1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Nur donnerstags und sonntags wurde nicht gelernt. An diesen beiden Tagen gab es für die Offiziersanwärter nur eine Pflicht: die Messe zu besuchen. Danach waren sie frei, Briefe zu schreiben, auszureiten oder auf den Schießplatz zu gehen, bis sie sich wieder zur gewohnten Zeit in ihre Zimmer begaben und einschließen ließen.
Für den jungen Davout war diese Tagesordnung an sich nichts Neues, kannte er derartige Regeln doch schon von Auxerre. Der wesentliche Unterschied zu seiner alten Schule bestand darin, dass die Anforderungen an den einzelnen Offizierskadetten viel höher waren und er endlich praxisbezogen lernte. Im Festungsbau, in dem sich Davout fast 30 Jahre später in Hamburg bestens bewährte, lernte ein angehender Offizier nicht nur theoretisch das Anlegen von Schanzen und die Verteidigung von Breschen. Es wurde ihm auch Zeichnen beigebracht, damit er in der Lage war, selbständig Festungswerke zu entwerfen und zu skizzieren. Desgleichen war auch der Geografieunterricht alles andere als praxisfern. Da Frankreich in den letzten 150 Jahren immer wieder Krieg um Italien, die Niederlande und Deutschland geführt hatte, gehörte es zu den Hauptaufgaben der Kadetten, die Topografie der betreffenden Länder und ihre Sprachen zu kennen. Ein französischer Offizier sollte sich zu jeder Zeit, in jedem Land auch ohne Karten grundsätzlich auf feindlichem Gebiet orientieren können.
Das Erziehungsprogramm der École Royale Militaire war für seine Zeit vorbildlich. In den zehn Jahren ihres kurzen Bestehens zwischen 1777 und 1787 brachte die École Royale Militaire niemand Geringeres als Napoleon Bonaparte, die Marschälle Davout und Clarke, zehn Divisionsgeneräle sowie dreißig Brigadegeneräle hervor. Vor allem Napoleon und Davout sollten zeit ihres Lebens immer wieder beweisen, dass sie ihre Lektionen gut gelernt hatten.
Entgegen seiner Schulzeit in Auxerre wissen wir nichts von irgendwelchen Eskapaden Davouts aus der Zeit an der École Royale Militaire de Paris. Er scheint sich von Anfang an gut eingefügt zu haben, war bei seinen Kameraden beliebt und bestand alle Prüfungen, sodass er am 2. Februar 1788 die Kaderschmiede als Unterleutnant verließ. Keinen Moment zu spät. Nur zwei Monate später wurde die Schule Opfer der schweren Wirtschaftskrise, die Frankreich erfasst hatte, und musste aus Kostengründen schließen. Die Revolution warf ihre Schatten voraus, und ehe es sich der frisch gebackene Unterleutnant Davout versah, sollte er wie so viele Hunderttausende in ihren Sog gerissen werden.
Was Davout außerhalb der Mauern der königlichen Militärschule erwartete, war ein Land in Agonie, dessen Bevölkerung dabei war, zu verelenden.
Grund dafür waren Missernten, welche durch Getreidespekulationen verschlimmert wurden. Dies zog eine Teuerung der Lebenshaltungskosten um 100 bis 200% und somit eine Hungersnot nach sich, welche mit einer Finanzkrise zusammenfiel, die auf Frankreichs Teilnahme am US-amerikanischen Unabhängigkeitskrieg in den Jahren 1776–1783 zurückging. Damals war es Finanzminister Necker nur durch die Zeichnung von Staatsanleihen gelungen, die französische Militärintervention zugunsten der amerikanischen Unabhängigkeitskämpfer zustande zu bringen. Von dieser massiven Neuverschuldung hatte sich Frankreich nicht mehr erholt.
1788 schätzte der dem König vorgelegte Haushaltsbericht die Ausgaben des französischen Staates auf 629 Millionen Livres, die Einnahmen dagegen nur auf 503 Millionen, was einen Fehlbetrag von 20% ergab. Noch schlechter sah es jedoch hinsichtlich der Tilgung und Zinsen für die Staatsschulden aus. Diese erreichten die enorme Zahl von 318 Millionen Livres, was der Hälfte aller Ausgaben entsprach.
Diese Unsummen türmten sich zu einem Haushaltsdefizit, was das Königreich Frankreich nach Meinung führender Finanzexperten nicht mehr allein durch die Mittel seiner bisherigen Steuerverfassung auffangen konnte. Obwohl die Bevölkerung Frankreichs gegen Ende des Ancien Régime ca. 25 Millionen betrug, sank die Kaufkraft der Massen infolge der Teuerung der Grundnahrungsmittel.
