich lebe wieder und bin frei .
Rio Reiser · Land in Sicht
Hans Peter Jürgens, Jahrgang 1924, fuhr mehr als ein halbes Jahrhundert zur See. 1953 machte er sein Kapitänspatent und arbeitete hauptsächlich für die Hansa-Linie, Bremen. Er war der letzte Präsident der deutschen Kap Hoorniers Vereinigung, die sich 2004 auflöste. Nach seiner aktiven Zeit auf See wurde er Lotse auf dem Nord-Ostsee-Kanal. Heute gilt Jürgens als einer der wichtigsten deutschen Maler maritimer Kunst. Er lebt in Kiel.
Stefan Krücken, Jahrgang 1975, wollte schon als Kind Reporter werden. Er volontierte beim Kölner Stadt-Anzeiger , arbeitete als Polizeireporter für die Chicago Tribune und ging dann zur Zeitschrift Max . Krücken schreibt als Editor-at-large für GQ sowie für andere Magazine. »Sturmkap« ist sein zweites Buch nach dem Bestseller »Orkanfahrt«. Er lebt mit seiner Familie in einem Dorf bei Hamburg.
PROLOG
Juli 1939, im Orkan vor Kap Hoorn an Bord der Viermastbark Priwall
DER ZORN GOTTES
KAPITEL 1
Viermastbark Priwall
Mai 1939 – Mai 1941
KURS KAP HOORN
KAPITEL 2
Dampfer Erlangen
Mai 1941 – September 1941
IM KRIEG
KAPITEL 3
Truppentransporter Duchess of Bedford
September 1941 – Januar 1946
STACHELDRAHTJAHRE
KAPITEL 4
Fischkutter Dithmarschen
Januar 1946 – Mai 1949
KOHLENKLAU UND KABELJAU
KAPITEL 5
Frachter Helga Schröder
Mai 1949 – März 1953
LAND IN SICHT
EPILOG
KAPITÄN
STEFAN KRÜCKEN: GEDANKEN ZUM »STURMKAP«
GLOSSAR
PROLOG
JULI 1939, IM ORKAN VOR KAP HOORN
AN BORD DER VIERMASTBARK »PRIWALL«
DER ZORN GOTTES
Seit zwei Wochen halten wir nun nach Westen und kreuzen gegen den Sturm. Das Ölzeug ziehen wir nicht mehr aus, dazu fehlt uns die Kraft. Wir legen uns mit der Kleidung in unsere Kojen, auf dünne Matratzen aus Stroh, die völlig durchnässt sind. Eisiges Wasser schwappt durch das Logis. Es ist kalt in den Kammern, so kalt wie draußen an Deck, denn es gibt keine Heizung und keinen Ofen und keine Wärme in den Unterkünften der Mannschaft. An Schlaf ist kaum zu denken. Schlaf? Wenn es überhaupt eine Pause gibt, dauert sie höchstens drei Stunden, die sich anfühlen wie drei Minuten. Bis wir wieder den Befehl hören: »Reise, Reise! Alle Mann an Deck!«
Uns bleibt nicht mal Zeit für Albträume.
Brecher überspülen das Deck, und man muss aufpassen, dass immer eine Leine in der Nähe ist, an der man sich festhalten kann. Wir klettern an der Seite, die dem Sturm zugewandt ist, die Wanten hinauf. Der Orkan drückt uns an die Rahen, was es leichter macht, wenn sich die Priwall in einer großen See neigt. Über Bord zu gehen, das bedeutet in diesem Wetter den sicheren Tod, weil es für den Kapitän unmöglich ist, sein Schiff zu wenden oder ein Rettungsboot aussetzen zu lassen.
Der Sturm wirft die Viermastbark hin und her. Brecher überspülen das Deck, über das zur Sicherheit für die Besatzung zusätzliche Taue und »Leichennetze« gespannt sind. Ich liege hoch oben auf den Rahen und versuche mit den anderen Schiffsjungen und Matrosen, die schlagenden Segel zu bergen. Meine Fingerbeugen sind vor Kälte und Anstrengung aufgeplatzt. Das nasse Ölzeug hat meine Handgelenke und den Nacken blutig gescheuert.
»Gott hat Kap Hoorn im Zorn erschaffen«, meinte unser Kapitän, Adolf Hauth. In keinem anderen Gebiet der Weltmeere verloren so viele Seeleute das Leben. Mehr als 800 Schiffe – so schätzt man – sanken im Sturm oder zerschellten an den Klippen. Mehr als 10000 Männer ertranken. »Wenn du alt werden willst«, so heißt es in einer alten Seemannsweisheit, »dann meide Kap Hoorn und reffe rechtzeitig die Segel.«
An mehr als 300 Tagen im Jahr toben schwere Stürme dort, wo der Atlantische und der Pazifische Ozean aufeinander treffen. Die Wucht der westlichen Luftströmungen türmt die Seen zu gewaltigen Höhen auf, wie sie nirgendwo sonst in dieser Regelmäßigkeit zu beobachten sind. Wellenwände von 20 Metern Höhe und mehr sind nichts Besonderes, Brecher, hoch wie mehrstöckige Häuser. Eine weitere Gefahr sind Eisberge, die vom südpolaren Packeisgürtel abbrechen. Sie sind unberechenbare Gegner und machen besonders die Navigation der Segelschiffe zu einem Glücksspiel.
Vor allem in der Nacht. Vor allem im Sturm.
Kap Hoorn: ein Ort der Legenden und das am meisten gefürchtete Seegebiet der Welt. Willem Cornelisz Schouten, ein niederländischer Kapitän, hatte das verlorene Land als Erster erreicht, am 24. Januar 1616. Mit seinem Schiff Eendracht fand er eine Durchfahrt zwischen dem Festland und einer vorgelagerten Insel, die er »Le Maire« nannte, nach dem Kaufmann, der seine Expedition ausgerüstet hatte. Ein zweites Schiff, die Hoorn , geführt von seinem Bruder Jan Cornelius Schouten, war durch ein Feuer verloren gegangen. Sechs Tage nachdem die Eendracht die Le-Maire-Straße durchsegelt hatte, passierte sie ein gewaltiges Felsenkap, das Schouten in Gedenken an seine Heimatstadt im Norden der Niederlande Hoorn taufte.
Zunächst wagten nur Freibeuter die gefahrvolle Reise, wie Woodes Rogers, der 1708 die Umrundung schaffte und wenig später Alexander Selkirk an Bord nahm, den man auf einer Insel ausgesetzt hatte. Selkirks Schicksal diente Daniel Defoe als Vorlage für eine der bekanntesten Figuren der Literaturgeschichte: Robinson Crusoe.
Von einer Expedition des englischen Kommodore Anson, der 1740 mit einem Geschwader von sechs Schiffen in den Krieg gegen die Spanier segelte, kam nur das Flaggschiff Centurion zurück. Vier Jahre später. Mehr als 900 Besatzungsmitglieder hatten durch Skorbut oder nach Havarien ihr Leben verloren. Amerikanische Walfänger riskierten die Reise, um in die pazifischen Jagdgründe zu gelangen. Und auch immer mehr Handelsschiffe, nachdem in Kalifornien der Goldrausch ausgebrochen war. Es musste gute Gründe geben, das Kap herauszufordern. Die Aussicht auf Tran und Gold reichte offenbar aus.
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