Fortschrittlich denkende Wirtschaftsminister wie Neckers Nachfolger Calonne versuchten verzweifelt, den Staatsbankrott durch eine Territorialsteuer, die jeden Grundbesitzer ungeachtet seiner Standeszugehörigkeit zur Zahlung von Steuern verpflichtete, abzuwenden. Das Prinzip der Steuergleichheit scheiterte jedoch an der zähen Weigerung von Adel und Klerus, sich besteuern zu lassen, was Calonne zu Fall brachte. Am 8. April 1787 entließ der durchsetzungsschwache König seinen ungeliebten Finanzminister und ersetzte ihn durch den Finanzpolitiker Loménie de Brienne. Dessen Versuche, die Schatztruhen Frankreichs zu füllen, indem er Unterzeichner für eine Staatsanleihe von 120 Millionen Livres warb, scheiterte erneut am Widerstand der Adelskaste. Nur wenige Wochen nach Calonne kapitulierte auch Loménie de Brienne. Seine letzte Tat bestand darin, am 8. August 1788 die Generalstände für den 1. Mai 1789 einzuberufen. Damit war der Versuch Ludwigs XVI. gescheitert, sein Königreich mittels bloßer Steuerreformen aus dem Sumpf der Wirtschaftskrise zu ziehen. Mit der Einberufung der Generalstände hoffte der schwache Enkel Ludwigs XIV., den Widerstand von Adel und Klerus zu brechen, ohne dem Dritten Stand zu viele politische Zugeständnisse machen zu müssen.
Der König irrte sich. Mit der Einberufung der Ständeversammlung hatte er einen großen Fehler begangen. Statt sich, wie vom Hof vorgesehen, als bloße Geldbewilligungsmaschine instrumentalisieren zu lassen, sollte sie sich bald als trojanisches Pferd entpuppen. Einmal ins Machtzentrum der brüchigen Monarchie gezogen, dauerte es nur wenige Monate, bis der Geist der Revolution von Frankreich Besitz ergriff.
Von all diesen großen Umwälzungen ahnte der junge Unterleutnant Davout nichts, als er mit 18 Jahren seine Mutter auf ihrem neuen Landsitz in Ravières besuchte, den sich Françoise-Adélaïde 1785 gekauft hatte. Dort lernte Davout den ehrgeizigen Rechtsanwalt Louis Turreau de Linières kennen, der gerade seine Tante besuchte. Die beiden jungen Männer freundeten sich auf Anhieb an und stellten schnell fest, dass sie ähnliche politische Ansichten hatten. Ob Turreau schon 1788 ein überzeugter Verfechter revolutionärer Ideen war, kann aufgrund mangelnder Quellen heute nicht mehr nachgewiesen werden, sein späterer Werdegang lässt dies jedoch vermuten. Was Davout anbetrifft, so hüllen sich die meisten seiner Biografen in Schweigen. Fest steht, dass die Freundschaft zu Turreau nicht ohne schwerwiegende persönliche Konsequenzen blieb. Wie es scheint, entflammten Françoise-Adélaïde D’Avoust und Louis Turreau de Linières derart heftig füreinander, dass sie noch im selben Jahr am 31. 8. 1789 heirateten. Aus Sicht von Françoise-Adélaïde brachte diese Heirat jedoch viel Bekümmernis. Ihre Familie missbilligte die Verbindung und erschien nicht zur Hochzeit, auch Louis nicht, was sehr verwundert, weil er als Freund von Turreau galt. Wahrscheinlich zwang ihn sein Dienst im Royal Champagne, den Feierlichkeiten fern zu bleiben. Bei den anderen Familienmitgliedern kann über den Grund des Ausbleibens nur spekuliert werden. Höchstwahrscheinlich spielte die bürgerliche Herkunft, der große Altersunterschied von 20 Jahren und die politischen Ansichten Turreaus eine große Rolle. Für Louis sollte der neue Stiefvater, der nur vier Jahre älter war als er, bald als Freund, Mentor und Förderer eine Schlüsselrolle spielen. Wie schicksalhaft diese Verbindung werden sollte, war in jenen Monaten der »Grande Peur« – der Angst der Adeligen vor den marodierenden Banden der Revolution – keinem der Beteiligten klar. Bis zu seinem frühen Tod 1797 blieben Davout und Turreau jedenfalls bestens befreundet.
Doch springen wir zurück zum Zeitpunkt, als Davout in das Kavallerieregiment »Royal Champagne« eintrat, in dem schon sein Vater gedient hatte.
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